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Montag, 4. Mai 2020

Kissigs Kloogschieterei: Kann Liquidität (wirklich) alleine die Börse retten?

Die Wirtschaft legt eine kolossale Bruchlandung hin, wie die Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten zeigen. Das trifft die Unternehmen hart und viele stehen mit dem Rücken zur Wand. Entlassungen und Kostensenkungen sind die Sofortmaßnahmen. Und die Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme natürlich: Kredite und Liquiditätshilfen. In den USA ergänzt um Direktzahlungen an die Bürger, um die Nachfrage künstlich hoch zu halten und/oder Mietzahlungen zu ermöglichen oder das bezahlen von Rechnungen oder den nächsten Einkauf.

Erster Impuls der Anleger in dieser Situation ist Flucht. Normal, gibt uns die Evolution vor, ist unser Überlebensinstinkt. Doch ist der erste Spontanreflex gerade in Finanzangelegenheiten selten der richtige oder gar beste. Howard Marks empfiehlt deshalb "Second Level Thinking", also die Schlussfolgerungen zu ziehen, die einem (und allen anderen) nicht als erstes durch den Kopf gehen und allzu offensichtlich auf der Hand liegt...

Wenn die Wirtschaft abstürzt, kann dann Liquidität (alleine) die Börsen retten?

Die richtige (First Level) Antwort ist Nein. Arbeitslose kaufen weniger und haben Schwierigkeiten, ihre Miete, ihre Kreditraten, ihre Einkäufe zu bezahlen. Also reduzieren sie ihre Ausgaben und damit sinkt die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, was die Unternehmen zusätzlich Umsätze und Gewinne kostet. Was sie wiederum ihrerseits zu weiteren Kosteneinsparungen zwingt - ein Teufelskreis.

Die weiter gedachte Antwort auf die Frage (Second Level) ist allerdings: Doch, das geht. Kurzfristig können die Kurse zwar nochmals und wiederholt deutlich nach unten getrieben werden von der Panik der Anleger, ihren Emotionen (und den Algos). Aber die Liquidität strömt wieder in den Markt zurück und die Kurse steigen schnell wieder an. Es ist schlicht das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Die Liquidität würde (der Börse nur) dann nicht mehr helfen, wenn sie Alternativen hat zu Aktien. Doch die Niedrigzinsen, die auch die Nachfrage nach Immobilien befeuern, schließen Zinspapiere de facto aus: Tagesgelder, Sparbücher, Staatsanleihen bringen kaum Rendite, manchmal bereits muss man für Guthaben Strafzinsen bezahlen. Also parkt die Liquidität nur kurz an der Seitenlinie, um bei günstigeren Kursen sofort wieder in Aktien zu fließen. Sie erhöht damit wieder die nachfrage nach Aktien und damit die Kurse. Und die Momentum-getriebenen Algos springen auf den Zug auf und verstärken den vorherrschenden Trend - in beide Richtungen.

Da die Liquidität insgesamt aber rapide zunimmt durch die Politik der  Notenbanken, bleibt bei steigenden Aktien immer mehr an Liquidität außen vor und schaut den Kursgewinnen hinterher. Mit der Folge, dass auch bei (zu) hohen Kursen die Nachfrage zunimmt. Auch deshalb ist die Erholung an den Börsen nach dem historisch schnellsten Absturz der Börsenkurse so schnell und so weit gegangen, obwohl die Wirtschaft gerade erst noch den Absturz vollzieht und ein Ende noch nicht abzusehen ist.

Kann also die Börse nochmals 10% oder 15% abstürzen? Ja. Wird sie sich schnell wieder erholen? Ja.

Das Bewertungsniveau wird dabei in die Höhe getrieben, da ja die Unternehmensgewinne einbrechen. Wenn der Kurs um 10% sinkt, die Gewinne aber um 80%, ist die Aktie trotz Kursrückgang relativ gesehen teurer geworden.

Und man darf nicht übersehen, dass "die Börse" (also S&P500, NASDAQ, MSCI World) von einigen wenigen US-Techwerten abhängt. Die geben die Richtung und die Kurse vor. Apple, Alphabet, Amazon, Microsoft, Facebook. Die sitzen auf Unsummen von Geld und erzeugen auch in der Krise enorme Cashflows. Und sie werden gerade wegen der Krise noch stärker. Daher sind hier höhere Bewertungen als bisher sogar gerechtfertigt!

Der Großteil der Aktien dürfte aber länger unter seinen Vorkrisenkursen notieren; zumeist deutlich und zumeist zurecht. Weil Corona die Unternehmen massiv trifft.

Mit etwas Glück kann man die Gewinner zum richtigen Zeitpunkt abpassen und ordentlich Kursgewinne einfahren. Oder auf die relativ sicheren Qualitätsunternehmen setzen mit hohem Cash-Bestand, hohen Cashflows, soliden Bilanzen und ökonomischem Burggraben (Moat). Die dürften - wenn auch unter Schwankungen - tendenziell weiter zulegen.

Passend dazu hatte ich vor einigen Monaten mal "Kissigs Stars of Cash-Strategie" präsentiert und meine Idee, einfach nur auf die Cash-Sparschweine setzen, zur Diskussion gestellt. Bisher hat sie sich in der Corona-Phase absolut bewährt. "Börsengewinne simplified" eben...

Und ich zitiere an dieser Stelle nochmals Star-Investor Stanley Druckenmiller:
»Nicht die Unternehmensgewinne beeinflussen den Gesamtmarkt, es sind die Notenbanken. Und deshalb konzentriere ich mich auf die Zentralbanken und auf die Entwicklung der Liquidität, während die meisten Leute auf die Gewinne und konventionelle Kennzahlen blicken. Aber es ist die Liquidität, die die Märkte bewegt.«
(Stanley Druckenmiller)

Alles, was man wissen muss!?

Die Antwort liegt also klar auf der Hand - was nicht heißt, dass es zwischenzeitlich nicht heftigere Kurseinbrüche geben kann. Die wird es geben, mit Sicherheit. Und wir können sie kaum vorhersagen oder vorwegnehmen. Sich aber deshalb vom Markt fernzuhalten, ist absehbar eine Loserstrategie! Denn bis auf einige wenige "Glückliche" werden die meisten Seitensteher den dauerhaften Wiederanstieg verpassen und den Kursen hinterherblicken. Sie werden auch dann wieder sagen, dass sie beim nächsten Rücksetzer einsteigen, aber das haben sie bisher nicht getan und würden es auch beim nächsten Mal wieder nicht tun. Und irgendwann erfolgt kein weiterer Rücksetzer mehr, die Chance kommt nicht wieder und zwar lange schon, bevor die Wirtschaftsdaten und die Meldungen aus den Unternehmen die Trendwechsel offensichtlich machen. Diejenigen, die die heftigen Turbulenzen durchgestanden haben (Kostolany nennt sie die "Hartgesottenen") werden die Verluste in ihren Depots dahin schmelzen sehen und wieder Gewinne erblicken. Und die anderen, die "Zartbesaiteten", sitzen auf ihrem Cash und leiden. Sie leiden unter den entgangenen Kursgewinnen. Und die sind fast noch schmerzhafter als Kursverluste.

Mein Weg ist klar. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich bereits zweieinhalb Börsencrashs miterlebt und überlebt habe. Ich setze nicht darauf, zum richtigen Zeitpunkt die zyklischen Werte zu erwischen, sondern ich setze auf die langweiligen Dauerläufer. Sie waren, sind und bleiben meine Depotschwergewichte und werden mich auch durch diese schwierige Phase bringen - und auch darüber hinaus überdurchschnittliche Renditen abwerfen.

Disclaimer: Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft befinden sich auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot.

3 Kommentare:

  1. Ich lese immer wieder von Zyklikern. Ist nicht alles und auch jedes Unternehmen einer zyklik unterlegen?

    Kann mir wer erklären, auf einfache Weise und praktisch,wie man diese Zykliker erkennt? Was macht diese aus?
    Danke

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    1. Amazon-Gründer Jeff Bezos sagte, alle Unternehmen scheitern. Auch Amazon. Aber in dieser Absolutheit bringen einen die Gedanken nicht weiter. Auch wenn alles endlich ist, heißt das nicht, dass man nichts mehr probieren und anfangen sollte. Dass alle Unternehmen irgendwann einmal scheitern bedeutet nicht, dass sie nicht hundert, fünfhundert, zweitausend Jahre bestehen können. Auch die Sonne wird in etwas mehr als 3 Milliarden Jahren implodieren - muss uns heute lebenden Menschen aber kaum Sorgen bereiten.

      Alle Unternehmen unterliegen Zyklen. Mit "Zyklikern" sind aber die Unternehmen gemeint, deren Geschäftsverlauf sehr stark mit dem Wirtschaftszyklus korrelieren. Eine schlechte konjunkturelle Lage und eine damit verbundene geringe Nachfrage nach Konsumgütern wirken sich auf die Ertragslage dieser Unternehmen aus.

      So wie die Chemiebranche. Wenn die Wirtschaft Fahrt aufnimmt, entsteht mehr Nachfrage nach Chemieprodukten; flaut die Wirtschaft wieder ab, sinkt die Nachfrage. Automobile, Chips, Konsumwerte (z.B. Kleidung) und Stahl sind ebenfalls stark zyklisch. Man unterscheidet noch zwischen Frühzyklikern und Spätzyklikern.

      Am besten abgrenzen kann sie mit Branchen, die wenig zyklisch sind: Energieunternehmen, Banken, defensive Konsumwerte (Kosmetik, Nahrungsmittel Windeln), Medizintechnik, Pharma.

      Bisher wurden Technologiewerte auch als Zykliker eingestuft, aber der Trend hin zu Cloud und Software-as-a Service "überschreibt" diese alte Einstufung, weil diese Megatrends auch in wirtschaftlich schwächeren Phasen weiterlaufen und zu Einsparungen führen, so dass man "Technologiewerte" differenzierter betrachten muss.

      Börsenlegende Peter Lynch rät, Aktien in Kategorien einzuteilen, um einerseits seine Erwartungen entsprechend daran ausrichten zu können, und um geeignete Vergleiche innerhalb von Branchen ziehen zu können (um sich dann die besten Aktien herauszupicken).

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  2. Hm... Sind Banken nicht auch klassische Zykliker?

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