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Donnerstag, 30. Oktober 2025

Kissigs Börsengeschichte(n): Am 30.10.1988 erreichte die "Merger Mania" an der Wall Street einen neuen Höhepunkt, als Philip Morris gierig nach Kraft Foods schnappte

Der 30. Oktober 1988 war ein ganz normaler Börsentag inmitten des Börsenwahnsinns, in den sich die Wall Street im Zuge des Fusions- und Übernahmebooms hineinsteigerte. Finanzgeschichte schrieb der Tag dennoch.

Es war das Zeitalter der Leveraged Buyouts (LBOs), als mit enormem Fremdkapital ausgestattete Hasardeure auf Firmenjagd gingen. Vor diesen "Predators" war niemand mehr sicher, weder Mittelständler noch Weltkonzern. Es war einfach zu viel Geld zu machen beim Übernehmen von Firmen und ihrem anschließenden Filettieren - denn Geld war keine Mangelware. Es wurde von Michael Milken und seinem Junk Bond-Imperium bereitgestellt, mit der die zweitklassige Investmentbank Drexel Burnham Lambert an die Spitze katapultiert hatte - und zwar in jeder nötigen Höhe. Man musste nur bereit sein, den Preis dafür zu bezahlen...

Nachdem der Republikaner Ronald Reagan 1981 zum US-Präsidenten gewählt worden war, setzte er nach Jahren mit sehr hoher Inflation und noch höheren Zinssätzen auf eine Liberalisierung der Märkte. Mit seinen "Reagonomics" kippte er eine Reihe von Bankenvorschriften, die nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 geschaffen worden waren, und entfesselte so einen wahren Börsenboom. Unter anderem wurde das Trennbankensystem beerdigt, das US-Banken verpflichtet hatte, entweder Kapitaleinlagen von Kunden annehmen zu dürfen oder als Investmentbanken zu agieren. Zudem waren sie auch auf jeweils einen einzelnen US-Bundesstaat beschränkt.

Auf Reagans Deregulierung folgten Fusionen und Übernahmen im Bankensektor und zunehmend in der ganzen US-Wirtschaft - und diese Übernahmen wurden zunehmend mit Hoch-Risiko-Anleihen finanziert, den sogenannten Junk Bonds (Ramsch-Anleihen). Die boten hohe Renditen, weil sie von Unternehmen mit niedriger Bonität begeben wurden, also von Emittenten, deren Kreditwürdigkeit nicht als "Investment Grade" galt.

In den 1980er-Jahren entwickelte sich aus diesem Nischenmarkt ein gigantisches Geschäftsfeld, angeführt von Michael Milken und seiner Investmentbank Drexel Burnham Lambert. Milken, oft als "Junk Bond König" bezeichnet, erkannte frühzeitig das Potenzial dieser riskanten Anleihen und er behauptete einfach, dass sie trotz der sehr viel höheren Zinscoupons kein höheres Ausfallrisiko bergen würden. Und Milkens Botschaft fand Gehör!

Seine Junk Bonds schufen eine bisher nie gesehenes Volumen an Finanzkraft und wurde damit zum Brandbeschleuniger im zunehmenden Übernahmeboom.  Drexel Burnham Lambert stürmte innerhalb weniger Jahre von einer allenfalls zweitklassigen Adresse zu einer der einflussreichsten Investmentbanken der USA. Die Bank finanzierte zahlreiche Unternehmensübernahmen, insbesondere sogenannte Leveraged Buyouts (LBOs), bei denen ganze Konzerne mithilfe von Fremdkapital aufgekauft wurden. Häufig dienten Junk Bonds dabei als zentrale Finanzierungsquelle. An Drexel und Milken führte kein Weg vorbei, den Milken war "der Junk Bond Markt". Mit Milkens Hilfe konnten selbst kleinere Mittelständler kraftstrotzende Großkonzerne übernehmen, was zu wahren Übernahmenschlachten führte.

Und eine solche fand im Oktober 1988 statt, als Ross Johnson, der CEO des Tabak- und Genussmittelkonzerns RJR Nabisco, versuchte, seinen eigenen Konzern zu übernehmen und zwar mittels eines LBO. Wenige Jahre zuvor erst hatte er selbst die Fusion des Tabakgiganten Reynolds mit dem Nahrungsmittelkonzern Nabisco eingefädelt und so einen breit diversifizierten Konsumgütergiganten geschaffen. Allerdings hatte Johnson sich verspekuliert, denn "sein" Plan war nicht seine eigene Idee, sondern Henry Kravis, der umtriebige CO-CEO von KKR, des damals führenden Players im Übernahmespiel an der Wall Street, war mit der Idee eines LBOs auf ihn zugekommen. Und nach einer ersten Absage fand Johnson doch noch Gefallen an der Idee - doch er wählte sich als Partner nicht KKR, sondern Shearson Lehman Hutton, eine Tochter von American Express, die selbst gerade erst die Investmentbank Lehman Brothers übernommen hatten. 

Das ganze folgte einem Plot, der jeder billigen Soap Opera zur Ehre gereicht hätte: Denn Shearson wurde Johnsons erste Wahl, weil seine Frau Laurie die besten Freundin von Linda Robinson war und deren Ehemann James D. Robinson III wiederum war Chairman & CEO von American Express. Zu erwähnen ist noch, dass das Damenduo eigentlich ein Damentrio war, zu dem auch noch Carolyne Roehm gehörte, die 1985 eine zweite Ehe eingegangen war... mit Henry Kravis. Sowas kannste dir nicht ausdenken!

Wer's genauer wissen will, dem sei das Buch "Barbarians at the Gate" empfohlen, in dem die Übernahmeschlacht um RJR Nabisco ausführlich beschrieben wird und die Henry Kravis und KKR am Ende für sich entscheiden konnten.
Aber so spannend die Übernahmeschlacht um RJR Nabisco auch war, war es doch nur eine unter vielen während der "Merger Mania". Und am 30. Oktober 1988 gab mit dem Tabakkonzern Philip Morris (heute Altria) ein weiterer Räuber seine Absicht bekannt, einen Nahrungsmittelkonzern zu übernahmen, indem ein milliardenschweres Übernahmeangebot für Kraft Foods (heute The Kraft Heinz Co.) bekanntgegeben wurde.

Es wurde ein zähes Ringen für Hamish Maxwell, den CEO von Philip Morris, und am Ende musste er John Richman und Michael Miles, den beiden Chefs des Lebensmittelkonzerns Kraft, viel mehr bezahlen, als er eigentlich gewollt hatte. Aber noch mehr wollte Maxwell Kraft Foods, denn die Diversifikation in andere Branchen galt damals als der heilige Gral der Unternehmenskunst, auch wenn Maxwell mit der einige Jahre zuvor erfolgten Übernahme von General Foods keine guten Erfahrungen gemacht hatte. Statt der zuerst gebotenen 11,5 Milliarden kostete Maxwell die Kraft-Übernahme letztlich 13,1 Milliarden Dollar und das war bedeutend mehr als die 5,8 Milliarden, die er für General Foods bezahlt hatte.
"Entweder du frisst andere, oder die anderen fressen dich, da fresse ich doch lieber."
(Hamish Maxwell)
Die Produkte der beiden Unternehmen ergänzen sich vorzüglich. General Foods bot vor allem haltbare Ware wie Puddingpulver (Jell-O), Getränke-Instant (Ce frisch) oder Kaffee (Maxwell, Hag) an, während Kraft sich auf Saucen, Käse (Philadelphia, Scheibletten) oder Teigwaren (Knack + Back) spezialisiert hatte. Kraft alleine kam damals auf ein Sortiment von rund 360 zum Teil internationalen Markenartikeln.

Maxwells großer Vorteil war der enorme Cashflow, den seine Zigaretten damals generierten. Die für General Foods aufgenommenen Kredite waren bereits weitgehend abbezahlt und die weiteren 12 Milliarden Dollar, die für Kraft Foods anfielen, konnten auch innerhalb weniger Jahre abgestottert werden. Auf die extrem teuren Junk Bonds war Philip Morris auch angesichts eines Cashbestands von zwei Milliarden Dollar nicht angewiesen und hatte daher finanziell leichte(re)s Spiel.

Fun Fact am Rande: Als die Junk Bond-Ära am 19. Oktober 1987 am "Schwarzen Montag" (ver)endete war KKR noch mit seiner Übernahme von RJR Nabisco beschäftigt. Bis zum Vollzug dauerte es noch eine längere Zeit und am Ende musste KKR große Teile abstoßen, um nicht an seinen Krediten selbst zu ersticken. Und so fand einige Zeit später Nabisco seinen Weg in den Schoß von... Kraft Foods.
Doch das Ende ist bekannt: Die Konglomerate hatten ihre Zeit, doch spätestens mit dem Abdanken von Jack Welch bei General Electric zeigte sich, dass Peter Lynch mit seiner Kritik am "Diworsifizieren" Recht hatte. 
Und so begann Philip Morris/Altria, sich auf sein Kerngeschäft zu fokussieren und Randbereiche abzustoßen. Für die Nahrungsmitteltochter Kraft Foods wählte man einen Spin-off und verschenkte sie im Jahr 2005 an die eigenen Aktionäre. Später teilte sich Kraft selbst in zwei Unternehmen auf und separierte sein Keks-und Snackgeschäft als Mondelez International - ebenfalls via Spin-off an seine Aktionäre. Kraft wiederum wurde dann von Warren Buffett und 3G Capital übernommen, die zuvor schon die Mehrheit an Heinz Ketchup übernommen hatten. Und so entstand 2015 The Kraft Heinz Co. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, denn Kraft Heinz kriegte die PS nie richtig auf die Straße und so hat man kürzlich beschlossen, sich in zwei Unternehmen aufzuspalten. Die beiden neuen Unternehmen werden sich auf Marken wie Heinz, Philadelphia und Kraft Mac & Cheese konzentrieren, während das verbleibende Kraft Heinz-Unternehmen sich auf schneller wachsende Marken wie Heinz-Ketchup und Grey Poupon konzentrieren wird. To be continued...

Wie heißt es so schön? Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Und das gilt auch bei Fusionen und Übernahmen, wo immer wieder externes Wachstum und Stärke zugekauft wird, um irgendwann Randbereiche und Low Performer wieder abzustoßen. Wer davon profitieren will, kann dies auf einfache Art und Weise tun: es kann sich die Aktien eines der Finanzinvestoren ins Depot legen, die diese Prozesse gestalten und (meistens) kräftig daran verdienen. Und meine Wahl fiel schon früh auf... KKR. Wen auch sonst? ツ

Alles Gute für euer Geld!
Euer Börsenbarde
Michael C. Kissig

Disclaimer: Habe GE Aerospace, KKR, Mondelez auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

1 Kommentar:

  1. Hallo Michael, ich mag deine historischen Erzählungen. Danke!

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