Dienstag, 31. Januar 2023

Leserfrage: "Die Analysen zu LendingClub gehen im Moment weit auseinander. Weshalb haben Sie weiter aufgestockt?"

Ein Blogleser stellte mir eine interessante Frage: "Die Analysen zu LendingClub gehen im Moment weit auseinander. Der Blog von  Stefan Waldhauser sieht die Aktie anders als der Artikel von Baki Irmak, der Lending Club als eine Retailbank mit hohen Risken sieht. Das vergangene Jahr 2022 war für Lending Club sehr erfolgreich, wenn man die Eigenkapitalrendite betrachtet. Das Jahr 2023 sieht eher schwierig aus... Ich persönlich sehe immer noch ein Geschäftsmodell, das in Zukunft sehr erfolgreich sein kann. Ich habe lange überlegt, ob ich nach der Veröffentlichung der Entlassung der Mitarbeiter, jetzt die Angst mit meinen Investment bekommen soll oder nicht. Die meisten Aktionäre gehen davon aus, dass der Kurs erst mal auf den jetzigen Niveau weiter vor sich rumdümpelt. Die Fed wird bald tagen und dann wird es wieder interessant.... was waren Ihre Beweggründe, dass Sie bei diesem Investment weiter aufgestockt haben?!"

Ich habe mich entschieden, sie im Rahmen eines Blogbeitrags zu beantworten, weil sie sich vermutlich in ähnlicher Form einigen Lesern stellt. 

LendingClub hat meine Erwartungen für das 4. Quartal 2022 positiv getoppt und auch ansonsten bzgl. meiner zukunftsgerichteten Erwartungen nicht negativ überrascht. Der Kurs ist allerdings massiv eingebrochen.

Das Plattform-Business von LC leidet deutlich unter den aktuellen Bedingungen (starker Zinsanstieg, Wirtschaftsabschwung) und das wird sich in 1Q23 kaum ändern. Doch trotz des enormen Gegenwinds in 2022 hat LC seine Prognosen erfüllt und ist trotz rückläufiger Umsätze auf attraktivem Niveau profitabel. Kaum auszudenken, wie das Geschäft durchstarten wird, wenn sich Zinsen und Konjunktur halbwegs normalisieren...

Bzgl. des Gewinns darf man auch nicht übersehen, dass der massiv klein gerechnet wird bzw. muss wegen der (nicht mehr ganz so) neuen rechtlichen Vorgaben: CECL. Danach müssen Kreditgeber im Moment der Kreditvergabe eine Rückstellung bilden in Höhe aller möglichen Ausfallrisiken über die gesamte Laufzeit dieses Kredits. Unabhängig von der Bonität oder Sicherheiten des Schuldners. Und je nach allgemeiner Wirtschaftsentwicklung müssen sie diese Rückstellungen pauschal erhöhen oder verringern. Es erfolgt also keine individuelle Risikoeinschätzung mehr.

Ich habe das die letzten zwei Jahre schon öfter thematisiert und dabei vor allem auf die Kritik von Jamie Dimon verwiesen, CEO von JPMorgan Chase und im Juli 22 ausführlich dargelegt (hier nachlesen).

In Kurzform: LC vergibt einen Kredit an einen Schuldner mit hoher Bonität, muss aber wegen CECL sofort eine Ausfallrückstellung von z.B. 10 % verbuchen. Der Kredit startet also sofort mit einem Verlust von 10 %, der die Gewinne belastet, ohne dass ein Kreditausfall entstanden ist. Je mehr Kredite LC vergibt, desto größer sind diese "Phantom-Anfangsverluste". Wenn der Kredit über die Laufzeit von z.B. 3 Jahren ordnungsgemäß zurückgezahlt wird, hat LC in dieser Zeit die Zinsen eingestrichen und den vollen Kreditbetrag zurückbekommen. Während der Laufzeit fallen also Zinseinnahmen an (die fließen in die Gewinne) und am Ende die Rückzahlung - und hier ergibt sich ein Sonderertrag aus der Auflösung der CECL-Rückstellung von 10 %. Bei Laufzeitende gibt es also einen Extragewinn von 10 %, der dann auch in die Gewinn- und Verlustrechnung einfließt.

Phantom-Verlust bei Kreditaufnahme, Phantom-Gewinn bei vollständiger Rückzahlung. Dümmlich!

Je schwieriger die Wirtschaftslage, desto höher der Prozentsatz für die CECL-Rückstellungen.

Kritik: Es werden willkürlich Drohverluste erzeugt bei der Kreditvergabe und willkürlich Auflösungsgewinne am Ende der Kreditvergabe.

Quelle: wallstreet-online.de
Folge: LC sieht zahlenmäßig momentan viel schlechter aus als die Wirklichkeit hergibt. Wenn sich in den nächsten Monaten Zinsen und Wirtschaft entspannen, dann werden bei LC ordentlich CECL-Rückstellungen aufgelöst - gewinnerhöhend. Das wird sich sehr auffallend in den prozentualen Steigerungen ggü. 2022 bemerkbar machen und die Börse wird sich überschlagen, um LC-Aktien zu kaufen. Aus meiner Sicht ist das ziemlich vorhersehbar (auch wenn ich heute ja schon weiß, dass LC dann durch Sondereffekte so in den Himmel gehoben werden wird). Ich gebe wenig auf CECL-Buchungen, sondern setze auf das wachsende Kreditbuch mit einer attraktiven Rendite und satten Gewinnen bei vergleichsweise gerungen Risiken (Kreditausfällen) und Kosten. LC wird immer mehr zu einer stinknormalen Bank? Ja! Aber mit enormem Kostenvorteil und riesigem Expansionspotenzial. DAS kaufe ich heute billig ein.

Selbstkritik: So optimistisch ich für LendingClub und sein Businessmodell auch bin, mit meinem Erstinvestment liege ich deutlich hinten. Der Blick auf meine Beobachtungsliste zeigt ein Minus von 55 % - aufgrund von Aufstockungen zu niedrigeren Kursen liegen meine Positionen in den Wikis und meinem Depot teilweise deutlich weniger im Minus, aber im Plus bin ich (noch) mit keiner.

"Beim Investieren ist nichts sicher. Unsere besten Investitionen, die uns im Nachhinein wie geschenktes Geld vorkommen, schienen gar nicht so sicher zu sein, als wir sie tätigten."
(Steh Klarman)

Es wird sich zeigen, ob ich mit meinen Überlegungen auf lange Sicht richtig liege. Aktuell sagt der markt, dass ich zu teuer und zu früh eingestiegen bin. Aber das sagt der Markt heute. Mal sehen, was er sagt, wenn keine deutlichen Zinssteigerungen mehr erfolgen und die Wirtschaft sich wieder erholt...

"Erfolgreiches Investieren bedeutet, dass alle Deiner Meinung sind... später."
(James Grant)

Hoffe, dass ich dann auf ein sehr erfolgreiches Investment zurückblicken und mir selbst auf die Schultern klopfen kann. Ich glaube daran, aber mit Sicherheit wissen tue ich es nicht.

Disclaimer: Habe LendingClub auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.

6 Kommentare:

  1. Danke, Michael für die konkreten Antworten. Ich denke, man muss das ganze auch makroökonomisch einordnen. Unser Geldsystem verträgt auf Dauer keine hohen Zinsen mehr. Von daher haben wir den Zins-Berg wahrscheinlich schon überschritten und bewegen uns wieder talwärts. Dann werden auch die Aktien von LendingClub wieder für alle interessant. Man muss in diesem Fall einfach vorwärts schauen.

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  2. Danke, dass sie diese Frage öffentlich beantwortet haben!

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  3. Sehr aufschlußreich! Danke dafür!

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  4. Vielen Dank für die ausführliche Antwort an uns alle !

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  5. Konstantin01.11.23, 13:14

    Hallo Michael, hälst Du das weiterhin für denkbar, dass LendingClub bald ordentlich CECL-Rückstellungen auflösen könnte? Die Analysten scheinen derzeit eher immer negativer zu werden, zB https://ca.investing.com/news/stock-market-news/lendingclub-faces-sharp-downgrade-in-analysts-2024-forecasts-93CH-3157698

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    1. Moin Konstantin,
      LendingClub löst mit jeder Tilgungsrate entsprechend CECL-Rückstellungen auf, weil sich das Ausfallrisiko ja reduziert. Irgendwann hat LC aber einen bestimmten Sockelbetrag an CECL erreicht, ab dem der Wert nicht mehr so stark ansteigt, weil alte ausgelaufen/ausgebucht sind. Zudem sind die CECLs aktuell rückläufig, weil LC seine Bestandskredite in der Bilanz ja in seine neuen strukturierten Zertifikate umwandelt und für die verbrieften und an Finanzinvestoren abgegebenen Wertpapiere keine CECL-Rückstellungen mehr anfallen (also nur noch für den verbleibenden erstrangigen Rest von vielleicht 60 % der Ursprungsforderung).

      Die Analysten beißen sich am siechenden Plattformgeschäft fest. Kann ich verstehen, dass man hier enttäuscht ist und es sieht auch nicht nach schneller Besserung aus. Aber... die Verbriefungen sind das neue große Ding. Einfach mal bei SoFi reinschauen, die gehen gerade den gleichen Weg wie LC und das läuft ganz wunderbar...

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