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Montag, 17. November 2025

Kissigs Nebenwerte-Analyse: Schaeffler wandelt sich vom Komponentenlieferanten zum System- und Lösungsanbieter

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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 20/2025 vom 05.11.2025

Aktien in dieser Ausgabe: Basler, Melexis, Schaeffler

Schaeffler wandelt sich vom Komponentenlieferanten zum System- und Lösungsanbieter

Die Schaeffler AG mit Sitz in Herzogenaurach ist ein weltweit tätiges Technologie- und Zulieferunternehmen mit einer langen Tradition in der Herstellung von Lagern, Kupplungen und Präzisionsteilen für die Automotive- und Industriebranche. Unter dem Leitmotiv „We pioneer motion“ versteht sich das Unternehmen als Vorreiter in der Entwicklung von Technologien, die Bewegung neu denken, sei es mechanisch, elektrisch oder digital. Dabei gewinnen Robotik und Automatisierung zunehmend an Bedeutung.

Schaeffler hat sich über Jahrzehnte vom reinen Komponentenlieferanten hin zu einem Systemanbieter entwickelt, der zunehmend in Zukunftstechnologien wie E-Mobilität, Industrie 4.0, Digitalisierung sowie Robotik und Automatisierung investiert. Diese strategische Neuausrichtung soll das Unternehmen auf lange Sicht von den zyklischen Schwankungen des klassischen Automotive-Sektors unabhängiger machen und gleichzeitig neue Wachstumsfelder erschließen. Ein besonders spannendes Geschäftsfeld ist die Kooperation mit Herstellern humanoider Roboter und die Beteiligung an Agility Robotics, durch die Schaeffler seine Position als innovativer Zulieferer für Bewegungs- und Antriebstechnologien in der Robotik weiter stärkt.

Das Geschäftsmodell der Schaeffler AG basierte traditionell auf den drei Geschäftssegmenten Automotive Technologies, Industrial Solutions und Automotive Aftermarket. Nach der erfolgreichen Übernahme von Vitesco Technologies agiert man künftig in vier Sparten: Unter Powertrain & Chassis entwickelt und fertigt Schaeffler Kundenlösungen sowohl für konventionelle Verbrennungsmotoren als auch hybrid und vollelektrische Antriebe, insbesondere Motorsysteme, Getriebesysteme und Fahrwerksysteme. Die Sparte E-Mobility bietet Lösungen über die gesamte Bandbreite der Elektrifizierungsmöglichkeiten an. Die Sparte Vehicle Lifetime Solutions verantwortet das weltweite Ersatzteilgeschäft und bietet Reparaturlösungen in Erstausrüsterqualität und unter Bearings & Industrial Solutions geht es um Wälz- und Gleitlager, Linear- und Direktantriebstechnik sowie Serviceleistungen wie Instandhaltungsprodukte und Monitoringsysteme.

Neben traditionellen Produkten setzt Schaeffler verstärkt auf hochmargige Zukunftstechnologien und Systemlösungen, die eine höhere Wertschöpfungsbeteiligung ermöglichen. Dazu gehören unter anderem E-Mobilitätsantriebe, elektronische Steuerungen, Sensorik und Robotiksysteme. Diese strategische Doppelstrategie ermöglicht es dem Unternehmen, stabile Umsätze aus dem Kerngeschäft zu sichern und gleichzeitig neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Transformation zum System- und Lösungsanbieter
Ein entscheidender Bestandteil der Unternehmensstrategie ist die Transformation vom reinen Komponentenlieferanten zum System- und Lösungsanbieter. Dies umfasst nicht nur mechanische Komponenten, sondern auch Sensorik, Aktorik, Steuerung, Software sowie digitale Services wie Predictive Maintenance. Die Digitalisierungs-Roadmap von Schaeffler definiert acht zentrale Elemente, darunter Datenanalyse, IT-Infrastruktur und Geschäftsmodellinnovation, die das Unternehmen nutzen will, um seine Produkte und Dienstleistungen zu vernetzen und zusätzliche Mehrwerte für Kunden zu schaffen.

Roadmap 2025

Ergänzend dazu verfolgt Schaeffler eine klare Portfolioentwicklung: Mit der Strategie "Roadmap 2025" und langfristig bis 2035 sollen etwa zehn Prozent des Umsatzes aus neuen, innovativen Geschäftsaktivitäten stammen, darunter Robotik, humanoide Roboter, eAviation und Defense-Anwendungen. Dieses duale Geschäftsmodell, das einerseits auf dem bewährten Zuliefergeschäft beruht und andererseits stark auf Innovation und Digitalisierung setzt, bildet das Fundament für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Schaeffler.

Ein besonders zukunftsweisendes Geschäftsfeld für Schaeffler ist die humanoide Robotik. Humanoide Roboter, also Roboter mit menschenähnlicher Gestalt, bieten ein enormes Potenzial für Fertigung, Logistik und mobile Automatisierung. Schaeffler liefert die dafür notwendigen Komponenten, wie präzise Lager, Getriebe, Gelenke und Lineartechnik, die für die Bewegungssteuerung und Stabilität humanoider Roboter entscheidend sind. Darüber hinaus ermöglicht die technologische Kompetenz von Schaeffler die Integration von Antriebs- und Steuerungssystemen, die eine hohe Präzision und Langlebigkeit gewährleisten. Damit positioniert sich das Unternehmen nicht nur als Zulieferer, sondern zunehmend als Enabler und Systempartner für die Entwicklung und den Einsatz humanoider Roboter.

Ein konkretes Beispiel für diese strategische Ausrichtung ist die Beteiligung an Agility Robotics, einem führenden Hersteller humanoider Roboter. Schaeffler hält eine Minderheitsbeteiligung und hat eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, die den Einsatz von humanoiden Robotern in den eigenen globalen Fertigungs- und Logistikstandorten vorsieht. Ziel ist es, die Roboter in der Produktion, in Logistikzentren und in Serviceanwendungen zu implementieren, um Effizienzgewinne zu erzielen und Erfahrungen im operativen Einsatz zu sammeln. Gleichzeitig kann Schaeffler durch die Bereitstellung seiner Komponenten und Systeme für Agility Robotics neue Umsatzquellen erschließen. Die Integration von Robotiklösungen in Verbindung mit digitalen Zwillingen, Edge-Computing und künstlicher Intelligenz ermöglicht zudem eine weitergehende Automatisierung und Optimierung von Produktionsprozessen.

Die strategische Bedeutung der humanoiden Robotik für Schaeffler wird durch die Präsentation auf der Hannover Messe 2025 unterstrichen, auf der das Unternehmen gemeinsam mit Partnern wie Accenture, NVIDIA und Microsoft Konzepte für die Vernetzung humanoider Roboter, mobiler Manipulatoren und digitaler Zwillinge vorstellte. Diese Konzepte demonstrieren die Zukunftsvision von Schaeffler: Roboter sollen nicht isoliert, sondern als integrale Bestandteile vernetzter Produktions- und Logistikumgebungen agieren. Durch die Kombination aus mechanischer Präzision, digitaler Intelligenz und cloudbasierter Steuerung positioniert sich Schaeffler als führender Anbieter in einem Markt, der langfristig enorme Wachstumschancen bietet.

Neben der strategischen Positionierung im Bereich Robotik verzeichnet Schaeffler auch im Kerngeschäft aktuelle Entwicklungen, die für die zukünftige Ausrichtung relevant sind. Im September 2025 fand der Capital Markets Day statt, auf dem das Management die Vision "Building the Leading Motion Technology Company" präsentierte. Dabei wurde betont, dass das Unternehmen mit der Übernahme von Vitesco Technologies gut aufgestellt sei, um in den Bereichen E-Mobilität, Fahrzeugtechnik, Industrieanwendungen und Robotik zu wachsen.

Mittelfristig soll das EBIT vor Sondereffekten verdoppelt und der Free Cash Flow deutlich verbessert werden. Besonders hervorgehoben wurde, dass bis 2035 etwa zehn Prozent des Umsatzes aus neuen Geschäftsfeldern stammen sollen, darunter humanoide Robotik, Defense und eAviation. Dies unterstreicht die strategische Relevanz von Zukunftstechnologien für Schaeffler und zeigt, dass das Unternehmen bereit ist, erhebliche Investitionen in neue Märkte zu tätigen.

Die Finanz- und konjunkturellen Rahmenbedingungen stellen jedoch weiterhin Herausforderungen dar. Die Welt-Automobilproduktion wird für 2025 voraussichtlich um etwa 1,7 % zurückgehen, was direkten Einfluss auf Schaefflers Automotive-Geschäft hat. Ratingagenturen haben den Ausblick teilweise angepasst, S&P änderte ihn von "stable" auf "negative", während Moody’s den Ausblick auf „stable“ setzte. Dies verdeutlicht, dass Schaeffler weiterhin von zyklischen Schwankungen der Automobilindustrie abhängig ist, auch wenn die langfristigen Wachstumsfelder Robotik und Digitalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus hat das Unternehmen Restrukturierungsmaßnahmen angekündigt, darunter den Abbau von 4.700 Stellen in Europa sowie die Schließung und Zusammenlegung von Standorten, um Kosteneinsparungen von rund 290 Millionen Euro jährlich bis 2029 zu realisieren. Der Stellenabbau am Standort Schweinfurt betrifft etwa 590 Stellen in indirekten Bereichen. Diese Maßnahmen sind notwendig, um die Profitabilität zu sichern, bergen jedoch zugleich Risiken für das Betriebs- und Innovationsklima.

Starke Quartalszahlen und Anhebung der Prognose

Der Lohn der Mühen zeigte sich bereits bei der Vorlage vorläufiger Zahlen für das dritte Quartal 2025. So stiegen die Umsatzerlöse währungsbereinigt um 1,3 %, während Schaeffler bei der EBIT-Marge vor Sondereffekten eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr von 3,5 auf 4,5 % erzielte.

Angesichts der höheren Profitabilität, eines strikten Working Capital-Managements und einer bedingt durch das Marktumfeld zurückhaltenden Investitionspolitik innerhalb der Schaeffler Gruppe verbesserte sich der bereinigte freie Cashflow auf 175 Mio. Euro. Und daher geht die Schaeffler AG nunmehr von einem bereinigten FCF für das Gesamtjahr 2025 von 0 bis 200 Mio. Euro aus (bisherige Prognose: -200 bis 0 Mio. Euro).

Die weiteren Finanzkennzahlen des Ausblicks auf Konzernebene werden bestätigt. Schaeffler stellt unverändert ein deutliches währungsbereinigtes Umsatzwachstum gegenüber dem Vorjahr sowie eine bereinigte EBIT-Marge von 3 bis 5 % in Aussicht. In diesem Rahmen wurde zudem der Zielkorridor für die EBIT-Marge vor Sondereffekten für die Division Bearings & Industrial Solutions für das Gesamtjahr 2025 von zuvor 5 bis 7 % auf 6 bis 8 % angehoben.

Amazon-Fantasie

Der US-Handelsriese Amazon schmiedet weitreichende Pläne zur Automatisierung seiner Betriebsabläufe und will Manpower zunehmend durch Humanoide und Roboter ersetzen und so könnten mehr als eine halbe Million Jobs ersetzt werden. Daran knüpften nun Experten an und zogen positive Rückschlüsse für Schaeffler. Ross MacDonald von der Citigroup meinte das Unternehmen sei eine seltene Möglichkeit in Europa, um vom erheblichen Wachstumspotenzial im Bereich humanoider Roboter zu partizipieren. Der Auto- und Industriezulieferer arbeite daran, ein Lieferant solcher Hardware zu werden. Schaffler sei aktuell im kleinen Rahmen an Agility Robotics beteiligt, einer Firma, deren zweibeinige Roboter bei Amazon bereits getestet würden.

Bullcase vs. Bearcase

Das Zukunftsfeld Humanoide Robotik bietet für Schaeffler ein enormes Potenzial. Durch die Beteiligung an Agility Robotics und die geplante Integration von humanoiden Robotern in eigenen Werken kann das Unternehmen sowohl als Systemzulieferer als auch als Anwender profitieren. Die Entwicklung eines Robotik-Ökosystems auf Basis eigener Technologien ermöglicht langfristige Differenzierung, höhere Margen und wiederkehrende Umsätze.

Zudem eröffnet die Transformation vom reinen Komponentenlieferanten zum Systemanbieter neue Möglichkeiten in den Bereichen digitale Services, Predictive Maintenance und vernetzte Produkte, die weniger zyklische Einnahmen generieren. Ergänzt wird dies durch die wachsende Relevanz von E-Mobilität, industrieller Automation und Robotik in globalen Märkten, wodurch Schaeffler sein Geschäft geografisch und technologisch diversifizieren kann. Investitionen in Wachstumsregionen wie Indien, wo Schaeffler jährlich 100 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren investieren will, stärken zudem die globale Position und reduzieren Abhängigkeiten.

Ein Hauptrisiko bleibt die hohe Zyklik der Automobilindustrie und Schaeffler ist nach wie vor stark von dieser Branche abhängig. Gleichzeitig steigt der Wettbewerbsdruck durch globale Zulieferer und neue Marktteilnehmer in der Robotik. Technologische Disruptionen, wie neue Antriebskonzepte oder alternative Bewegungs- und Sensortechnologien, könnten bestehende Geschäftsmodelle obsolet machen, während geopolitische Unsicherheiten, Lieferkettenprobleme und Rohstoffvolatilität zusätzliche Herausforderungen darstellen.

Fazit

Schaeffler kombiniert traditionelle technische Exzellenz und durch Beteiligungen an aufstrebenden Robotikunternehmen wie Agility Robotics und der strategischen Nutzung neuer Technologien positioniert sich das Unternehmen für langfristiges Wachstum. Schaeffler nutzt damit die Chancen der industriellen Transformation, während es gleichzeitig die Risiken des technologischen Wandels, der globalen Märkte und der Investitionsintensität steuern muss.

Mit dieser Kombination aus Tradition, Innovation und strategischer Weitsicht hat die Schaeffler AG das Potenzial, ihre Position als führender Motion-Technologieanbieter zu festigen und in den kommenden Jahren zu einem der zentralen Akteure in den Bereichen Robotik, humanoide Systeme, digitale Fertigung und E-Mobilität zu werden. Der Weg dorthin ist herausfordernd, aber die strategischen Initiativen, Partnerschaften und Investitionen zeigen, dass Schaeffler bereit ist, die Chancen zu nutzen und die Risiken aktiv zu managen, um das Unternehmen nachhaltig für die Zukunft aufzustellen.

Die 4 wichtigsten Dinge, die man über Schaeffler wissen muss

  1. Schaeffler ist ein weltweit führender Automobil- und Industriezulieferer, der sich von einem klassischen Lager- und Präzisionsteilehersteller zu einem breit aufgestellten Technologieunternehmen für Bewegungssysteme entwickelt hat.
  2. Nach der Übernahme von Vitesco Technologies agiert man künftig in den vier Sparten Powertrain & Chassis, E-Mobility, Vehicle Lifetime Solutions und Bearings & Industrial Solutions.
  3. Schaeffler positioniert sich zunehmend als Zulieferer für humanoide Roboter und stärkt diese Ausrichtung durch seine Beteiligung an Agility Robotics, um in der aufstrebenden Robotikbranche eine Schlüsselrolle zu übernehmen.
  4. Trotz der hohen Abhängigkeit vom zyklischen und kriselnden Automotivesektor hat Schaeffler durch Kostensenkungen die Wende geschafft und die Rückkehr in die Profitabilität.
Disclaimer: Habe Amazon auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.

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