Freitag, 9. April 2021

Kissigs Aktien Report: Zündet der Zinsturbo bei Allianz und Deutscher Bank?

Im Rahmen meiner Kooperation mit dem "Aktien Report" von Armin Brack nehme ich mir in unregelmäßigen Abständen interessante Unternehmen vor. Die Ausgaben des "Aktien Reports" und/oder "Geld Anlage Reports" erreichen ihre Leser samstags kostenlos und "druckfrisch" im Email-Postfach und man kann sich ▶ hier beim "Geld Anlage Report" anmelden. Bonbon für die Leser meines Blogs: einige Tagen später darf ich die Analysen dann auch hier veröffentlichen.

Aktien Report Nr. 37 vom 02.04.2021

Zündet der Zinsturbo bei Allianz und Deutscher Bank?

Seit vielen Jahren ist die Allzweckwaffe der Notenbanken die Liquidität. Mit ihr wird jedes Problem angegangen und – vermeintlich – gelöst. Allerdings hat diese Behandlungsmethode einige Nebenwirkungen, zu denen gehören Inflation und Abhängigkeit. Die Wirtschaft, die Politik und die Börsen sind süchtig nach frischem billigem Geld. Sie leben davon, dass dieser stete Zustrom nicht abreißt und jede auch noch so kleine Andeutung, es könne damit irgendwann mal vorbei sein, wird hochgradig nervös aufgenommen. Zuweilen lösen Notenbanken sogar Crashs aus, wie 2000 oder 2018. Beide Male hatte die US-Notenbank in mehreren Schritten die Leitzinsen angehoben und in beiden Fällen reagierten die Börsen etwas später mit massiven Abverkäufen.

Und da sind wir schon bei einem weiteren starken Einflussfaktor, den Zinsen. Die Notenbanken steuern die Geldmenge und auch den Preis für dieses Geld. Der Leitzins ist der Zins, den Banken bei der Notenbank bezahlen müssen, wenn sie sich dort mit Geld versorgen. Dieses Geld können sie dann an ihre Privat- und Geschäftskunden verleihen und an der Zinsdifferenz verdienen, also eine Marge einstreichen. Erhöht die Notenbank den Leitzins, steigen auch die Zinsen für Verbraucherkredite und Hypotheken, bei einer Leitzinssenkung passiert das Gegenteil.

Aber auch auf den Anleihemarkt wirkt sich die Leitzinsveränderung aus, denn diese verzinslichen Wertpapiere stehen in Konkurrenz zu anderen Geldanlagen.

Soweit die Theorie über die Macht der Notenbanken. In der Praxis sieht das etwas anders aus, da die Finanzströme inzwischen global sind und die Notenbanken einzelner Länder oder Regionen nicht mehr alleine für ihren Bereich Entscheidungen treffen können. Naja, können tun sie schon, aber die Auswirkungen sind nicht mehr regionaler, sondern globaler Art. Denn wenn die US-Notenbank die Zinsen deutlich anhebt, dann macht sie Dollar-Anleihen attraktiver und das zieht Geld aus dem Euroraum und China ab. Geld, das dort dann nicht mehr für Investitionen zur Verfügung steht. Und gleichzeitig sorgt die zusätzliche Nachfrage nach Dollar-Anleihen dafür, dass der Dollar steigt, während die anderen Währungen gegenüber dem Dollar an Wert verlieren. Das macht deren Importe aus den USA teurer, verbilligt aber gleichzeitig ihre Exporte in den Dollarraum. Daher reagieren die anderen Notenbanken der Welt gegebenenfalls mit eigenen Zinsanpassungen, um die von ihnen gewünschten Steuerungseffekte auszulösen. Im dümmsten Fall entwickelt sich auf diese Art ein Währungskrieg, bei dem am Ende alle verlieren. Und deshalb koordinieren die führenden Notenbanken der Welt ihre Aktionen.

Zuletzt ist jedoch zu beobachten, dass die Zinssätze an den Anleihemärkten deutlich gestiegen sind, während die Notenbanken die Zinsen auf niedrigstem Niveau belassen haben. Die Erklärung liegt in einem schon länger vergessenen oder zumindest verdrängten Phänomen: der Inflation. Inflation ist Geldentwertung. Früher kannte sie jeder, sie kann sich sogar zu einer Hyperinflation auswachsen und so ganze Volkswirtschaften zerstören. Deutschland hat das mehrfach erlebt, auch wenn das zum Glück lange her ist. Als Folge der Weltwirtschaftskrise und der deutschen Reparationszahlungen an England und Frankreich aufgrund des verlorenen 1. Weltkriegs druckte die Reichsbank immer mehr Geld, um die ausufernden Schulden bezahlen zu können. Daher verlor die Reichsmark ständig an Wert. Die Menschen gaben ihr Geld daraufhin immer schneller aus, weil seine Kaufkraft zügig abnahm und man am Ende der Woche weniger Butter für den Groschen bekam als noch zum Wochenstart. Diese Geldentwertungsspirale drehte sich immer schneller und bald kosteten Seife oder Brot Millionen Reichsmark und wenn ein Arbeiter abends seinen Wochenlohn erhielt war der am nächsten Tag kaum noch etwas wert. Die alten Geldscheine wurden mit neuen Summen bedruckt, aus 100 Reichsmark wurden so über Nacht eine Million Reichsmark. Deutschland war ein Land der Millionäre, aber alle waren arm.

Eine zu große Geldmenge, die von der realen Wirtschaft abgekoppelt ist, sorgt für Inflation. So ist die Lehre. Aber obwohl die Notenbanken seit Jahren immer mehr Geld drucken und ins System pumpen und längst zu Finanziers der Regierungen geworden sind, weil sie deren Anleihen aufkaufen, liegt die Inflationsrate deutlich unterhalb der "gesunden Teuerungsrate" von zwei bis drei Prozent. Denn eine leichte Inflation ist gut für die Wirtschaft, gut für einen wachsenden Wohlstand.

Die Frage ist, wo das viele Geld geblieben ist, wenn es denn nicht in den Konsum floss und so die Preise und damit die Inflation anheizte. Und die Antwort ist: es gibt eine Inflation, nur eben nicht die klassische Kaufpreisinflation, sondern eine Sachwertinflation. Die Preise für Immobilien, für Gold, für Kunst und für Aktien schießen seit Jahren in die Höhe und bringen zweistellige Renditen pro Jahr. Dabei spielen Aktien langfristig "nur" um die sieben Prozent ein (inflationsbereinigt).

Inflation zieht an, Zinsen steigen

Seit Jahresanfang hat die Inflation einen Sprung gemacht und damit die Angst vor Eingriffen der Notenbanken erhöht. Was die Zinsen am Anleihemarkt in die Höhe trieb. Dabei betonen die Notenbanken, sie würden an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten und dass sie die gestiegenen Inflationsraten nicht für problematisch halten.

Und in der Tat, die Inflation muss niemandem Sorgen bereiten. Noch nicht. Denn sie ist einerseits bewusst von den Regierungen selbst ausgelöst worden, in dem weltweit Verschmutzungszertifikate für CO2-Emissionen verteuert wurden. Dadurch steigen die Energiepreise, die eine gewichtige Rolle im Warenkorb spielen, mit dem die Inflation gemessen wird.

Darüber hinaus orientieren sich die Notenbanken nicht mehr sklavisch an der alten Zwei-Prozent-Marke, sondern sowohl die FED als auch die EZB haben vor einiger Zeit erklärt, sie würden nun mit mittelfristigen Durchschnittswerten agieren. Und der Effekt ist enorm. Überschritt die Inflation bisher die Marke von zwei Prozent, hob die Notenbank die Leitzinsen an, um die Inflation zu dämpfen. Künftig wird sie dies nicht mehr tun, sondern sie schaut auf den durchschnittlichen Wert mehrerer Jahre. Und da die Inflation seit Jahren unter zwei Prozent liegt, könnte sie sogar auf drei, auf vier, auf fünf Prozent ansteigen, ohne dass ihr langjähriger Mittelwert sich auf zwei Prozent hochschraubt. Die Notenbanken lassen der Inflation also ihren Lauf – wenn sie denn kommt.

Und auch das hat Folgen, denn wenn Geld pro Jahr statt ein Prozent gleich vier Prozent an Wert verliert, will man das ja irgendwie ausgleichen. Auf dem Sparbuch mit 0,1 Prozent Zinsen würde man am Ende sogar real 3,9 Prozent weniger Geld(wert) zur Verfügung haben. Kein sonderlich gutes Geschäft. Also werden Alternativen attraktiver, wie Sachwerte. Diese gelten als Inflationsschutz. Gleichzeitig werden Anleihen weniger attraktiv. Wer will schon noch eine zehnjährige Anleihe kaufen, die nur ein Prozent Zinsen abwirft, die man auch noch versteuern muss, wenn die Geldentwertung vier Prozent wegknabbert? Also werden diese Anleihen verkauft und ihr Preis sinkt – und je niedriger der Preis, desto höher steigt ihre Rendite. Was bei der Ausgabe neuer Anleihen dazu führt, dass diese sofort mit höheren Zinscoupons ausgestattet werden, weil sie sonst keiner kauft.

Und an diesem Punkt sind wird gerade…

Obwohl die Inflationsrate lediglich auf 1,3 Prozent "hochgeschnellt" ist, sind die Märkte nervös und rechnen mit weiteren Inflationsschüben. Die Wirtschaftsprognosen sehen eine deutliche Erholung für 2021 und vor allem 2022 vor, die USA haben ihr 2,9-Billionen-Dollar-Stimuluspaket in der Umsetzung und Präsident Biden hat umgehend ein weiteres in Angriff genommen, bei dem er weitere 2,0 Billionen Dollar in die US-Infrastruktur investieren will. Es wird also noch mehr Geld gedruckt, das dann aber in die Wirtschaft fließen soll. Das kann die Inflation gleich von zwei Seiten anheizen. Daher steigen die Anleihezinsen und die Anleihekurse fallen.

Auswirkungen auf Aktienkurse

Der heutige faire Aktienkurs eines Unternehmens ist die Summe aller in seiner noch vorhandenen Lebensdauer zu erzielenden Gewinne. Die Gewinne in der Zukunft sind, dank der Geldentwertung, weniger Wert als die heutigen. Ein Dollar Gewinn in 2021 ist mehr wert als ein Dollar Gewinn in 2030. Daher werden sie entsprechend abgezinst. Der Abzinsungsfaktor bestimmt sich wiederum nach dem anzunehmenden Zinsniveau in den jeweiligen Jahren. Und zuletzt ging man von dauerhaft niedrigen Zinsen aus, so dass die Gewinne in der Zukunft nur ein bisschen weniger wert waren als die heutigen. Nun steigen die Zinsen und die Inflationsängste sorgen dafür, dass momentan weitere Zinssteigerungen angenommen werden. Also müssen die Abzinsungsfaktoren hochgesetzt werden, was die zukünftigen Gewinne weniger wertvoll macht und damit auch die Gesamtsumme aller zu erzielenden Gewinne des Unternehmens. Folglich reduziert sich auch der heutige faire Wert der Aktie.

Das muss nicht bedeuten, dass der Kurs fällt, denn Kurs und Wert einer Aktie klaffen an der Börse meistens weit auseinander. Denn der Kurs richtet sich nicht nach dem Wert, sondern allein nach Angebot und Nachfrage. Der faire Wert ist lediglich ein Orientierungspunkt (und der zentrale Anker für Value-Investoren).

Und da sind wir an dem Punkt, wo wir die Kuh über den Eimer schieben müssen. Wachstumsaktien leiden unter steigenden Zinsen besonders, weil sie heute keine großen Gewinne einfahren, sondern all das hereinkommende Geld (Cashflow) in ihr Wachstum stecken. Ihre Gewinne liegen in der Zukunft, oft in weiter Zukunft. Und wir wissen ja nun, dass steigende Zinsen diese zukünftigen Gewinne entwerten. Daher machen steigende Zinsen Wachstumsunternehmen weniger attraktiv.

Im Gegenzug werden daher, relativ betrachtet, Unternehmen wertvoller, deren Gewinne zeitnah eintrudeln. Was in der Regel die sogenannten Value-Aktien sind. Wie Konsumwerte, Pharmaunternehmen. Und dann noch, je nach Konjunkturlage, zyklische Aktien, wie Automobilhersteller, Chemieunternehmen oder Stahlwerte. Und, oh Wunder, genau diese Aktien haben sich zuletzt viel besser geschlagen als viele Wachstumswerte und den DAX sogar erstmals über die magische Marke von 15.000 Punkten getrieben.

Faktor Pensionsrückstellungen

Denen kommt noch ein weiterer Aspekt zugute, der mit höheren Zinsen einhergeht: Pensionsforderungen. Viele Industrieunternehmen haben für ihre Angestellten betriebliche Altersversorgungen abgeschlossen. Und um diese bedienen zu können, bilden sie Rückstellungen in ihren Bilanzen. Bei sinkenden Zinsen und steigender Lebenserwartung wurde das immer teurer. Denn das Geld wird ja nicht wirklich in einen Fonds gelegt und erzielt dort Rendite, sondern es handelt sich um einen Buchungsposten. Der Abfluss erfolgt "realtime", wenn die Zahlung fällig ist. Und je niedriger die heutigen Zinsen, desto höher der Betrag, den man heute für die Zukunft zurücklegen muss. Daher haben viele Unternehmen in den letzten Jahren immer wieder ihre Pensionsrückstellungen erhöhen müssen, was die Gewinne belastet hat. Steigen nun die Zinsen, entsteht der gegenteilige Effekt und die Rückstellungen können gegebenenfalls sogar teilweise wieder aufgelöst werden. Was den Gewinn im betreffenden Jahr zusätzlich hochtreibt.

Es gibt aber auch noch Unternehmen, die aus anderen Gründen von steigenden Zinsen profitieren: Finanzwerte, wie Banken und Versicherungen.

Deutsche Bank

Banken leben im klassischen Bereich von der Zinsmarge. Sie zahlen Kunden Zinsen für Spareinlagen und verleihen es anderen Kunden zu höheren Zinssätzen zum Kauf von Möbeln, Autos oder Immobilien. Über viele Jahre lag diese Zinsmarge bei auskömmlichen zwei Prozent und hieraus musste die Bank ihre Kosten decken und auch die Risikovorsorge, weil ja nicht alle Kredite zurückgezahlt werden (können).

Dabei ist für die Banken das Zinsniveau grundsätzlich nicht entscheidend, denn ob man Geld für sechs Prozent annimmt und es für acht Prozent verleiht, oder ob man drei Prozent bezahlt und fünf Prozent einstreicht, ist letztlich egal, solange die Marge steht.

Die immer weiter sinkenden Zinsen haben aber das Spiel verändert. Auf einmal war die emotionale Grenze erreicht, als nämlich die Zinsen für Spareinlagen bei der Nullgrenze angelangt waren. Die Banken weigerten sich lange, von ihren Kunden negative Zinsen zu verlangen. Was bedeutet, dass man der Bank Geld leiht und dafür auch noch "Strafzinsen" bezahlen muss.

Doch die Notenbanken haben keinerlei Gewissensbisse, genau dieses von den Banken zu fordern. Dazu muss man wissen, dass die Banken nicht ganz frei sind in ihren Entscheidungen. Sie müssen schon seit Jahrzehnten eine Mindestreserve bei der Zentralbank vorhalten und diese wird verzinst. Oder wurde. Inzwischen ist der Zinssatz deutlich negativ und die Banken müssen für das zwangsweise bei der Zentralbank gebunkerte Geld auch noch Zinsen an diese bezahlen. Je mehr Geld die Sparer der Bank aufs Konto packen, desto höher die Mindestreserve. Und wenn die Bank selbst immer höhere Strafzinsen an die Zentralbank zahlen muss, aber ihren Kunden selbst keine Negativzinsen abverlangt, schrumpft ihre Zinsmarge und damit ihr Gewinn. Daher versuchen die Banken seit Jahren, ihre Kosten zu senken und sich alternative Geldeinnahmequellen zu erschließen.

Man findet heute kaum noch Banken, die kostenlose Girokonten anbieten. Das war über fünfzehn Jahre das große Argument in der Kundengewinnung, aber heute rechnet sich das nicht mehr. Also heißen die Konten jetzt Mehrwertkonten oder so ähnlich, aber vor allem kosten sie jetzt wieder richtig Geld. Für Buchungen, Geldabhebungen, Kreditkarten.

Des Weiteren dringen Banken und Sparkassen in den Immobiliensektor vor. Sie haben eigene Abteilungen für die Immobilienbewertung und den Immobilienvertrieb, teilweise sind sie inzwischen selbst als Projektentwickler tätig. Und natürlich verkaufen sie immer häufiger Versicherungen, um die Provisionen einzustreichen.

Und am Ende… führen sie immer häufiger eben doch Negativzinsen für ihre Kunden ein. Zunächst traf es die Firmenkunden, dann auch die Privatkunden. Diese sind inzwischen an die Hiobsbotschaften gewöhnt und nehmen Strafzinsen und Kontogebühren weitgehend klaglos hin.

Und nun steigen die Zinsen. Die Banken können also für Kredite von ihren Kunden mehr verlangen – aber sie zahlen nicht mehr auf Spareinlagen. Die Zinsmarge verbreitert sich also wieder und das erhöht die Gewinne der Banken; die aber dennoch weiterhin kräftig Filialen schließen, Personal entlassen und Kosten senken.

(Moderat) steigende Zinsen sind also gut für Banken, weil sie die Gewinne befeuern. Daher steigt die Attraktivität der Aktien der Deutschen Bank als Sektor-Schwergewicht im DAX.

Risiken beachten

Allerdings muss man auch die Risiken im Blick behalten. Es gilt noch das "Insolvenzverschleppungsgesetz", das nun aber bald ausläuft. Damit wird die Verpflichtung zur Insolvenzanmeldung wieder in Kraft gesetzt, die seit fast einem Jahr ausgesetzt ist. Geschäftsführer haften persönlich dafür, wenn sie dies versäumen. Aber in der Krise durften sie die eigentliche Gesetzeslage ignorieren. Was nun zu einem starken Nachholeffekt führen dürfte. Mit entsprechendem Abschreibungsbedarf bei den Krediten und damit Ergebnisbelastungen bei den Banken.

Auch der verstärkte Kündigungsschutz bei Nichtzahlung der Miete holt die Schuldner bald ein. Die Mieten durften ausgesetzt werden, aber nun müssen sie nachgezahlt werden. Das dürfte viele in die Privatinsolvenz führen und so zu Ausfällen bei Verbraucherkrediten führen.

Darüber hinaus wurden aufgrund der Finanzkrise die Eigenkapitalvorschriften für die Banken deutlich erhöht. Insbesondere die EZB hat angesichts der Corona-Pandemie hier aber die Zügel bewusst locker gelassen, weil man ja wollte, dass die Banken die Wirtschaft mit Geld versorgen. Nun steht die Rückkehr zum Normalzustand an und das wird die Kernkapitalquoten vieler Banken deutlich senken. Doch diese sind der Schlüssel zum Bankenstresstest, weil man sich weltweit auf Standards für die Banken verständigt hat: Basel III ist der aktuelle Maßstab. Sinken die Kernkapitalquoten deutlich ab, muss neues Kernkapital beschafft werden. Also stehen Kapitalerhöhungen an oder die Banken werden abgewickelt oder zwangsfusioniert. Keine schönen Aussichten für die Aktionäre.

Und dann war da noch die Hedgefonds-Pleite. In der letzten Woche brachen einige Aktienkurse massiv ein, wie der von ViacomCBS, der um mehr als 50 % abstürzte. Grund war nicht etwa die angekündigte Kapitalerhöhung, sondern die Zwangsliquidierung des Hedgefonds Archegos von Bill Hwang. Der hatte im großen Maßstab auf Kredit Aktien gekauft und konnte seinen Margin Call nicht bedienen. Mit anderen Worten, er hätte Kapital nachschießen müssen, was er nicht konnte. Und deswegen haben die kreditgebenden Banken, allen voran die Credit Suisse, seine Aktienpositionen in großen milliardenschweren Paketen zum Verkauf gestellt. Und deren Aktienkurse abstürzen lassen. Neben ViacomCBS traf es auch Discovery und Baidu sowie GSX Tech Edu und Tencent Music.

Inzwischen ist klar, dass auch die Deutsche Bank zu Hwangs Kreditgebern gehörte. Unklar ist noch, ob und gegebenenfalls wie hoch sie hieraus Verluste erleiden wird. Viel schlimmer ist allerdings, dass Hwang wohl – mal wieder – sämtliche rechtlichen Hürden ausgetrickst und sich viel mehr Kredit beschafft hatte, als es zulässig war. Und er hat auch das wahre Ausmaß einzelner Aktienpakete verschleiert und damit das Risiko enorm aufgeblasen. Was den Banken und der Börsenaufsicht nicht aufgefallen ist. Und die Frage aufwirft, wie viele solcher Risikopositionen die Banken bei anderen Hedgefonds wohl noch in den Büchern haben.

Allianz

Versicherungen leiden ebenfalls unter dem niedrigen Zinsniveau. Sie nehmen den Flow "Float" ein, also den stetigen Strom aus Versicherungsbeiträgen, sie sammeln ihn und zahlen später hieraus die Versicherungsleistungen aus. Kalkulieren sich richtig und gut, haben sie zuvor mehr Prämien eingestrichen, als sie am Ende auszahlen müssen.

Da diese Prämien aber zumeist für lange Zeit im Versicherungsunternehmen bleiben, bevor sie ausgekehrt werden müssen, kann die Versicherung dieses Geld auch für sich arbeiten lassen und so zusätzlich Gewinne einstreichen. Warren Buffett ist der Großmeister auf diesem Gebiet.

Das Geld stecken die Versicherungen in Immobilien, in Anleihen und in Aktien. Leider nur zu einem geringen Teil in Aktien, jedenfalls in Deutschland. Dem entsprechend hoch ist der Anteil von Anleihen im Portfolio der Versicherungskonzerne.

Die fallenden Zinsen haben daher gleich verschiedene Wirkungen auf die Versicherungen. Einerseits sinken ihre Zinserträge, was auch die Leistungen für die Versicherten schmälert. Wer eine Kapitallebensversicherung oder eine private Rentenversicherung abgeschlossen hat, kennt die jährlichen Schreiben der Versicherungen mit den Absenkungen des Garantiezinses.

Auf der anderen Seite haben die Versicherungen aus den sinkenden Zinsen auch Gewinn erzielt. Weil nämlich sinkenden Zinsen die Kurse für die börsennotierten Anleihen in die Höhe treiben, konnten die Versicherungen hieraus Kursgewinne realisieren, was kurzfristig die Gewinne erhöht, aber langfristig das Zinsergebnis noch weiter drückt.

Steigende Zinsen bieten den Versicherungen also perspektivisch neuen Spielraum, um wieder bessere Zinsergebnisse einzufahren. Insofern ist verständlich, weshalb sie als Profiteure steigender Zinsen angesehen werden.

Keine Chance ohne Risiko

Auf der anderen Seite entsteht ihnen aber ein Problem. Denn sie haben ja jetzt schon viele börsennotierte Anleihen im Portfolio. Steigende Zinsen bedeuten sinkende Anleihekurse – daher müssen die Papiere entsprechend abgewertet werden und das sorgt für Verluste. Während also das Geschäftsmodell langfristig von steigenden Zinsen profitiert, führen sie auf kurze Sicht bei den Unternehmensgewinnen zu Einbußen. Und diese werden letztlich an die Versicherten und die Aktionäre ausgeschüttet.

Mein Fazit

Finanzwerte gelten gemeinhin als Profiteure steigender Zinsen. Doch keine Chance kommt ohne Risiken daher. Und so sollten Anleger nicht blind einfach irgendwelche Aktien aus dem Finanzsektor kaufen, sondern sich genau(er) mit den einzelnen Werten auseinandersetzen. Vor allem mit den Risiken.

"Ein Investment liegt immer dann vor, wenn nach einer gründlichen Analyse in erster Linie Sicherheit und erst im Anschluss daran eine zufriedenstellende Rendite steht."
(Benjamin Graham)

Benjamin Graham, Warren Buffetts Ziehvater und Mentor, mahnt uns, immer zuerst die Risiken im Blick zu haben, bevor wir uns von den Chancen berauschen lassen. Ein Rat, dem unbedingt und immer zu folgen ist, will man finanziellen Schiffbruch vermeiden.

Anleger sollten sich daher genau überlegen, ob die Aktien der Allianz oder der Deutschen Bank jetzt größere Chancen bieten als Risiken. Die steigenden Zinsen bergen nämlich beides. Wer indes profitiert, weil er sowohl Value-Unternehmen im Depot hat als auch vom Flow aus Versicherungsprämien profitiert wie kein zweiter, ist Warren Buffett. Die Aktien des wohl weltbesten Investors stehen nahe am Allzeithoch und mit 390.000 Dollar ist die A-Aktie von Berkshire Hathaway die teuerste Aktie der Welt. Zum Glück gibt es auch die B-Aktie, die lediglich 258 Dollar kostet. Das Unternehmen ist für alle Entwicklungen gut gewappnet und stellt eine mehr als bedenkenswerte Alternative zu deutschen Finanztiteln dar. Wer sich den langfristigen Kursverlauf ansieht, erkennt schnell, dass dies schon seit mehr als 50 Jahren so ist. Und so lange leitet auch Warren Buffett schon die Geschicke bei der ehemaligen Textilfabrik, die er zur erfolgreichsten Investmentholding aller Zeiten umwandelte…

Disclaimer: Habe Berkshire Hathaway auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.

7 Kommentare:

  1. Hallo Michael,

    Danke für den interessanten Beitrag, insbesondere die Hintergründe zu Hwang und potentiellen Gefahren daraus für Banken als Kreditgeber. Hatte ich in der Form noch nicht auf dem Schirm. Banken sind für mich aber als Investment-Idee ähnlich tabu wie die Automobil-Branche, ich kann das einfach langfristig nicht einschätzen.

    Bei Versicherungen hab ich mich kürzlich für einen Rückversicherer, die Hannover Rück, entschieden. Hier passen für mich Bilanz, Marktposition, Kontinuität und auch Preissetzungsmacht als gut positionierter Rückversicherer (Erhöhung Prämien bei neuen Risiken, wie z.B. jetzt durch Corona) ganz gut. Wobei die Allianz von den reinen Versicherern sicher ein guter Pick ist.

    Zum Thema Buffett: wie stehst du zu seinem immer noch sehr hohen Anteil an Apple von (ca. 43,5%)? Gerade wenn man Berkshire immer als Value anpreist, so ist Apple ja eher so ein Zwitter aus Tech und Value --> Kontinuierliche Cashflows und ein erprobtes Business-Modell, jedoch bewertet wie Tech. Für dich kein Grund für oder gegen Berkshire?

    Grüße
    Tom

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Apple ist ja inzwischen eher ein defensiver Konsumwert als ein High Tech-Wachstumsunternehmen. Seine Cashflow-Generierung ist atemberaubend, seine Aktienrückkäufe stützen den Kurs und treiben das EPS weiter hoch, die Abhängigkeit von den Iphone-Verkäufen sinkt sukzessive und die Gewinne werden auf eine breitere Basis gestellt (Apple Watch, Services). Ist also ein tolles Unternehmen, das jeder als Basisinvestment im Depot haben sollten/kann.

      In Buffetts Investmentdepot ist es die mit Abstand größte Einzelposition. Das stört mich aber überhaupt nicht. 1. Wegen der Qualität, die ich eben beschrieben habe. 2. Weil das Investmentdepot nur einen Teil von Berkshires Vermögen ausmacht (ca. 40%). Berkshire hat viele nicht börsennotierte Unternehmen und auch ausländische Beteiligungen, die nicht in seinen 13Fs auftauchen und nochmals rund 40% beisteuern. Dazu gehören BNSF, BH Energie, Precision Castparts, Durcaell, BH Real Estate, Geico und andere Versicherungen sowie die Japan-Beteiligungen, die er letzten Sommer für $6 Mrd. gekauft hat. Der Rest ist Cash, knapp unter $150 Mrd. Zusammengenommen macht Apple also rund 17% des Berkshire-Vermögens aus. Und das klingt jetzt nicht mehr ganz so nach dramatischer Übergewichtung, oder?

      Löschen
    2. Danke für deine Antwort. 17% klingt etwas weniger kritisch. Trotzdem sollte man bei einem Kauf von Berkshire sicher dann auch seinen Frieden mit dem Invest bei Apple gemacht haben. Auf der anderen Seite ist es ggf. eine interessante Möglichkeit, Apple anteilig mit aufzunehmen, aber eine breite weitere Streuung mit anderen Value Werten zu haben. Hab Berkshire an sich schon lange auf dem Schirm, leider den Corona Zug verpasst, da andere Werte im letzten Jahr aufgenommen bzw. aufgestockt.

      Hab ein schönes WE
      Tom

      Löschen
  2. Wie immer sehr guter & lesenswerter Beitrag von Ihnen.
    Bloß eine kleine Korrektur zum verwendeten "Flow": Das ganze nennt sich im Versicherungssprech "Float", nicht "Flow". Ändert aber inhaltlich nichts und wollte mich in 1.Linie hier auch für ihren regelmäßigen & sehr interessanten Content mal bedanken.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hrgs... Danke für den Hinweis, ich schreibe immer wieder Flow (vermutlich weil ich an Cashflow denke) und nicht Float, wenn ich den Strom an Versicherungsprämien meine. Hab's im Artikel korrigiert.

      Löschen
  3. Hallo Michael,

    vielen Dank für einen regelmäßigen und kostenlosen hochqualitativen Content auf diesem Blog. Deine rational begründeten Analysen und dein Verständnis der Märkte helfen mir sehr dabei, dass Big Picture für mich selber immer wieder neu einzuordnen.

    Da ich die Kommentare - und die darin enthaltenen zusätzlichen Details durch die anderen User - als sehr bereichernd empfinde möchte ich diesmal auch eine Kleinigkeit zu deinem Artikel ergänzen.

    1. Deine Veranschaulichung des Bankgeschäfts durch Hereinnahme von Kundeneinlagen und Ausgabe von diesen in Form von Krediten, ist so nicht ganz korrekt. In Europa haben wir ein nachgelagertes friktionelles Reservesystem, bei dem der erste Schritt die Geldschöpfung ist und diese erst im Nachhinein mit einem Teil des von den Banken gehaltenen Zentralbankgeldes als Reserven hinterlegt werden muss. Das Geld, dass von den Banken verliehen wird, sind daher nicht die Kundeneinlagen, sondern von der Bank neu geschöpftes Geld!!!
    Die Geschäftsmodelle der Banken sind wie du schon angedeutet hast mittlerweile deutlich komplexer als das bloße (regionale) Kreditvergabegeschäft, daher ist auch die Motivation für die Neukundengewinnung von Bank zu Bank unterschiedlich. Der Einlagenzins als Anreizkriterium für Neukunden spielt daher nicht bei allen Banken die gleiche Rolle.

    2. Der Punkt der Mindestreserve ist ebenfalls nicht ganz korrekt dargestellt. Denn 1. hat nur die "deposit facility" bei der EZB einen negativen Zinssatz. Zur "Deposit facility" gehören die Einlagen der Geschäftsbanken, die zusätzlich zur Mindestreserve bei der EZB gehalten werden, der Mindestreservebetrag selber ist nicht negativ verzinst, sondern mit 0%! Und 2. die ist die EZB sogar so nett und gewährt den Banken die Freistellung des 6-fachen der verlangten Mindestreserve vom Negativzins.

    Bei den Beträgen über die wir reden, sind das zwar nur Peanuts, aber ich wollte es dennoch richtig stellen um die Qualität auf diesem Blog weiterhin auf dem diesem hohen Niveau zu halten.

    Viele Grüße
    David

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Welch höfliche, angenehme und fundierte Art der Kritik. Vielen Dank dafür und den Mehrwert, den Dein Beitrag für die Blogleser schafft, David. =)

      Löschen