Mittwoch, 9. Dezember 2015

Im Interview... mit Aktienkaufen24

Das Interview mit mir führte Alois Greiner von Aktienkaufen24.com, wo der Artikel am 8. Dezember 2015 zuerst erschienen ist.

Value Investor Michael C. Kissig von intelligent-investieren im Interview.

Michael Kissig über die Story seines ersten Aktieninvestments, seinen Bewertungsansatz, den Umgang mit den eigenen Emotionen, das Minimieren von Risiken und die Wichtigkeit der Beurteilung weicher Faktoren des zu analysierenden Unternehmens für den Anlageerfolg.



A.G.: Guten Tag, Herr Kissig, für alle, die Sie noch nicht kennen, stellen Sie sich bitte kurz vor. Wer sind Sie und was machen Sie?

M.C.K.: Ich bin ein gemütlicher Mittvierziger und interessiere mich bereits seit 30 Jahren für Finanzen, Wirtschaft und insbesondere die Börse. Das hat mich als Hobby immer neben meiner Ausbildung und meinen beruflichen Tätigkeiten begleitet und inzwischen ist es mehr als ein Hobby, worüber ich sehr glücklich bin.

Um das viele Sitzen und Lesen – und Schreiben – zu kompensieren, betreibe ich mehrmals die Woche Sport, jeweils rund anderthalb Stunden Nordic Walking oder Radfahren. Wedel liegt direkt westlich an der Stadtgrenze zu Hamburg und bietet hier viele Möglichkeiten, sowohl entlang der Elbe als auch im angrenzenden Forst Kloevensteen, je nach Lust und Laune. Und Wetter.


A.G.: Ihr erster Aktienkauf hat einen interessanten und wie ich finde auch lustigen Hintergrund. Erzählen Sie uns bitte etwas darüber. – Wie kam es zu Ihrem ersten Investment in Aktien?

M.C.K.: Meine erste Aktie habe ich 1988 gekauft, ich glaube sogar noch vor meinem 18. Geburtstag, die Vereins- und Westbank AG aus Hamburg (heute UniCredit). Weil die ein tolles Buffet auf der Hauptversammlung haben sollten, wie mir aus Insiderkreisen versichert worden war (mein Nachbar war der Neffe eines VuW-Vorstandsmitglieds). Dem war auch so und daher hat sich das Investment letztlich gelohnt. Kursgewinne habe ich kaum eingefahren, aber zum Reinschnuppern in die Welt der Aktien war das kein ganz schlechter Start: Ich habe die Hauptversammlung besucht, eine Dividendenausschüttung miterlebt, mich über die Bank- und Börsenprovisionen – und die Steuern – geärgert und am Auf und Ab der Börsenkurse teilgenommen.


A.G.: Sie sind Value Investor. Wenden Sie für die Bewertung von Unternehmen ein erfolgsorientiertes Bewertungsverfahren (Discounted Free Cash Flow, Equity Ansatz usw.) oder ein marktorientiertes Bewertungsverfahren [KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis), KCV (Kurs-Cashflow-Verhältnis), KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis)] an?

M.C.K.: Warren Buffett schwört ja auf den Discounted Cashflow, wobei sein Partner Charlie Munger einmal sagte, er habe Buffett noch niemals eine Berechnung nach dem DCF-Modell anstellen sehen. Die Schwierigkeit dieses Modells liegt ja darin, dass man die Erträge eines Unternehmens weit in die Zukunft hinein schätzen muss. Je weiter entfernt aber der Prognosezeitpunkt liegt, desto unsicherer wird die Prognose. Daher stellt sich letztlich die Frage der Sinnhaftigkeit bzw. des Mehrwerts dieser Berechnungsmethode. Ich orientiere mich folglich eher an marktorientierten Bewertungskennzahlen, jedenfalls für die aktuelle Bewertung des Unternehmens und dann im Vergleich zu seiner Peergroup.

Darüber hinaus lege ich Wert auf „weiche Faktoren“, also ein gewisses Maß an Kontinuität in der unternehmerischen Entwicklung, der Nachvollziehbarkeit des Geschäftsmodells und vor allem dem Umgang des Managements mit Fehlern und seinen Aussagen in der Vergangenheit. Hier lässt sich dann auf den Charakter schließen und das ist ein ganz wesentlicher Faktor bei der Unternehmensauswahl. Denn die nackten Zahlen sind einerseits nur eine Momentaufnahme und andererseits das Ergebnis von Bewertungen seitens des Managements und der Wirtschaftsprüfer. Die Unternehmen können hier die Ergebnisse in gewissem Rahmen so hinrechnen, wie sie sie haben wollen. Daher lese ich besonders intensiv den Prosa-Teil der Geschäftsberichte, den Lagebericht und die Einschätzung zu aktuellen und künftigen Entwicklung. Und vergleiche sie mit den Aussagen aus den Vorjahren, um zu sehen, ob hier Fehleinschätzungen und Fehlentwicklungen schöngeredet werden sollen oder ob das Management diese offen kommuniziert. Und was es an Maßnahmen ergriffen hat. Und erst im Anschluss daran und mit diesem Basiswissen schaue ich mir dann die relevanten Zahlen im Geschäftsbericht an.


A.G.: In welche Art von Unternehmen investieren Sie (zum Beispiel in zyklische Unternehmen (wie z. B. Unternehmen aus dem Rohstoffsektor), in sogenannte Buffett-Unternehmen (z. B. Coca Cola, Procter & Gamble…)?

Zyklische Aktien sind für Langfristinvestoren immer etwas schwierig, weil sie extrem von den makroökonomischen Gegebenheiten abhängig sind und daher die Aktienkurse auch stärker schwanken. Ich bevorzuge daher weniger konjunktursensible Unternehmen.


A.G.: Wie lange halten Sie die erworbenen Aktien durchschnittlich?

M.C.K.: Grundsätzlich sehr lange. Ich halte es hier mit Warren Buffett, der keine Aktien kauft, sondern sich an einem Unternehmen beteiligt, der sich dort als Partner einkauft. Das nimmt dem Investment den spekulativen Charakter und das gefällt mir. Solange das Unternehmen seinen erfolgreichen Kurs fortsetzt und die Aktien nicht massiv überbewertet sind, bleibe ich an Bord. Leichte Überbewertungen hingegen veranlassen mich nicht zum Handeln. Ich hechle nicht den Schwankungen des Börsenkurses hinterher, weil die meisten Anleger hiermit nur Geld verlieren. Wir neigen nämlich dazu, mit der Masse zu handeln und verkaufen zu niedrig und kaufen zu hoch. Habe ich alles schon viele Male hinter mir mit entsprechenden Misserfolgen. Daher kaufe ich mich langfristig ein und gebe dem Unternehmen die Chance, seinen Kurs erfolgreich zu gehen. Der Aktienkurs wird dann folgen.

Andererseits kann ich meinen Spieltrieb nicht völlig abstellen. Und daher habe ich neben meinen Basisinvestment auch einige wenige kleine Positionen im Depot, die spekulativer sind. Da ist der Anlagehorizont schon um einiges kürzer. Nicht dass ich mit diesen Positionen erfolgreicher wäre, das nicht. Sie sind meine Absicherung gegen mich selbst, damit ich nicht mit meinen langfristigen Kerninvestments herumspiele. Nach 30 Jahren kenne ich mich ja nun auch ein bisschen und weiß, dass ich nicht immer die nötige Disziplin aufbringe, um mich an meine Grundsätze zu halten. Daher gewähre ich mir hier etwas Spielgeld …


A.G.: Ist die Analyse sowie die Pflege Ihrer Investments (Aktien) sehr zeitintensiv?

Ja. Ich schaue mir die Unternehmen natürlich genau an, in die ich langfristig investiere. Danach schaue ich auf aktuelle Meldungen und auf Quartalsberichte – nicht um hieraus sofort Aktionen abzuleiten, sondern um zu prüfen, ob sich an meiner ursprünglichen Investmentidee grundsätzlich etwas geändert hat. Ob also meine Annahmen nicht eintreffen, das Unternehmen seine Ziele nicht erreicht und ob dies auf kurzfristige Faktoren zurückzuführen ist oder ein dauerhaftes Problem darstellt. Insbesondere lege ich Wert auf die Erläuterungen zum Geschäftsverlauf und ziehe hieraus meine Schlüsse.


A.G.: Welche Art von Riskmanagement wenden Sie an?

Ich denke nach, bevor ich handele. Ich kaufe nichts, was ich nicht verstehe. Ich halte stets ein gutes Maß an Liquidität, um in Kursrücksetzer hinein kaufen zu können – sofern ich weiterhin von dem Unternehmen überzeugt bin. Nur dann lohnt sich ja ein Nachkaufen. Ansonsten halte ich nichts von Stopp-Losses oder Absicherungsinstrumenten. Damit erzielt man langfristig keinen Mehrwert, sondern erkauft sich nur eine Sicherheitsillusion.

Wenn der Kurs einbricht, dann ändert das ja nichts am Wert des Unternehmens und seiner Aktien. Es ist nur der Kurs, der sich geändert hat. Durch einen Stopp-Loss vernichte ich also Werte, weil ich unter Wert automatisch verkaufe. Und wenn das Unternehmen sich in Schwierigkeiten befindet und deshalb der Kurs einbricht, rettet mich ein Stopp-Loss auch nicht.

Puts sind Zocker-Papiere, die auf kurzfristige Marktschwankungen zielen. Sichere ich damit meinen Depotbestand ab und die Kurse fallen, steigt der Wert des Puts. Um hier einen Nutzen draus ziehen zu können, muss ich aber ja genau zum richtigen Zeitpunkt die Puts verkaufen und in meine Aktien investieren und dann den nächsten Kursaufschwung mitzunehmen. Mache ich dies nicht und sitze den Kurseinbruch samt nachfolgender Erholung einfach aus, dann stehen die Kurse wieder dort, wo sie vor dem Einbruch waren und der Put hat seine Kursgewinne ebenfalls wieder hergegeben. Er hat nur aufgrund seiner kurzen Laufzeit an Wert verloren. Unter dem Strich habe ich keinen Vorteil daraus gezogen. Es läuft also darauf hinaus, dass man versucht, den Markt zu timen, zum Höchstpunkt der Börse den Put zu kaufen und zum Tiefstpunkt zu verkaufen. Klappt aus meiner Erfahrung nicht. Daher lasse ich das und setze auf Cash als Versicherung gegen fallende Kurse, um dann tief nachkaufen zu können. Das bringt langfristig die Rendite!


A.G.: Ein Argument, das ich immer wieder höre, ist, dass, wenn Anleger Aktien im Crash kaufen und die Aktienkurse noch weiter fallen, sich die Frage stellt, ob der Anleger das emotional durchsteht. Was ist Ihre Meinung zu diesem Argument?

Aktienkurse können fallen. Das ist nun einmal so, das muss man akzeptieren. Man sollte also nicht zum Höchstpunkt einsteigen. Und da dies leichter gesagt ist als getan, setzen Value-Anleger ja ihr Investment-Rüstzeug dagegen: die Bewertung. Wir ermitteln den Wert einer Aktie und schauen, dass wir sie zu weniger kaufen können. Das ist dann die sog. Sicherheitsmarge. Und wenn man dann langfristig orientiert investiert, können einem Marktschwankungen auch nicht so viel anhaben. Warren Buffett hat Jahre erlebt, in denen die Aktien seiner Beteiligungsholding Berkshire Hathaway um mehr als 40 Prozent nachgegeben haben. Er hat sie nicht verkauft. Auch deshalb ist er der drittreichste Mensch der Welt. Und er sagte einmal etwas sehr Bemerkenswertes zum Buy & Hold-Ansatz: „Langfristig werden die Aktienmärkte für gute Nachrichten sorgen. Im 20. Jahrhundert durchlebten die USA zwei Weltkriege und weitere traumatische und teure militärische Konflikte, eine Depression, mehrere Rezessionen, Börsenpaniken, Ölschocks, Virenpandemie und den Rücktritt eines Präsidenten. Dennoch stieg der Dow Jones von 66 auf 11497.“ Für Anleger mit langfristigem Investmenthorizont ist also jeder Tag der richtige, um in Aktien zu investieren. Man darf sich nur von fallenden Kursen nicht verrückt machen lassen. Solange nicht das Unternehmen selbst in Schieflage gerät, wird sich der Kurs wieder erholen.


A.G.: Was planen Sie in Zukunft für intelligent-investieren.net?

Ich veröffentliche keine heißen Aktien-Tipps, sondern ich möchte die Leser dazu anregen, selbst nachzudenken, die Prinzipien des Value Investings zu verstehen und anzuwenden. Das Blog betreibe ich, um selbst ein besserer Investor zu werden. Dadurch, dass ich niederschreibe und veröffentliche, was ich denke, was ich tue, setze ich mich der Kritik aus. Ich zwinge mich also zu mehr Disziplin, zu intensiverem Nachdenken. Daher wünsche ich mir, dass sich noch mehr Menschen auf die Seite wagen und die Diskussionen zunehmen, dass das Blog so vielleicht sogar zu einer Art Community wird, von der alle durch ihre Teilnahme am Ende profitieren und zu noch besseren Investoren werden.


A.G.: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Alois Alexander Greiner – www.aktienkaufen24.com.

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