▶ ÜBERSICHT | THEMENSCHWERPUNKTE

Dienstag, 30. Dezember 2025

Kissigs Börsengeschichte(n): Am 30.12.1899 übernahm AT&T die American Bell Telephone Company und schuf damit ein Monopol, das erst 1982 zerschlagen werden konnte

Am 30.12.1899 schrieb AT&T Wirtschaftsgeschichte und prägte über Jahrzehnte und zwei Weltkriege hinweg die amerikanische Telekommunikationsindustrie. AT&T war das Synonym für Telefonie in den Vereinigten Staaten, doch diese dominierende Stellung wurde nicht zufällig erreicht, sondern war das Ergebnis einer gezielten Unternehmensstrategie, technologischer Führerschaft und eines regulatorischen Umfelds, das Monopole zunächst duldete und teilweise sogar begünstigte. Ein entscheidender Meilenstein auf diesem Weg war die Übernahme der American Bell Telephone Company Ende1899. Mit dieser Transaktion konsolidierte AT&T die Kontrolle über das nationale Telefonnetz und legte den Grundstein für eines der mächtigsten privaten Monopole der US-Wirtschaftsgeschichte.

Wir werfen einen Blick auf die Übernahme von American Bell durch AT&T, beleuchten die Mechanismen und Folgen der daraus resultierenden Monopolstellung und zeichnen den langen Weg bis zum kartellrechtlichen Eingriff der US-Regierung nach, der Anfang der 1980er-Jahre in der Zerschlagung des Konzerns in die sogenannten "Baby Bells" mündete. Womit eines der mächtigsten Monopole der Geschichte beendet wurde und gleichzeitig der Grundstein für eine Entwicklung gelegt wurde, die unser Leben bis heute maßgeblich beeinflusst...

Die Erfindung des Telefons und die Rolle von Alexander Graham Bell
Die Geschichte beginnt mit der Erfindung des Telefons durch Alexander Graham Bell im Jahr 1876. Bell sicherte sich mit seinem Patent einen weitreichenden rechtlichen Schutz, der ihm und seinen Geschäftspartnern eine exklusive Verwertungsposition verschaffte. Zur kommerziellen Nutzung der Erfindung wurde 1877 die Bell Telephone Company gegründet, aus der später mehrere Nachfolgegesellschaften hervorgingen.

Schon in den frühen Jahren zeigte sich, dass der Aufbau von Telefonnetzen mit hohen Fixkosten verbunden war. Leitungen, Vermittlungsstellen und Wartung erforderten erhebliche Investitionen, was Markteintrittsbarrieren für neue Wettbewerber schuf. Diese strukturellen Eigenschaften der Branche begünstigten die Entstehung großer, integrierter Anbieter.

1885 wurde American Telephone and Telegraph Company (AT&T) zunächst als Tochtergesellschaft gegründet, um den Aufbau von Fernsprechverbindungen über große Distanzen zu organisieren. American Bell fungierte zu dieser Zeit als übergeordnete Holding, die die regionalen Bell-Gesellschaften kontrollierte und die zentralen Patentrechte hielt.

American Bell war damit das Herzstück des Bell-Systems, während AT&T zunächst eine spezialisierte Rolle einnahm. Diese Konstellation sollte sich jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts grundlegend ändern.
 

Die Übernahme von American Bell durch AT&T 

Die Übernahme von American Bell durch AT&T im Jahr 1899 war weniger eine klassische Akquisition als vielmehr eine interne Umstrukturierung. American Bell übertrug ihre Vermögenswerte und Kontrollrechte an AT&T, das fortan als neue Holdinggesellschaft fungierte. Der Hauptgrund für diesen Schritt lag im Gesellschaftsrecht des Bundesstaates Massachusetts, in dem American Bell ansässig war. Dieses setzte Grenzen für die Kapitalausstattung und die Größe von Unternehmen.

AT&T hingegen war in New York registriert, wo das Gesellschaftsrecht deutlich großzügiger war. Durch die Übertragung der Holdingfunktion auf AT&T konnte das Bell-System unbegrenzt Kapital aufnehmen und weiter expandieren.

Mit der Übernahme wurde AT&T zur zentralen Schaltstelle des amerikanischen Telefonwesens. Das Unternehmen kontrollierte nun:
  • die Patente auf zentrale Telefontechnologien,
  • den Großteil der lokalen und regionalen Telefongesellschaften,
  • die Fernleitungsnetze für nationale Kommunikation.
Diese vertikale und horizontale Integration verschaffte AT&T eine nahezu vollständige Kontrolle über den Markt. Wettbewerber hatten kaum eine Chance, da sie entweder keinen Zugang zu Netzen erhielten oder mit technischen und rechtlichen Hürden konfrontiert waren.

Die Etablierung des Telefonmonopols

Unter der Führung von Theodore Vail, einem der prägendsten Manager in der Geschichte von AT&T, entwickelte das Unternehmen eine klare Leitidee: "One Policy, One System, Universal Service". Diese Vision sah ein einheitliches, landesweites Telefonsystem unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens vor.

Vail argumentierte, dass ein Monopol in der Telefonie effizienter und im öffentlichen Interesse sei. Ein fragmentierter Markt mit mehreren Netzen würde zu Inkompatibilitäten, schlechter Servicequalität und höheren Kosten führen. Diese Argumentation fand bei vielen Regulierungsbehörden zunächst Zustimmung.

AT&T nutzte seine Marktmacht gezielt, um Wettbewerber auszuschalten oder zu übernehmen. Unabhängige Telefongesellschaften wurden entweder aufgekauft oder durch aggressive Preispolitik, Verweigerung von Interconnection und juristische Auseinandersetzungen in die Knie gezwungen.

Besonders wirkungsvoll war die Kontrolle über die Fernleitungen. Lokale Anbieter, die keinen Zugang zum nationalen Netz erhielten, waren für viele Kunden unattraktiv. So entstand schrittweise ein geschlossenes System, das AT&T vollständig dominierte.

Negative Auswirkungen der Monopolstellung

Ein zentrales Problem der AT&T-Monopolstellung war die Einschränkung des Wettbewerbs. Während AT&T selbst durchaus technologische Fortschritte erzielte, etwa durch die Forschung in den Bell Labs, wurde externe Innovation weitgehend unterdrückt.

Neue Geräte, alternative Endgerätehersteller oder innovative Dienste hatten kaum eine Chance, da AT&T streng kontrollierte, welche Technologien an sein Netz angeschlossen werden durften. Das berühmte Verbot von Fremdtelefonen ist ein häufig zitiertes Beispiel für diese restriktive Praxis.

Monopole neigen dazu, Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus festzusetzen. Auch AT&T war hiervon nicht ausgenommen. Zwar unterlag das Unternehmen einer staatlichen Regulierung, doch die Preisgenehmigungsverfahren waren oft träge und basierten auf Kostenstrukturen, die AT&T selbst definierte.

Für Verbraucher bedeutete dies häufig höhere Preise und geringere Auswahl. Insbesondere Zusatzdienste und Endgeräte waren teuer, da sie ausschließlich von AT&T oder genehmigten Partnern angeboten werden durften.

Politischer Einfluss und regulatorische Vereinnahmung

Die Größe und wirtschaftliche Bedeutung von AT&T verschafften dem Unternehmen erheblichen politischen Einfluss. Kritiker sprachen von "regulatory capture", also einer Vereinnahmung der Aufsichtsbehörden durch den regulierten Konzern.

AT&T war in der Lage, regulatorische Entscheidungen zu beeinflussen und Reformen zu verzögern, die seine Marktmacht hätten einschränken können. Dies verstärkte die Monopolstellung weiter und erschwerte einen fairen Ausgleich zwischen Unternehmensinteressen und öffentlichem Wohl.

Erste kartellrechtliche Herausforderungen

Bereits früh geriet AT&T ins Visier der Kartellbehörden. 1913 kam es zum sogenannten "Kingsbury Commitment", einer Vereinbarung zwischen AT&T und dem US-Justizministerium. AT&T verpflichtete sich unter anderem, weitere große Akquisitionen zu unterlassen und Interconnection mit unabhängigen Netzen zuzulassen.

Diese Vereinbarung stellte jedoch keinen grundlegenden Bruch dar. Das Kernmonopol blieb bestehen, und AT&T konnte seine dominierende Stellung weitgehend bewahren.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wuchs die Kritik am AT&T-Monopol. Technologischer Fortschritt, insbesondere in der Datenübertragung und später in der Computertechnik, machte deutlich, dass Wettbewerb Innovation fördern konnte. Gleichzeitig erschienen die Argumente für ein natürliches Monopol zunehmend überholt.

Das große Kartellverfahren gegen AT&T

1974 leitete das US-Justizministerium unter Berufung auf den Sherman Antitrust Act ein umfassendes Kartellverfahren gegen AT&T ein. Der Vorwurf lautete, das Unternehmen missbrauche seine Monopolstellung, um Wettbewerb in angrenzenden Märkten, insbesondere bei Endgeräten und neuen Telekommunikationsdiensten, zu verhindern. Dieses Verfahren war eines der größten und komplexesten Kartellverfahren in der US-Geschichte und zog sich über mehrere Jahre hin.

Die Kläger argumentierten, dass AT&T
  • den Marktzugang für Wettbewerber systematisch blockiere,
  • Quersubventionierungen zwischen regulierten und unregulierten Bereichen nutze,
  • Innovationen verzögere, um bestehende Geschäftsmodelle zu schützen.
AT&T verteidigte sich mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines integrierten Systems zur Gewährleistung eines flächendeckenden, zuverlässigen Telefondienstes.

Die Zerschlagung in die "Baby Bells"

1982 kam es schließlich zu einem Vergleich zwischen AT&T und dem Justizministerium. AT&T erklärte sich bereit, sein lokales Telefonnetz abzuspalten. Die operative Umsetzung erfolgte 1984.

Das Unternehmen wurde aufgespalten in AT&T als Fernleitungs- und Technologieunternehmen sowie sieben regionale Bell Operating Companies (RBOCs), die sogenannten "Baby Bells". Die Baby Bells übernahmen den lokalen Telefondienst in jeweils klar abgegrenzten Regionen. Ihnen war es zunächst untersagt, in den Fernverkehr oder in andere wettbewerbsintensive Märkte einzutreten.

Ziel dieser Struktur war es, Wettbewerb im Fernverkehr zu ermöglichen und gleichzeitig den lokalen Universaldienst zu sichern.

Folgen der Zerschlagung

Die Aufspaltung von AT&T führte zu einem deutlich intensiveren Wettbewerb, insbesondere im Fernverkehr. Neue Anbieter wie MCI und Sprint konnten Marktanteile gewinnen, was zu sinkenden Preisen und verbesserten Dienstleistungen führte.

Der Wegfall der strikten AT&T-Kontrolle erleichterte Innovationen. Neue Endgeräte, Modems und später auch Internetzugangstechnologien konnten sich schneller verbreiten. Der Telekommunikationsmarkt entwickelte sich dynamischer und kundenorientierter.

Ironischerweise kam es in den folgenden Jahrzehnten zu einer erneuten Konsolidierung. Mehrere Baby Bells fusionierten wieder miteinander, und der Name AT&T tauchte schließlich erneut als Markenname eines großen Telekommunikationskonzerns auf. Dennoch blieb die Marktstruktur deutlich wettbewerbsintensiver als im Zeitalter des ursprünglichen Monopols.

Mein Fazit

Die Übernahme von American Bell durch AT&T im Jahr 1899 markierte den Beginn eines der mächtigsten Unternehmensmonopole der modernen Wirtschaftsgeschichte. Über Jahrzehnte hinweg prägte AT&T die Telekommunikationslandschaft der USA, mit sowohl positiven als auch negativen Effekten. Während der Aufbau eines landesweiten Telefonnetzes zweifellos eine enorme infrastrukturelle Leistung darstellte, führte die monopolistische Struktur langfristig zu Wettbewerbsverzerrungen, Innovationshemmnissen und Nachteilen für Verbraucher.
 
Das kartellrechtliche Eingreifen der US-Regierung und die Zerschlagung in die "Baby Bells" stellten einen Wendepunkt dar. Sie zeigten, dass selbst scheinbar natürliche Monopole nicht dauerhaft außerhalb wettbewerblicher Kontrolle stehen müssen.

Die Geschichte von AT&T dient bis heute als Lehrbeispiel für die Herausforderungen der Regulierung netzwerkbasierter Industrien und für die Bedeutung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Effizienz, Innovation und Wettbewerb. Auch heutige Technologieriesen wie Microsoft, Apple, Meta Platforms, Amazon oder Alphabet sind ständig Gegenstand von Kartellverfahren - nicht weil sie Monopole oder extrem dominierende Marktstellungen einnehmen, sondern weil sie diese zum eigenen Vorteil ausnutzen und damit Wettbewerber gezielt behindern und/oder Verbraucher durch überhöhte Preise schädigen.

Dass die dominierenden Technologiekonzerne heute allesamt aus den USA kommen und ihnen fast nur chinesische Wettbewerber auf den Fersen sind, hat einen Grund. In den USA können sich die Unternehmen weitgehend unbehelligt durch staatliche Eingriffe entfalten und die Regulierung bzw. die Kartellbehörden greifen (erst) dann ein, wenn ihre Macht zu dominant und ausgenutzt wird. In der EU werden Innovationen bereits im Keim erstickt, weil es (zu) viele Bedenkenträger gibt und bereits in frühen Entwicklungsstadien Regulierung und Beschränkungen etabliert werden. Nicht umsonst heißt es: America innovates, China duplicates, Europe regulates. Zeit zum Umdenken!

Disclaimer: Habe Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft auf der Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen