Freitag, 24. Dezember 2021

Kissigs Kloogschieterei: Kurze Gedankenspiele zu den explodierenden Energiepreisen und einer drohenden Pleitewelle bei den Energieversorgern

Wir erleben beispiellose Preissteigerungen an den Energiemärkten, sowohl im Spotmarkt bei Gas als auch bei Strom. Viele Anleger freuen sich und denken, das würde die Gewinne der Energieversorger antreiben. Zumal viele "Billigheimer" bei den Gaslieferanten in die Knie gehen und deren Kunden an die lokalen Platzhirsche zurückfallen, wo diese "abtrünnigen" Gaskunden wohnen: die sog. Grundversorger. In der Regel sind das die heimischen Stadtwerke, aber auch Eon ist vielerorts Grundversorger und auch MVV Energie aus Mannheim. Dessen Kurs gleicht einem Raketenstart und ich fürchte, dass er bald implodieren wird. Und dabei den Gewinnen folgt, die kräftig einbrechen dürften.

Ich bin nun wahrlich kein Pessimist und kein erst recht kein Crashprophet, aber in diesem Fall sehe ich wirklich schwarz. Und teile meine Ansichten mit euch in der Hoffnung, dass mich jemand mit mehr Durchblick davon überzeugen kann, dass ich zu schwarzmale und meine Sorgen überzogen und unbegründet sind...

MVV Energie ist Grundversorger u.a. in Mannheim und hält die Mehrheit u.a. an den Stadtwerken Kiel, die dort Grundversorger sind. Das ist eigentlich eine klasse Sache, aber jetzt löst das aktuell enorme Verluste aus, beim Strom, aber vor allem beim Gas. Und zwar weil deren Börsenpreise so explodieren.

Viele der Billigheimer kaufen am Spotmarkt ein (also kurzfristig) und geben das mit schmaler Marge an ihre über Verivox oder Check24 gewonnen Kunden weiter. Bei fallenden Gaspreisen ist das eine Lizenz zum Gelddrucken, weil die Grundversorger (zumeist Stadtwerke, aber auch Eon) strukturiert beschaffen über zwei oder drei Jahre. Fallen die Gaspreise haben diese also zu zu früh, zu teuer eingedeckt und ihr Kundenpreis ist folglich wenig(er) attraktiv. Die Billigheimer, die nur kaufen, was sie auch aktuell gerade verkaufen, sind also preiswerter. Denkste.

Stand vom 13.12.2021
Nur dass in diesem Jahr die Preise explodiert sind und sich vervielfacht haben. Die Billigheimer haben also ausgerechnet in den drei Monaten, wo viel Gas verbraucht wird (Dez, Jan, Feb) viele Kunden, aber kein Gas. Das müssen sie jetzt am Spotmarkt eindecken und haben im Gegenzug Verträge, bei denen sie dieses Gas direkt für einen Bruchteil des eigenen Preises an die Kunden liefern müssen. Was sie in die Insolvenz treibt oder aber sie haben bereits ihren Kunden gekündigt, um das irgendwie noch zu vermeiden.

Zuletzt ging Energie-Discounter Stromio Pleite und n-tv zufolge geht es bundesweit um mehrere 100.000 Kunden, die nun in die Ersatzversorgung zurückfallen. Stromio in nach Auskunft der BundesNetzAgentur bereits der 39. Energielieferant, der kürzlich die Beendigung der Belieferung angekündigt oder bereits vollzogen hat. Und weitere werden folgen.

Nun könnte man meinen, das sollte die Grundversorger freuen, denn die kriegen ihre einstmals abgewanderten Kunden wieder zurück. Niemand muss frieren, wer rausfliegt oder wessen Gasversorger in die Insolvenz fällt, landet automatisch beim heimischen Platzhirsch in der Grund- bzw. Ersatzversorgung.

Ja, aber... nun hat der Grundversorger den Kunden, aber er hat für diesen Kunden natürlich keine Gas- oder Strommengen eingekauft, als es noch billig war. Er wusste ja nicht, dass er diesen Kunden beliefern müssen würde. Nun hat also der Grundversorger genau dasselbe Problem, das den Billigheimer soeben in die Pleite getrieben hat: er muss am Spotmarkt umgehend Gas eindecken für den Kunden. Das kann er ihm aber nicht zu demselben Preis weiterverkaufen, sondern er muss ihn zum Grundversorgungstarif beliefern, den alle Kunden haben, die nicht in Sondertarife gewechselt sind. Diesen Grundversorgungstarif hat der Grundversorger über zwei oder drei Jahre strukturiert eingedeckt und daher zu erheblich günstigeren Konditionen/ Preisen aktuell. Das kann er für die neuen Kunden aber natürlich nicht rückwirkend nachholen. Er muss also jetzt den vier- oder fünffachen Gaspreis bezahlen, den er für alle anderen bezahlt hat. Letztlich hat er gar keine Wahl: der Grundversorger muss den Kunden beliefern, egal, welchen Preis er dafür am Spotmarkt bezahlen muss.

Und leider bekommt er ja nicht nur einen ehemaligen Kunden zurück, sondern hunderte, vielleicht sogar tausende. Denn die Gas- und Stromversorger nehmen momentan alle keinen neuen Kunden mehr an, weil sie kein Gas/Strom einkaufen können zu halbwegs vernünftigen Preisen. Also selbst wenn der zurückgekehrte Kunde sofort wieder aus dem - eigentlich - teuren Grund- bzw. Ersatzversorgungstarif raus wollte, findet er momentan gar keinen anderen Anbieter. Und wenn ihm das doch gelingen würde, dann zum vier - oder fünffachen Preis. Das macht natürlich keiner.

Die Grundversorger zahlen die Zeche - und damit alle ihre Kunden. Es gab vor einigen Wochen eine wahre Gaspreiserhöhungswelle - und ich fürchte, es wird jetzt eine zweite Welle geben. Genau wegen dieser von mir geschilderten Problematik. Hier drohen den Grundversorgern Millionenschäden und es kann sogar soweit kommen, dass eigentlich solvente und solide aufgestellte Stadtwerke durch den Rückfall von Ex-Kunden in die Grund- und Ersatzversorgung selbst in die Pleite rutschen!

Dies ist eine dramatische Situation und so noch nie dagewesen. Der eigentlich sinnvolle Gedanke, dass kein Gaskunde (oder Stromkunde) unversorgt bleiben soll und zur Not eben in der Grundversorgung aufgefangen wird, entwickelt aufgrund der massiven Preissteigerungen eine Kernschmelze in den Bilanzen der Grundversorger.

Weiteres Risikio: Vorlieferant

Ein weiteres Risiko beschreibt "Der Merkur" in diesem Artikel über die Insolvenz des Strom- und Ergasversorger Dreischtrom GmbH vom 16.12.2021. Darin heißt es "Der Grund für die Insolvenz: Der Vorlieferant hatte Konkurs anmelden müssen, weshalb Dreischtrom auf die bisher langfristig eingekauften Strom- und Gas-Mengen keinen Zugriff mehr hatte. Dem Stromanbieter blieb nichts anderes übrig, als die fehlenden Mengen zu den aktuellen Preisen zu beschaffen. „Da wir die Preisdifferenz nicht an unsere Kunden weiterreichen können, waren wir gezwungen Insolvenz anzumelden“, erklärt das Unternehmen...".

Gegen einen solchen exogenen Schock, dass der Vorlieferant ausfällt und kein anderer einspringen kann (weil die Preise so exorbitant hoch sind, dass dieser selbst keine "günstigen" Mengen liefern kann), kann sich ein Grundversorger/Stadtwerk nicht absichern. Denn die Absicherung besteht darin, dass man andere Vorlieferanten an der Hand hat, die den Ausfall kompensieren können. Aber eben zu annähernd vergleichbaren Preisen. Doch das ist aktuell ja gerade nicht der Fall, wie der Chart oben zeigt. Anstelle der "normalen" €20 je MWh bezahlt man inzwischen an die €100/MWh, also das Fünffache. Und bei der Zeche sind Liquidität und Eigenkapital schnell futscht.

Insolvenzrisiko Illiquidität

Damit sind wir bei einem weiteren enormes Existenzrisiko für die Energieversorger: Liquidität. Die müssen jetzt zu extrem hohen Preisen Gas- und Strom einkaufen, um ihre Kunden beliefern zu können. Selbst bei strukturierter Beschaffung über mehrere Jahre im Voraus bleiben am Ende ja die "passgenauen" Spitzen übrig, die am Spotmarkt besorgt werden müssen. Die Vorlieferanten müssen von den Energieversorgern sofort bezahlt werden, also im Januar, Februar, März - die Kunden zahlen aber zumeist monatliche Abschläge. Das führt schon in normalen Jahren dazu, dass die Energieversorger zum Jahresanfang viel mehr Geld (Liquidität) ausgeben, als sie aus den Abschlägen einnehmen. In Normaljahren ist das kein Problem, weil sie dafür ja im Sommer zu viel Geld bekommen im Vergleich zu dem, was die Kunden nachfragen. So gleicht sich das über das Jahr gesehen aus.

Aber jetzt nicht! Die Einkaufskosten sind um das Fünffache gestiegen und das müssen die Energieversorger an ihre Vorlieferanten bezahlen. Daraus resultiert ein gewaltiger Liquiditätsabfluss in den ersten Monaten des neuen Jahres. Gleichzeitig kommt viel zu wenig Geld mit den fälligen Abschlagszahlungen rein (selbst wenn diese nach den massiven Preisanhebungen in den letzten Wochen schon höher als im Vorjahr sind), so dass eine gewaltige Liquiditätslücke entsteht. Auf die kein Energieversorger in dieser Größenordnung vorbereitet ist (also z. B. über Kontokorrentlinien bei seiner Bank verfügt, die das Drei-, Vier-, Fünffache der üblicherweise benötigten Liquidität entspricht - denn diese "Linien" kosten für Gewerbekunden Geld, auch wenn sie nicht in Anspruch genommen werden).

Möglicherweise kann der Energieversorger kurzfristig mit seiner Bank eine Liquiditätsspitze, also ein Ausweiten der Kontokorrentlinie vereinbaren. Aber wenn nicht... Illiquidität ist ein Insolvenztatbestand. Da gibt es keinen Spielraum; tritt sie zu irgendeinem Zeitpunkt ein, muss der Vorstand/ Geschäftsführer umgehend beim Amtsgericht Insolvenz für das Unternehmen anmelden. Tut er das nicht, ist er persönlich haftbar (und verliert darüber hinaus auch seinen Job).

Mit diesem zusätzlichen Krisenszenario setzen sich die Energieversorger gerade auseinander, weil es ja absehbar ist, was im Januar/ Februar passieren wird auf ihren Konten und der Kapitalflussrechnung (Cashflow). Dabei ist diese Situation nicht ganz neu, die gab es Anfang 2016 schon einmal, als der Ölpreis innerhalb weniger Monate auf über $100 hochgeschossen war. Allerdings sind die heutigen Gas- und Strompreisanstiege deutlich extremer, daher ist das Problem/Risiko - und der Liquiditätsbedarf - auch viel größer.

Meine Einschätzung

Ich gehe inzwischen soweit, dass wir in einigen Wochen vielleicht über einen Rettungsschirm für die Grundversorger/ Stadtwerke diskutieren werden (müssen), wenn sich die Lage nicht schnellstens entspannt. Und danach sieht es momentan ja leider so gar nicht aus.

Und aus diesen Gründen würde ich die Aktien von MVV Energie, aber auch von Eon (die ja vielerorts Grundversorger sind) und anderen Grundversorgern keinesfalls im Depot haben wollen. Die gewinnen massenhaft Kunden, an denen sie garantierte horrende Verluste machen - und dürfen sie nicht abweisen. 

Von Marktwirtschaft kann man in diesem Sektor auch in dieser Hinsicht überhaupt nicht (mehr) sprechen...

24 Kommentare:

  1. Bedank dich bei Merkel und den Grünen.

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    1. Wie haben die Grünen und Merkel denn den Gaspreis hochgetrieben ?
      Könntest Du das erklären?
      LG,
      Michael

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    2. Wenn man alle anderen grundlastfähigen Energiequellen den Hahn abdreht, dann steigt halt der Run auf Gas. Aber Putin ist schuld, weil er nur das liefert, was bestellt wurde, gell? Dabei will Baerbock Putins Gas doch gar nicht.

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    3. Ist ja eine sehr ausführliche Analyse

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  2. Hallo Michael, hast du bei deiner Analyse zu MVV den 28%Anteil an GKM berücksichtigt?

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    1. Ich habe weder zu Eon noch zu MVV eine komplette Analyse durchgeführt. Mir geht es um die Problematik aus ihrer Rolle als Grund- und Ersatzversorger heraus; mir fallen spontan keine weiteren deutschen börsennotierten Grundversorger ein.

      De 28%-Anteil an einem Kohlekraftwerk hilft ja nur bedingt, da auch der Kohlepreis doppelt so hoch liegt wie noch im Mai (und alle Monate zuvor). Und er war im Herbst auch schon viel höher.

      Die von mir aufgezeigte Problematik mit den explodierten Preise betrifft vor allem den Spotmarkt (also das Tagesgeschäft), bei den Terminkontrakten (Base und Peak) sind die Preise weniger stark gestiegen (aber auch enorm). Doch die "plötzlich" in die Grund- und Ersatzversorgung fallenden Kunden sind das Problem. Für die kann man keine Terminkontrakte kaufen, sondern die müssen sofort versorgt werden, also muss die Menge über den Spotmarkt besorgt werden. Und... es ist ja nicht klar, wie lange die bleiben werden als Kunden. Wenn der Grundversorger heute nun Mengen für sie einkauft für März, für Juni, für September, dann bezahlt er dafür auch deutlich höhere Preise - nur wenn die Kunden dann schnell wieder abspringen, dann sitzt der Versorger auf den teuer eingekauften Mengen und muss diese dann über die Börse wieder verkaufen. Also im Frühjahr, wenn er weiß, dass der Kunde nicht belieben wird (weil er gekündigt und einen Anbieterwechsel angekündigt hat). Doch dann werden die Preise höchstwahrscheinlich deutlich niedriger sein als heute und der Überbezug muss verkauft werden - mit erneutem Verlust. Eine extrem undankbare Lage/Aussicht für die Grundversorger...

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  3. Hallo Michael,
    ich bin kein Experte im Bereich Energie, aber als Aktionär von E.ON von den Vorgängen betroffen. Daher habe ich mir die Kundenstruktur bei E.ON mal angesehen. Immerhin betreut E.ON in Deutschland über 12 Millionen Strom- und 2 Millionen Gaskunden. Daher glaube ich nicht, dass die "Neukunden" ein existentielles Problem für E.ON darstellen werden. Auch wenn es einige 100.000 sein sollten - es wären nur wenige Prozent. Dazu dürfen die ehemaligen Billigkunden nun einen teuren Basistarif beim Grundversorger zahlen. Der deckt die Kosten nicht - klar - aber es federt etwas ab.
    Wie es sich bei den einzelnen Stadtwerken verhält, ist schwieriger zu beurteilen. Da könnte es durchaus unangenehm werden. Allerdings sind viele Stadtwerke im Besitz der Kommunen. Die Bürger dürfen dann für die Verluste aufkommen. Eine Pleite sehe ich auch hier nicht.
    Ich wünsche Dir noch schöne Feiertage.
    Viele Grüße, Frank

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    1. E.ON wird ja auch einen gewissen Puffer bei den Bestellungen eingeplant haben. Je nachdem wie hart der Winter und damit der Energieverbrauch wird, sind die Neukunden evtl. sogar ein gutes Geschäft.

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  4. Hallo Michael, vielen Dank für deine ausgezeichnete Analyse!!...Ich möchte nur eines bei MVV zu bedenken geben: Der 28% ige Anteil an GKM war Anfang September ein "Problemkind" mit einer roten Null. Seit Mitte September ist aber auch der CDS kontinuierlich auf über 100 Eur/MWh explodiert. Nun: Was bedeutet das für MVV? Ich gebe hier ein schematisches Beispiel für das Frontjahr: 8000 h Kraftwerkseinsatz* 100 Eur/MWh CDS* 500 MW PPA Anteil = 400 Mio Erhöhung des DB. (Das ganze ist eine sehr konservative Schätzung!) Da die Terminstruktur im Strom im Frontjahr sehr ausgeprägt ist gibt es in Q1/22 noch wesentlich höhere CDS!!LG. Tiffmeister

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  5. Die Kunden die zu MVV fallen werden nicht in die Grundversorgung aufgenommen sondern müssen alle Neuverträge abschließen zu viel höheren Konditionen.

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    1. Das widerspricht dem Wesen der Grundversorgung. Haste dazu eine Quelle mit weiteren Angaben?

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    2. E.ON z.B. hat die Preise für die Gas-Grundversorgung ab 01.01.22 bereits erhöht.

      https://www.eon.de/de/pk/erdgas/grundversorgung-erdgas/tarif.html

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    3. Ja ich bin als Vermieter im Raum Mannheim tätig und auch Kunde bei MVV. Meine Altverträge laufen noch mit einem kW Preis von 4 Cent, für Neuverträge aktuell 15 Cent.

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    4. https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Vportal/Energie/Vertragsarten/Grundversorgung/start.html
      Der Grundversorger kann eine Energiebelieferung ablehnen, wenn es aus wirtschaftlichen Gründen für das Unternehmen nicht zumutbar ist.

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    5. Diesen "nicht zumutbar" ist Auslegungssache und da besteht wenig Spielraum bzw. hohe Hürden, sich darauf zu berufen. Ich gebe Dir aber insoweit Recht, als dass die Grundversorger das in der aktuellen Situation natürlich tun/versuchen und deshalb ja auch separate Ersatzversorgungstarife oder gesplittete Grundversorgungstarife einführen. Ob dieses Vorgehen am Ende auch vor Gericht Bestand hat, wird sich erst noch herausstellen müssen - ich gehe davon aus, dass Betroffene oder die Verbraucherzentralen (oder die BNA) hier gegen klagen werden. Weil dieses Vorgehen der Grundversorger (für das ich größtes Verständnis habe!) wohl kaum dem hinter der Regelung stehenden Gedanken entspricht.

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    6. Naja man wird zwar aufgenommen aber zu den Konditionen von Neuverträgen. Unter 16 Cent/kWh kommt man nicht rein. Heute noch mit einer Mitarbeitern von MVV telefoniert weil man hier mittlerweile selbst über Verivox maximale eine Alternative zum Grundversorger MVV wählen kann.

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    7. @Michael 7:39h - vermutlich wird man hier den Gedanken des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage", § 313 BGB ("WGG"), anwenden. Danach kann, verkürzt (!) ausgedrückt, eine Partei eine Vertragsanpassung verlangen, wenn das unveränderte Fortführen des Vertrags aufgrund unvorhergesehener Umstände unzumutbar wird. Die Schwelle dafür ist hoch, denn natürlich wird ein bloßer Kalkulationsirrtum dadurch nicht behebbar.

      Versorger haben nach § 36 EnWG eine Grundversorgungspflicht, was zivilrechtlich bedeutet, dass sie einem Abschlusszwang für ihre Grundversorgungs- bzw. Standardtarife unterliegen. Die Pflicht zur Grundversorgung besteht in der Tat dann nicht, wenn es ihnen wirtschaftlich unzumutbar ist. Wendet man den Rechtsgedanken der WGG auf die Grundversorgungs-Verträge an, könnte man neue Verträge zu geänderten Bedingungen = höheren Preisen anbieten.

      Freilich: kommt man über die Schwelle der WGG, sind dann bald auch alle Bestandskunden betroffen, egal welchen Tarif die haben.

      Ich persönlich meine, die Situation einer WGG ist noch nicht gegeben. Es war m.E. sehr wohl vorhersehbar, dass die aktuelle Steigerung der Gaspreise eintritt, denn sowohl eine Regierungsbeteiligung der Grünen, das Abschalten der Kohle- und Atomkraftwerke, die kritische Haltung vieler Transatlantiker unter den Politikern, und damit auch Grüner, zur Nordstream Pipeline, die Spielchen der US Regierung, und die Spielchen zwischen US Regoerung und Russland in der Ukraine sowie Weißrussland waren vorhersehbar oder zumindest nicht völlig auszuschließen. Ein vernünftiger Versorger hätte daher feste Verträge abgeschlossen und alle Bevorratungsmöglichkeiten genutzt. Tatsächlich aber haben einige Superhelden unter den Versorgern auch noch in den ansteigenden Gaspreis hinein verkauft und ansehnliche, wenngleich möglicherweise vorübergehende, Profite gemacht.

      Wenn man auch bedenkt, dass Grundversorgung eben auch bedeutet, dass für den Anbieter Chancen und Risiken bestehen, dann passt es auch nicht zusammen, wenn man bei der Realisierung von Chancen (man kauft Gas billig ein und teuer an Grundversorgungs-Kunden weiter) kassiert werden kann, während bei der Verwirklichung von (vorhersehbaren!) Risiken gejammert wird und Preise nach Gusto an den Marktpreis angepasst werden. Stattdessen werden (wieder einmal) Risiken sozialisiert, indem man den auf Gas angewiesenen Kunden teure Verträge aufdrängt, während man zuvor nur all zu gerne Profite privatisiert hat.

      Jetzt ist das hier natürlich ein Blog, in dem es primär um interessante Aktien geht und weniger um rechtliche oder gar moralische Wertungen - von daher sollte man, nüchtern, prüfen, welcher Versorger die besten Chancen hat, etwa aufgrund eigener Vorräte, am besten durch die sich abzeichnende Versorgungskrise zu kommen. Und das dürften eben vor allem die ganz großen sein.
      Deshalb im Ergebnis Zustimmung, Finger weg von den kleinen Versorgern. Oder eben abwarten und dann aus dem Kreis der Überlebenden ganz billig einkaufen. Denn ich bin mir recht sicher, in der Politik weiß man genau, dass man neben den Bürgern, die (noch! nur gegen die Impfpflicht) demonstrieren, nicht auch noch Demonstrationen von Menschen haben möchte, bei denen es zuhause mangels Gas so kalt ist wie draußen beim Spaziergang, oder die das zumindest befürchten. Und nach meinem Eindruck liegen da bei vielen Leuten die Nerven ziemlich blank, weil ein warmes gemütliches Zuhause zur Zeit so ziemlich die einzige Blase ist, in die man sich vor dem ganzen Corona Wahnsinn flüchten kann.

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    8. Toll geschrieben, Anonym.

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  6. Beim Aktienkurs von Eon merkt man jedenfalls bisher noch nichts davon. Ganz im Gegenteil, endlich, gefühlt seit 10 Jahren war das mal ein erfreuliches Jahr für Eon-Aktionäre.
    Jetzt ist die Frage, haben das die anderen Marktteilnehmer (noch) nicht mitgekriegt oder spielt diese Geschichte für Eon eher keine Rolle.

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    1. Ich wurde schon gefragt, weshalb Eon denn keine Gewinnwarnung herausgegeben hätte, wenn meine Überlegungen stimmen würden. Was meines Erachtens daran liegt, dass das Problem der vielen zurückfallenden Ex-Kunden erst jetzt richtig Fahrt aufnimmt, also zwei Wochen vor dem Jahreswechsel. Eine Gewinnwarnung ist ja nur nötig/Pflicht, wenn es zu "signifikanten" Abweichungen von der Jahresprognose kommt. Aber das Dilemma wird ja hauptsächlich im Jan/Feb 2022 in der GuV aufschlagen und ich bin gespannt, wann und wie sich Eon zu seinen jahreszielen äußert. Ich behaupte mal, dass der Gasvertrieb in 2022 grottenschlecht abschneiden wird - das Jahresergebnis wird im Jan/Feb/Dez erzielt.

      Da Eon aber zig Töchter und Untergesellschaften hat, ist man sich ggf. selbst noch nicht im Klaren über das Ausmaß des Problems, weil es ja auch ausschließlich die Grundversorgung (und die Ersatzversorgung) betrifft und die Gesellschaften ggf. unterschiedliche Beschaffungsstrategien fahren und somit einige vielleicht sogar "long" Gas sind (also zu viel gas eingekauft haben und daher locker die Rückkehrer günstig aufnehmen können).

      Ich sehe jedenfalls erhebliche Risiken, die seit Kurzem den "offensichtlichen" Chancen gegenüberstehen. Das Chance-Risiko-Verhältnis hat sich aus meiner Sicht jedenfalls in den letzten Wochen kräftig verschlechtert - der Aktienkurs spiegelt das (bisher noch) nicht wider. Mal abwarten...

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  7. Hallo Michael,
    Ich kann das bestätigen... Auch die Neckermann Strom AG hat Insolvenz beantragt:
    https://www.neckermann-strom.de/oekostrom/oekostrom-uebersicht
    Liebe Grüße Franki

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  8. Ja davon habe ich auch gelesen. Hier der Link: https://www.pv-magazine.de/unternehmensmeldungen/grundversorger-fuehren-hoehere-neukundentarife-ein/
    Ob das rechtens ist wird sich zeigen, aber das könnte sich im Zweifel Jahre hinziehen...

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  9. Auch der Kurs von MVV ist nach wie vor stabil!!!

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  10. Ich weiß, dass ich hier einigen auf die Nerven gehe mit meinen pessimistischen Einschätzungen zu den Energiepreisen und den daraus resultierenden Problemen. Aber ich habe hier ein geradezu Lauterbach'sches Sendungsbewusstsein entwickelt und werde daher, alle Sympathiewertabstürze ignorierend, nochmal nachlegen.

    Focus/Focus Money sind nicht gerade meine bevorzugten Quellen, aber hier liegen sie mal richtig. Die Preisexplosion beim Strom (und Gas) trifft nicht nur Grundversorger und Verbraucher, sondern auch Unternehmen. Insbesondere Stahlwerte oder Metallverarbeitende Unternehmen dürften vor einer (schier unlösbaren) Kostenexplosion stehen. Eigentlich alle energieintensiven Branchen - im Artikel wird der Maschinenbau genannt. Im Grund sollte man um die alle einen großen Bogen machen, weil absehbar in den nächsten Wochen deutlich unter den bisherigen Erwartungen/ Hoffnungen liegenden Prognosen für 2022 abgegeben werden dürften. Ausnahme sind eigentlich nur die Unternehmen, die über eine große Preissetzungsmacht verfügen und damit die hohen Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben können - oder eben weitgehend ohne fossile Energieträger auskommen. Dass hierzu langfristige Lieferverträge leider nicht ausreichen, zeigt der Artikel ebenfalls. Die Versorger, die ggf. falsch eingekauft haben (die also "short" sind), kündigen die Verträge mit den Unternehmen einfach. Das wird die Gerichte bestimmt noch einige Jahre beschäftigen, aber das hilft den Unternehmen, die sich nun zu den Haussepreisen eindecken müssen, erstmal überhaupt nicht. In Bezug auf den Gewinn und den Cashflow.

    Aber macht euch selbst ein Bild: zum Artikel.

    'Ab Januar in den roten Zahlen': Wegen Strompreisrallye beginnt für Unternehmen jetzt das Endspiel
    Nicht nur Verbrauchern werden Stromverträge gekündigt, auch viele Unternehmen müssen sich ab dem 1. Januar neue Tarife suchen. Das wird für die meisten nahezu unerschwinglich teuer. Während manche zu lange spekuliert haben, rutschen andere unverschuldet in eine Notlage. (...)

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