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Donnerstag, 23. Juli 2020

Kissigs Aktien Report: Buffetts Erdgas-Deal. Trend verpennt oder einfach clever?

Im Rahmen der Kooperation mit Armin Bracks "Aktien Report" nehme ich mir in unregelmäßigen Abständen interessante Unternehmen vor. Die Ausgaben des "Aktien Reports" und/oder "Geld Anlage Reports" erreichen ihre Leser samstags kostenlos und "druckfrisch" im Email-Postfach und man kann sich ▶ hier beim "Geld Anlage Report" anmelden. Für die Leser meines Blogs hat das Ganze auch einen direkten Nutzen; mit einigen Tagen Zeitverzögerung darf ich die Analysen dann auch hier veröffentlichen...

Thema meines 9. Aktien Reports (vom 11.07.20): "Buffetts Erdgas-Deal. Trend verpennt oder einfach clever?"

Buffetts Edgas-Deal. Trend verpennt oder einfach clever?

Als die Börsenkurse Ende Februar abstürzten, waren sich alle Marktbeobachter einig, dass nun die Stunde des Warren Buffett schlagen würde: während alle ängstlich waren und ihre Aktien zu jedem Preis aus den Depots warfen, würde Buffett gierig sein und sie mit beiden Händen einsammeln.

Doch das Gegenteil passierte. Buffett kaufte kaum Aktien und stieß Anfang April sogar seine milliardenschweren Pakete an vier US-Fluggesellschaften ab. Er machte zusätzlich Kasse, so dass sein Cash-Berg auf 137 Milliarden Dollar anwuchs.

Alle rätseln, ob Buffett sein Gespür für den Markt, für günstige Gelegenheiten, für Trends verloren hat. Und nun auch noch das: Buffett kauft für knapp 10 Milliarden Dollar im zu. In einer Zeit, wo die Erdgaspreise schon seit Längerem ins Bodenlose fallen, die durch Corona ausgelöste Wirtschaftskrise die Energienachfrage zusätzlich reduziert und weltweit fossile Energieträger zugunsten regenerativer Energien zurückgedrängt werden.

Man könnte meinen, Buffett habe den Trend verpennt und flüchte sich in Aktionismus. Da er auf zu viel unrentablem Geld sitzt und die Gelegenheit zum günstigen Aktieneinkauf verpasst hat, greift er dort zu, wo es billig ist. In einem sterbenden Markt, wie viele prognostizieren.

Aber ist es wirklich so einfach oder könnte in Buffetts Deal am Ende doch mehr Buffett stecken, als man auf den ersten Blick vermuten kann?

Buffett und die Energiedeals

Der Energiesektor ist keiner, mit dem Warren Buffett bisher überdurchschnittliche Erfolge erzielt hat; ein glückliches Händchen kann man ihm hier nicht nachsagen. Er sagte einmal, mit Energieinvestments mache man kein Vermögen, aber man bewahre es. Und von dieser Prämisse sollten wir bei seinem neusten Deal auch ausgehen.

Berkshire Hathaway Energie übernimmt von Dominion Energy deren Erdgaspipelines und das Gasspeichergeschäft. Buffett zahlt hierfür rund 4,7 Milliarden Dollar und übernimmt zusätzlich bestehende Schulden von fünf Milliarden Dollar, insgesamt also fast 10 Milliarden Dollar.

BH Energy erwirbt ein Gasverteilnetz mit etwa 12.400 Kilometern Leitungslänge sowie rund 25 Milliarden Kubikmetern an Speicherkapazitäten. Darüber hinaus soll Berkshire Hathaway nach Abschluss der Transaktion, der im vierten Quartal erwartet wird, 25% der Anteile am Flüssiggas-Terminal Cove Point in Maryland erhalten, während Dominion Energy mit 50% beteiligt bleibt. Die Anlage ist eines von nur sechs Export-Terminals für Flüssiggas in den USA und spielt in den Energieplänen der Trump-Administration eine große Rolle. Denn man möchte das US-Gas nach Europa verschiffen – preislich ist es allerdings keinesfalls konkurrenzfähig und daher sabotieren die USA auch die neue, zweite Erdgaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Ob man das als Dollar-Imperialismus bezeichnen möchte, kann jeder selbst entscheiden.

Das Dominion-Netz ist ein Midstream-Gasverteilnetz und richtet sich nicht an Endverbraucher. Es geht nicht um Hausanschlüsse, sondern um die Verteilung zwischen Förderstellen und Energieunternehmen. Berkshire Hathaway Energie ist in diesem Segment bereits tätig und wird seine Kapazitäten mit dem Dominion-Deal annähernd verdoppeln. Künftig kontrolliert BH Energy rund 20% der US-weiten Gasverteilnetze.

Und spätestens an dieser Stelle klingt die Sache nun doch schon eher nach einem klassischen Buffett-Deal.

Herausforderungen

Erdgas gehört zu den fossilen Energieträgern und diese sehen sich immer größeren Widerständen ausgesetzt, weil sie maßgeblich zur vom Menschen verstärkten globalen Erwärmung und dem Klimawandel beitragen. Allerdings ist Erdgas von seiner Energieeffizienz Kohle und Öl überlegen. Wenn es also um das Abschalten von Kraftwerken zum Schutz des Klimas geht, werden Gas- und Dampf-Kraftwerke noch einige Jahrzehnte am Netz bleiben, während Kohle- und Ölkraftwerke schneller vom Netz gehen werden.

Im Straßenverkehr spielt Erdgas nur eine untergeordnete Rolle; seine Stärke spielt es bei der Beheizung von Gebäuden aus. Weil es sofort verfügbar ist und nicht vom Wetter abhängt wie Sonnen- oder Windenergie. Und weil es wahnsinnig billig ist.

Grahams Cigar Butts

Wenn man nun diesen Deal verstehen will, drängt sich Buffetts früherer Investmentansatz auf. Die hatte er von Benjamin Graham erlernt und dieser nannte sie den Zigarrenstummel-Ansatz. Aus einer aufgerauchten Zigarre den letzten Zug hinaussaugen. Auf Unternehmen angewandt geht es darum, dass man aus einem siechenden Geschäft noch Gewinn herausziehen kann, wenn man nur billig genug einsteigt und die Reste verwertet.

Betrachtet man Erdgas als Auslaufmodell, allerdings auf mittlere und lange Sicht, dann erkennt man Buffetts Motiv. Er kauft sich ein, während der Preis des Erdgases am Boden liegt und die Branche mit hohem Wettbewerbsdruck und Pleiten konfrontiert ist. Die Unternehmen sind auf der Suche nach Geld, um über die Runden zu kommen. Der Sektor ist der am schlechtesten performende dieses Jahres und auch in den vorangegangenen Jahren war im Energiesektor kaum Geld zu verdienen. Kredite platzten, Abschreibungen waren und sind fällig.

Und nun kommt Buffett. Mit prallgefüllter Kriegskasse und kühlem Kopf. Er kauft einem strauchelnden Unternehmen sein Gas- und Speichernetz ab und dieses braucht händeringend Geld. Buffett bekommt die Assets und die damit einhergehenden stetigen Einnahmen, die durch die Weiterleitung des Gases hereinströmen. Die Energieunternehmen haben kaum Alternativen zu den Gasleitungen. Sie können das Gas schlecht in LKWs oder in Bahnwaggons füllen, das ist viel zu ineffizient und teuer. Es müssen überregionale Gasleitungen sein. Und Buffett kontrolliert nun ein Fünftel dieses Leitungsnetzes in den USA.

Die Parallele zu seinem Kauf der Eisenbahnlinie Burlington Northern Santa Fe drängt sich auf. Auch hier gibt es kaum Konkurrenz und hohe Eintrittsbarrieren für potenzielle Wettbewerber. Hinzu kommen ein hoher Investitionsbedarf und hohe regulatorische Hürden. Das nennt man einen tiefen ökonomischen Burggraben und das gefällt Warren Buffett.

Das rechnet sich doch…

Buffett liebt verlässliche Kalkulationen. Er kennt den Kaufpreis und kann die künftigen Einnahmen relativ sicher prognostizieren. Daher errechnet sich schnell und einfach ein Wert für das Objekt der Begierde. Finanzierungskosten muss Buffett nicht fürchten, denn das Geld hat er in der Kasse. Die stetigen Einnahmen sind ihm sicher, da die Lieferanten keine Alternative zu seinem Leitungsnetz haben.

Und hier schlummert ein weiterer Vorteil: es wird zunehmend schwieriger, neue Leitungen zu verlegen. Die Bürgerproteste vor Ort nehmen zu, die gesetzlichen Regelungen verschärfen sich und die Umweltauflagen werden immer strenger. Gerade erst scheiterte die von Duke Energy und Dominion Energy geplante acht Milliarden Dollar teure neue Atlantic Coast Pipeline, die über 600 Meilen hinweg West Virginia, Virginia und North Carolina verbinden sollte. Und ein Bundesgericht hat geurteilt, dass die Dakota Pipeline, die nur durch Trumps Intervention überhaupt fertig gestellt und ans Netz gehen durfte, trockengelegt werden muss. Die klagenden Indianerstämme bekamen Recht mit ihren Bedenken wegen der Gefahr für Umwelt, Grund- und Trinkwasser. Und am gleichen Tag noch erteilte der Supreme Court einer von TC Energy geplanten Öl-Sand-Pipeline eine Absage.

Wenn Leitungsbedarf vorhanden ist und nicht abnimmt, neue Leitungen aber nicht genehmigt werden, dann steigt der Wert der bestehenden Leitungen. Denn der Betreiber kann perspektivisch die Preise anheben, weil seine Kunden keine Alternative haben. Und höhere Preise bedeuten auf längere Sicht einen höheren Unternehmenswert und natürlich auch steigende Einnahmen.

Mein Fazit

Es ist nicht so, dass Buffett sich den Problemen verschließt, die aus dem Klimawandel herrühren. Seine Energietöchter sind sogar führend bei der Installation von Wind- und Solarparks. Aber Buffett ist vor allem ein kühler Rechner. Er rechnet damit, dass Erdgas noch für eine lange Zeit bei der Energieversorgung eine maßgebliche Rolle spielen wird. Er weiß, dass man auf seine Gasnetzte angewiesen sein wird, um das Erdgas von den Förderstellen zu den Kraftwerken zu transportieren. Und auch wenn es als Exportware nach Europa oder Asien verschifft werden soll, muss es aus dem Binnenland, wo es gefördert wird, zur Küste gelangen. Dabei kann man Erdgas nicht per DHL verschicken oder mit dem Zug. Es ist eigentlich nur mit Pipelines wirtschaftlich zu transportieren. Pipelines, die Buffett gehören und die ihm einen sicheren und langfristigen Einnahmestrom garantieren. Pipelines, die bereits genehmigt und in Betrieb sind. Er muss sie nicht neu bauen, sich nicht mit endlosen Planverfahren rumschlagen und sie nur am Laufen halten. Das kostet vergleichsweise wenig Geld, während potenzielle Konkurrenten vor immer größeren Hürden stehen. Ein Business mit einem tiefen ökonomischen Burggraben.

Alles in allem ist der Deal ein klassischer Buffett-Move.

Disclaimer
Berkshire Hathaway befindet sich auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot.

4 Kommentare:

  1. Alle Reden von Wasserstoff und Elektromobilität, dabei ist Erdgas als Begleiter der Energiewende unverzichtbar. Das Erdgasnetz ist ein gigantischer Energiespeicher und erlaubt die notwendige Speicherdauer um den regenerativen Strom aus dem Sommerhalbjahr über Power-to-Gas im Winter wieder verfügbar zu machen. Alle aktuellen Szenarien gehen von einem steigenden Erdgasbedarf in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aus. Das Erdgasnetz soll zudem über blend-in als Wasserstoffspeicher dienen.

    https://www.rsm.tu-darmstadt.de/media/rsm/news_rsm/Positionspapier_Energiewende_Dreizler_et_al~1.pdf

    https://www.bmbf.de/files/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf

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  2. Das ist ja interessant. Aus den im Artikel geschilderten Gründen bin ich bei UGI Corporation eingestiegen. Dieses Unternehmen erscheint mit etwas dynamischer: https://www.boerse.de/performance/UGI-Aktie/US9026811052

    Nach meiner Kenntnis gibt es bisher keine relevante Alternative zum Beheizen von Gebäuden. Neben einer ordentlichen Kursentwicklung glänzt UGI auch durch seine Dividende. Die liegt derzeit bei 4 % und wird ziemlich verlässlich um rd. 8 % jährlich gesteigert.

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  3. Hi Michael,

    wieso setzt Du in Deinem Depot nicht auch auf Erdgas? Wäre das nicht ein Gegengewicht zu den hoch gewichteten Tech-Werten?

    VG
    Jim

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    1. Ich bin seit 14 Jahren Aufsichtsratsmitglied bei einem kommunalen Energieunternehmen und das betreibt auch Netze: Wasser, Telekommunikation, Strom, Gas. Ich erlebe also seit Jahren mit, wie problematisch und schwierig es ist, in diesem Sektor Geld zu verdienen. Denn die Netzentgelte werden von der Bundesnetzagentur festgelegt und das erscheint bisweilen willkürlich. Vor allem unterliegt diese Regulierung politischen Vorgaben, die sich auch schnell mal ändern - aber die in der Erde verbuddelten und größtenteils Kredit finanzierten Netze bleiben dieselben. Während sich also die Rahmenbedingungen schlagartig ändern können (also die Einnahmeseite), ist man auf der Ausgabenseite auf Jahrzehnte gebunden. Zumal die BNA eine "Effizienzsteigerung" in den Netzentgelten festschreibt. Obwohl es Inflation gibt, obwohl Personalkosten teilweise deutlich steigen, sinken also die Einnahmen (Netzentgelte) und dies darf nicht aus anderen Sparten kompensiert werden (Stichwort "Unbundling"). Das funktioniert so aber nicht! Weil die Grundannahme, die Netze seien zu teuer und die Energieunternehmen müssten einfach nur etwas Marge abgeben, falsch ist. Dass die Netzunternehmen mit den sinkenden Netzentgelten weitgehend klarkommen, liegt nur an einem einzigen Faktor: fallende Zinsen. Jede neue Refinanzierung bringt niedrigere Zinsen und damit eine verbesserte Rentabilität. Aber wenn die Zinsen nicht mehr sinken oder gar mal wieder steigen, fliegt den Energieversorgern das Netzgeschäft total um die Ohren.

      Fazit: die Energiebranche ist total staatlich reguliert, es findet nur eingeschränkt Wettbewerb statt innerhalb festgezurrter Leitplanken. Die Politik tönt gerne, sie würde etwas gegen die hohen Kosten unternehmen, belügt dabei aber die Bürger. Denn weder die Netzentgelte noch die Margen im Energiehandel sind die großen Kostenfaktoren beim Strom-/ Gaspreis, sondern die Steuern und Umlagen. Stromsteuer, Umsatzsteuer, Energiesteuer, Umlagen für Erneuerbare Energien usw. machen den Großteil des Endverbraucherpreises aus.

      Ich finde, es gibt wesentlich attraktivere Branchen für Investments als die Energiebranche.

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