Donnerstag, 29. Juni 2023

Was ist Disruption? Oder: Die Amazon-Attacke...

Als Disruption bezeichnet man einen Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst bzw. zerschlagen wird; Produkte, Dienstleistungen oder Technologien werden also ganz oder teilweise verdrängt.

Der Unterschied zu normalen, in allen Branchen alltäglichen, Innovationen liegt in der Art und Weise der Veränderung. Während eine Innovation eine Fortentwicklung, eine Anpassung ist, bezeichnet die Disruption einen totalen Um- oder Zusammenbruch des bestehenden Modells. Und das hat natürlich dramatische Auswirkungen für alle Beteiligten...

Die Idee disruptiver Innovation in der Wirtschaft lässt sich auf den österreichischen Nationalökonom und Politiker Joseph Schumpeter zurückführen, der sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte. Der Harvard-Absolvent Clayton Christensen führte 1997 aus, dass jedes noch so erfolgreiche und etablierte Unternehmen eines Tages von einer solchen Existenz beraubenden Revolution bedroht wird. Christensen beschreibt diesen disruptiven Prozess dennoch als notwendig für eine funktionierende Weiterentwicklung des Marktes.

Verlierer sind in diesem Fall zumeist große Unternehmen, die ihrerseits selbst mit einer radikalen Innovation ins Geschäft eingestiegen sind. Denn für etablierte Unternehmen sei es geradezu unmöglich, ihr Geschäftsmodell von Grund auf zu verändern. Ausschließlich Neugründer, die wenig zu verlieren und viel zu gewinnen hätten, seien in der Lage, derartige Risiken einzugehen.

Vor allem im Bereich des Internets und der neuen, digitalen Medienwelt wird häufiger von Disruption gesprochen, aber auch in der Startup-Szene gilt es als Zauberwort für Finanzierungszusagen. Doch nicht alles, was irgendwie neu und quer gedacht erscheint, ist auch disruptiv...
»Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste; es ist diejenige, die sich dem Wandel am besten anpassen kann.«
(Charles Darwin)

Ein paar Beispiele für Disruption

Kodak war der Platzhirsch bei der Fotografie, man stellte die besten Farbfilme her. Und man entwickelte als erster die Digitalkamera - um sie im Tresor verschwinden zu lassen. Inzwischen hat die Digitalkamera Kodak den Todesstoß versetzt. Das Aufkommen digitaler Fotografie hat den Markt für herkömmliche Fotoapparate und Filme vollständig zusammenbrechen lassen. Und den Digitalkameras droht das gleiche Schicksal, denn aufgrund er heutigen Smartphone-Fähigkeiten braucht kaum noch jemand eine eigenständige Kamera.

Der Einzelhandel kämpft ums Überleben, was nicht nur dem eigenen ruinösen Wettbewerbsdruck geschuldet ist, sondern der immer stärker nachgefragten Online-Konkurrenz von Amazon & Co. Obwohl Amazon auch "nur" Waren verkauft, wurde durch das Online-Shopping der Markt für kleine Einzelhändler zunehmend ausgedünnt und sie mussten aufgeben. Ein Trend, der inzwischen auch vor den größeren Supermarktketten und Einzelhandelsketten nicht halt macht.

»Deine Marge ist meine Chance.«
(Jeff Bezos, Amazon-Gründer)

Zeitungen verlieren immer mehr Leser an Online-Angebote. Der Markt hat sich gewandelt und klassische Printmedien geraten immer mehr aufs Abstellgleis. Sie verlieren Leser und damit Reichweite und damit Anzeigenkunden. Diese investieren lieber in Online-Werbung, weil sie dort immer mehr Menschen erreichen. Und aufgrund des Kostendrucks dünnen die Verlage ihre Redaktionen immer mehr aus, um Kosten zu sparen, und daher werden die Zeitungen immer weniger lesenswert. Und verlieren so weitere Leser und Anzeigenkunden.

Der Walkman war eine revolutionäre Entwicklung, machte er doch das Musikhören mobil. Und Sony zu einer Elektronik-Weltmacht. Doch kaum zwanzig Jahre später kam Apples Ipod auf den Markt und damit das Ende der Kassettengeräte. Und Apple hat noch andere Märkte zerstört. Ganz am Anfang den von Xerox und IBM, die Welt der Großrechner, als Steve Jobs den Personal Computer samt grafischer Benutzeroberfläche massentauglich auf den Markt brachte (etwa zeitgleich mit Microsoft und dessen Windows-Desktop-Programm, woraus sich eine krude Räuberballade entwickelte, wer was wann von wem gestohlen habe). Und später killte er die Handys und damit den Weltmarktführer Nokia, als er mit dem Iphone das erste Smartphone auf den Markt brachte, das über eine Touchscreen verfügte und über Wisch-Gesten bedient wurde. Auch BlackBerry, der damalige Smartphone-Riese, ging unter, weil man den Trend hin zum Touchscreen und weg von der haptischen Tastatur ignorierte.

Gefahren der Disruption für Anleger

Die heutigen Platzhirsche müssen auf der Hut sein und disruptive Entwicklungen selbst aufnehmen, sonst werden sie von ihnen überholt. Wir sehen derartige Tendenzen im Bereich des Automobilsektors, wo Verbrennungsmotoren ausgemustert werden zugunsten von Elektromotoren. Die neue Kernkompetenz heißt nicht mehr Motor, sondern Batterie. Und darüber hinaus geht die Entwicklung weiter, hin zum autonomen Fahren. Dies hat weniger disruptive Einflüsse auf die Autohersteller, sondern viel mehr auf die Autoversicherer. Wenn es keine Fahrer mehr gibt, sondern die Autos Software gesteuert selbst entscheiden und fahren, wer braucht dann als Person noch eine Kfz-Haftpflichtversicherung?

Oder bei Filialbanken, die wie Relikte aus einer anderen Zeit anmuten, während Online-Banking und Online-Beratung - auch schon durch virtuelle Berater - zunehmend an Boden gewinnen. Selbst die Immobilienkreditvermittlung läuft nicht mehr nach klassischem Muster ab, sondern über virtuelle Kreditvermittlungsplattformen, die Hypoport für die Banken und Sparkassen passgenau aufgesetzt hat. Der Marktanteil der über Hypoports Business-to-Business-Plattformen abgewickelten neu abgeschlossenen Immobilienkredite in Deutschland liegt inzwischen bei über 25%.

Für Investoren gilt es weniger die neuen Technologieführer ausfindig zu machen, als vielmehr im Blick zu haben, ob sie in Unternehmen investiert sind, deren Geschäftsmodell durch Disruption bedroht ist. Diese eignen sich dann nicht (mehr) für Buy & Hold-Investments.
»Wir sind long bei den Disruptoren und short bei den Disruptierten. Das funktioniert ganz wundervoll.«

Und der Burggraben?

Und noch einen Aspekt gilt es zu bedenken: die früher dominanten ökonomischen Burggräben (Moats) beständiger Geschäftsmodelle haben heute auch immer kürzerer Halbwertszeiten. Denn durch den immer schneller voranschreitenden technologischen Wandel geraten alte erfolgreiche Geschäftsmodelle schneller unter Druck von jungen, innovativen Unternehmen. Und so haben Burggaben-Geschäftsmodelle immer öfter auch nur dann noch eine Überlebenschance, wenn sie sich nicht nur auf die Defensive verlassen, sondern selbst wieder agiler werden und sich an die neuen Gegebenheiten anpassen.
»Es ist vermutlich ein natürlicher Teil des modernen Wirtschaftssystems, dass klassische Burggräben nicht mehr funktionieren.«
Gegen Amazon kann man nur bestehen, wenn man (mehr) wie Amazon wird. Walmart ist so ein Beispiel. Der Einzelhandelsgigant hat den Kampf aufgenommen und setzt verstärkt auf Onlinehandel und kopiert das Amazons Erfolgsmodell - von der anderen Seite der Entwicklung kommend, vom stationären Laden aus. Während Amazon mit der Übernahme der Whole Foods-Läden seine Präsenz ausgebaut hat und (nicht nur) diese Läden als Anlaufstellen und Abholstationen benutzt, geht Walmart genau den umgekehrten Weg. Und nähert sich damit Amazon an. Auch deshalb steht Walmart besser da als viele andere Einzelhändler. Aber nicht so gut wie Costco Wholesale, denn deren grenzgenialen Geschäftsmodell konnte Amazon bisher so gut wie nichts anhaben.

Disclaimer: Habe Amazon, Apple, Costco, Hypoport, Microsoft auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus September 2016

2 Kommentare:

  1. Buy and Hold ist so wirklich herausfordernder geworden weil die Entwicklung insgesamt einfach schneller geht und sich selbst dicke Platzhirsche nicht ganz sicher sein können. Im Pharma und Konsumbereich trägt das weitgehend noch, aber auch L'Oreal oder Nestlé müssen sich umgucken.

    Das autonome Fahren sehe ich allerdings schon als ganz klare Disruption für die Hersteller, weniger für die Versicherungen. Die Versicherung schließt halt dann nicht mit dem Fahrer sondern mit dem Autohersteller eine Versicherung ab. Vielleicht können sie da sogar mehr rausholen;)
    Wenn Hersteller nicht aufpassen, liefern sie irgendwann nur noch die Hülle, die Software und das drum herum stellen andere. Zwar wird es noch sehr lange dauern bis autonomes Fahren Level 5 kommt, aber schon Level 4 verändert viel. Die Entwicklung ist extrem teuer, deswegen steigt beispielsweise BMW fast aus, ein Problem. Sie werden dadurch abhängig von anderen und vielleicht irgendwann überflüssig...

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  2. Hallo Stefan,
    da bin ich nicht ganz bei dir.
    Wie viele Handyhersteller gibt es den die das Gerät bereitstellen (also nur die Hülle in deinen Worten) aber das Androidsystem darauf laufen lassen?
    Die Automobilindustrie hat ein niedriges KGV, ich denke die Bewertungen bleiben niedrig bei denen die Software nicht hergestellt wird. Wer zukünftig viel Geld verdienen will muss die Software liefern aber ich denke es wird kein „muss“ sein, dafür wird das Unternehmen dann auch ein höheres KGV als auch Marge haben.
    Ob die Hersteller auf dem Markt bleiben sehe ich auch eher wie im Beitrag, das know how verlagert sich vom Motor zur Batterie.

    Gruß

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