Sonntag, 19. Oktober 2025

Börsengeschichte: Am 19. Oktober 1987 brachte der "Schwarze Montag" die Börsen und Michael Milkens Junk Bond-Imperium zu Fall

Am 19. Oktober 1987 erlebte die Welt einen der dramatischsten Tage der Finanzgeschichte – den sogenannten "Schwarzen Montag". Innerhalb eines einzigen Handelstages verlor der Dow-Jones-Index 22,6 % seines Wertes, was bis heute den größten prozentualen Tagesverlust in der Geschichte des US-amerikanischen Aktienmarktes darstellt. Ähnliche Einbrüche erlebten auch andere große Indizes weltweit.

Was diesen Tag so besonders macht, ist, dass es keinen einzelnen Auslöser gab. Der Crash war vielmehr das Resultat einer Verkettung struktureller Überhitzungen, automatisierter Handelsmechanismen und riskanter Finanzinnovationen, die das System extrem anfällig machten. Der "Schwarze Montag" beendete die Ära feindlichen Übernahmen, wie Olivers Stone Oscar-prämiertes Meisterwerk "Wall Street" nachgezeichnet hat...

1981 war der Republikaner Ronald Reagan zum US-Präsidenten gewählt worden und er setzte nach Jahren mit sehr hoher Inflation und noch höheren Zinssätzen auf Marktliberalität. Er kippte eine Reihe von Bankenvorschriften, die nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 geschaffen worden waren, und entfesselte so einen wahren Börsenboom. Unter anderem wurde das Trennbankensystem aufgehoben, das Banken verpflichtet hatte, entweder als Kapitaleinlagen (Sparkassen) oder Investmentbanken zu agieren und sie auch auf jeweils einen einzelnen US-Bundesstaat beschränkte. Es folgten Fusionen und Übernahmen und diese wurden zunehmend mit Hoch-Risiko-Anleihen finanziert. Ihr weniger wohlwollender Name war Junk Bonds (Ramsch-Anleihen). Diese Anleihen boten hohe Renditen, weil sie von Unternehmen mit niedriger Bonität begeben wurden, also von Emittenten, deren Kreditwürdigkeit nicht als "Investment Grade" galt.

In den 1980er-Jahren entwickelte sich aus diesem Nischenmarkt ein gigantisches Geschäftsfeld, angeführt von Michael Milken und seiner Investmentbank Drexel Burnham Lambert. Milken, oft als "Junk Bond König" bezeichnet, erkannte das Potenzial dieser riskanten Anleihen früh. Seine Grundidee war, dass viele Unternehmen mit schwacher Bonität dennoch solide Geschäftsmodelle besaßen und lediglich vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossen waren. Wenn man ihnen über den Kapitalmarkt Zugang zu Finanzierung verschaffen konnte, profitierten beide Seiten: die Unternehmen durch frisches Kapital und die Investoren durch hohe Zinsen. Milken professionalisierte diesen Markt, schuf Liquidität und baute ein Netzwerk von Unternehmen, Investoren und Investmentfonds auf, die diese Papiere handelten.

Drexel Burnham Lambert wurde durch diesen Boom zu einer der einflussreichsten Investmentbanken der USA. Die Bank finanzierte zahlreiche Unternehmensübernahmen, insbesondere sogenannte Leveraged Buyouts (LBOs), bei denen ganze Konzerne mithilfe von Fremdkapital aufgekauft wurden. Häufig dienten Junk Bonds dabei als zentrale Finanzierungsquelle. An Drexel und Milken führte kein Weg vorbei, den Milken war "der Junk Bond Markt". Mit Milkens Hilfe konnten selbst mittelmäßige Mittelständler Großkonzerne übernehmen, was zu wahren Übernahmenschlachten führte. Auf dem Hochpunkte musste Milken gar nicht mal mehr die Finanzierung stellen, es reichte bereits aus, wenn er mittels einer seines berüchtigten "Highly Confident Letters" lediglich versprach, potenziellen Käufern die Finanzierung über den Anleihemarkt "mit hoher Wahrscheinlichkeit" sicherzustellen. Die Käufer nannte sich selbst Räuber und trafen sich jährlich zum "Predators Ball", der von Milken organisierten Junk Bond Messe.

Eine zentrale Rolle spielte Finanzinvestor KKR & Co., denn die beiden Cousins und Co-Gründer Henry Kravis und George Roberts waren schnell zu den führenden LBO-Raidern aufgestiegen. Und als der "Schwarze Montag" die Junk Bond-Ära crashte, geriet auch KKRs durch Milken und Drexel finanzierte Übernahme-Offerte für RJR Nabisco ins Straucheln. Aber das ist eine andere Geschichte...
Diese Praktiken trugen erheblich zur Aufblähung der Märkte bei. Immer mehr Unternehmen wurden hoch verschuldet, um Übernahmen zu finanzieren oder Aktienrückkäufe zu tätigen. Das führte zu einer zunehmend fragilen Kapitalstruktur in der US-Wirtschaft. Der Junk-Bond-Boom war damit ein zentraler Bestandteil der Kreditexpansion der 1980er-Jahre – und machte den Finanzsektor besonders anfällig für Schocks. Zwischen 1982 und 1987 hatte sich der Dow Jones mehr als verdoppelt, die Konjunktur war robust, und die Liquidität in den Märkten schien grenzenlos. Doch hinter dieser Euphorie verbargen sich wachsende Ungleichgewichte. Die US-Wirtschaft kämpfte mit einem großen Handelsdefizit, die Zinsen stiegen, und der Dollar stand unter Druck. Auch die Kapitalmärkte waren zunehmend von kurzfristigem Denken geprägt: Immer mehr institutionelle Investoren setzten auf kreditfinanzierte Strategien, um ihre Renditen zu steigern.

Als der "Schwarze Montag" kam, reagierte auch der Junk-Bond-Markt empfindlich. Die Risikoprämien für Hochzinsanleihen weiteten sich dramatisch aus, neue Emissionen kamen fast zum Erliegen, und das Vertrauen in die Stabilität dieser Finanzierungen schwand. Zwar war der Crash selbst nicht direkt durch Junk Bonds ausgelöst worden, doch er zeigte die Verwundbarkeit eines Systems, das auf immer riskanterer Verschuldung beruhte. In den folgenden Jahren wurden die Schwächen dieses Modells zunehmend offensichtlich.

Die ersten Warnsignale kamen bereits in der Woche vor dem Crash, als der Dow Jones am 14. Oktober um 3,8 Prozent und am 16. Oktober um weitere 4,6 Prozent fiel. Am Montag darauf öffneten die Märkte in Panik. Viele Aktien konnten zunächst gar nicht gehandelt werden, weil die Zahl der Verkaufsaufträge das Angebot überstieg. Zeitgleich begannen automatisierte Handelssysteme, sogenannte "Program Trading-Algorithmen", große Verkaufsaufträge auszuführen. Besonders fatal war die Rolle der sogenannten Portfolio-Insurance-Strategien – damals populäre Absicherungsmodelle, die bei fallenden Kursen automatisch Short-Positionen in Index-Futures aufbauten, um Verluste zu begrenzen. In der Theorie sollte dies Schutz bieten, in der Praxis verstärkte es jedoch die Verkaufswelle: Je stärker die Kurse fielen, desto mehr Futures wurden verkauft – ein selbst verstärkender Abwärtssog.

Hinzu kam die damals noch junge Praxis der Index-Arbitrage, bei der Händler Preisunterschiede zwischen Futures und Aktien ausnutzten. In normalen Zeiten sorgte das für Effizienz, an jenem Tag jedoch führten technische Verzögerungen und Marktungleichgewichte zu einer Entkopplung der Märkte. Futures stürzten bereits massiv ab, während Aktienkurse noch nicht angepasst waren. Arbitrageure begannen deshalb, Aktien zu verkaufen, um die Preisdifferenzen auszugleichen – was die Abwärtsbewegung weiter beschleunigte.

Die Marktinfrastruktur war diesem Druck nicht gewachsen. Handelssysteme brachen teilweise zusammen, Orders konnten nicht rechtzeitig ausgeführt oder bestätigt werden, und viele Investoren verloren jegliches Vertrauen in die Stabilität des Systems. Innerhalb weniger Stunden löste sich an den Börsen Billionenvermögen in Luft auf.

Die US-Notenbank Federal Reserve reagierte umgehend: Sie stellte Liquidität bereit, signalisierte den Banken Unterstützung und ermutigte sie, weiterhin Kredite an solvente Marktteilnehmer zu vergeben. Dieser Eingriff verhinderte eine tiefergehende Wirtschaftskrise. In der Folge des Crashs wurden wichtige Reformen eingeführt, etwa die sogenannten "Circuit Breaker", also Handelsunterbrechungen, die bei extremen Kursverlusten automatisch greifen. Auch die Koordination zwischen den Aktien- und Terminbörsen wurde verbessert, um die Abwicklung und Liquiditätsversorgung zu stabilisieren.

Am "Schwarzen Montag" 1987 standen Milken und Drexel schon selbst im Mittelpunkt umfangreicher Justizermittlungen im Rahmen der Insider-Skandale, die damals die ganze Wall Street erschütterte. Bereits zuvor war der Arbitrageur Ivan Boesky wegen Insiderhandels verhaftet worden, dessen Geschäfte enge Verbindungen zu Milken und Drexel aufwiesen. Die Ermittlungen der Börsenaufsicht SEC führten schließlich zu umfassenden Anklagen gegen Milken wegen Insiderhandels, Marktmanipulation und Betrugs. 1988 bekannte sich Drexel in mehreren Punkten schuldig und zahlte eine Rekordstrafe von rund 650 Millionen Dollar. Zwei Jahre später meldete die Bank Insolvenz an – ein spektakulärer Zusammenbruch einer Institution, die wenige Jahre zuvor als unantastbar galt.
Michael Milken selbst wurde 1990 zu einer Haftstrafe verurteilt und zu einer der höchsten Geldstrafen in der US-Geschichte verpflichtet. Seine Karriere im Finanzsektor war beendet, doch seine Ideen prägten den Kapitalmarkt nachhaltig. Der Markt für Hochzinsanleihen verschwand nicht. Im Gegenteil: Er professionalisierte sich, wurde stärker reguliert und ist heute ein fester Bestandteil des globalen Finanzsystems.

Übrigens, einer von Milkens besten Mitarbeitern war Leon Black. Der hatte nichts mit den Insiderskandalen und Milkens rechtswidrigen Finanzgeschäften zu tun, sondern war für die Finanzierungsseite zuständig, und konnte daher wenige Jahre später den Finanzinvestor Apollo Global Management gründen, der heute eine führende Rolle im boomenden Markt für "Private Credit" einnimmt..

Meine Einschätzung

Der "Schwarze Montag" von 1987 war damit nicht nur ein plötzlicher Einbruch der Aktienmärkte, sondern auch ein Symbol für die Risiken einer Ära, in der Innovation, Leverage und Gier die Oberhand gewannen. Die Kombination aus automatisiertem Handel, exzessiver Kreditnutzung und unzureichender Regulierung führte zu einer instabilen Marktarchitektur. Viele der Lehren aus dieser Zeit sind noch heute relevant: Die Bedeutung von Liquidität, die Gefahren einseitiger Modelle und die Notwendigkeit klarer Regeln für algorithmischen Handel.

Im Rückblick war der Crash von 1987 zugleich ein Warnsignal und ein Wendepunkt. Die schnelle Reaktion der Notenbank verhinderte eine tiefgreifende Rezession, doch sie zeigte, wie verwundbar moderne Finanzmärkte sind, wenn Technologie, Schulden und Psychologie in einer explosiven Mischung zusammentreffen. Der Fall von Michael Milken und Drexel Burnham Lambert verdeutlichte, dass Finanzinnovation ohne Kontrolle gefährlich werden kann. Ihr Aufstieg und Niedergang symbolisieren den Geist der 1980er-Jahre; es war eine Zeit des ungebremsten Wachstums, aber auch der ersten großen Lektion, dass die unsichtbare Hand des Marktes nicht unfehlbar ist.
"Ich bin sicher, dass der Börsenkrach von 1929 noch einmal passieren wird. Alles, was man für einen neuen Zusammenbruch braucht, ist dass die Erinnerung an diesen Wahnsinn schwächer wird."
(John Kenneth Galbraight)
Wie die Entwicklung seitdem jedoch zeigt, verblasst selbst die Wirkung der schlimmsten Ereignisse. Spätestens, wenn die Beteiligten durch neue Akteure ersetzt worden sind und neue Spieler alte Lektionen aufs Neue lernen müssen. Ob der Crash von 2000 oder der von 2008/09, ihnen ging eine bis dahin ungekannte Gierwelle voraus und eine geradezu grenzenlose Unbekümmertheit. Und die Gewissheit, dass die Notenbank es zur Not schon richten wird. So denken auch heute noch und wieder viele Marktteilnehmer.
Also, vergiss nie: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich...

Disclaimer: Habe Apollo, KKR auf meiner Beobachtungliste und/oder im Depot/Wiki.

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