Montag, 11. September 2023

Kissigs Kunstfehler: Weshalb Kursraketen auch mal Gift für die Rendite sein können...

Aktien, deren Kurs sich innerhalb weniger Monate oder manchmal auch nur Wochen verdoppelt, lassen Anlegerherzen höher schlagen und nicht wenige Börseninteressierte sind stets auf der Suche nach diesen 'Hot Stocks'.

In den Depots von Value Investoren finden sich solche Aktien eher selten; sie graben die langweiligen, unterbewerteten Aktien aus, deren Kurs vor sich hin dümpelt und irgendwann einmal von der Börse entdeckt wird. Das geschieht zumeist eher gemächlich und ist mit langsamen Kursanstiegen verbunden. Doch manchmal erwischt man eine solche Aktie und dann erfreut man sich an deren Kursfeuerwerk und sieht die Euroscheine zu Bergen wachsen.

Diese schnellen und starken Kurssteigerungen sind einerseits erfreulich (und einträglich), andererseits bringen diese Kursexplosionen auch ein nicht zu unterschätzendes Problem mit sich. Jedenfalls für mich...

Ich ertappe mich immer öfter dabei, dass ich freudig auf die starken Performer schaue und dann die Mundwinkel hängen lasse, wenn ich mir die übrigen Werte ansehe. Aktien, die ich seit Jahren mit 'durchschleppe', die sich unterm Strich wenig bewegt haben, obwohl ich mir von ihnen bei meinem Kauf mal viel versprochen und ihnen großes Potenzial zugebilligt hatte. Der Kurs kommt nicht in die Gänge, obwohl ich nach wie vor vom Potenzial dieses Unternehmens überzeugt bin - sonst hätte ich es ja nicht (mehr) im Depot. Doch der Markt hat meiner Einschätzung zu dieser Aktien (bisher?) noch nicht zugestimmt. Und das wurmt mich und weil es mich nervt, ärgere ich mich über mich selbst!

Denn ich sollte mich davon nicht emotional beeinflussen lassen, dass die Aktienkurse einiger meiner Werte noch nicht gestiegen sind, obwohl mein Investmentcase dies nahelegt. Es sollte mich auch nicht interessieren, dass die Kurse vor sich hin dümpeln, da ich ja nicht die Aktien als Spekulationsobjekte gekauft, sondern mich an einem Unternehmen beteiligt habe. Dessen Aktien habe ich zu einem niedrigeren Preis bekommen habe, als er mir Wert erschien. Und daran hat sich nichts geändert. Der aktuelle Aktienkurs entsteht aber nicht aufgrund des Werts der Unternehmen, sondern aufgrund der tagesaktuellen Handelsaktivität der anderen Börsenteilnehmer. Das sollte mich also nicht kümmern.

Sollte es nicht, tut es aber. Und das ist ja mein Dilemma. Die Top-Performance einiger Aktienwerte trübt meinen Blick auf die anderen und lässt diese in einem schlechteren Licht erscheinen. Relativ betrachtet jedenfalls, Einstein lässt grüßen. Wenn ich sehe, wie mein Investmentcase aufgeht und die Aktien kein Halten mehr zu kennen scheinen, während günstige Werte vor sich hin schnarchen und weiter auf ihre Entdeckung Erweckung warten.

Mein Verstand sagt mir, dass es dumm ist so zu denken, und bisher kann er meine Emotionen meistens zügeln. Und ich bremse mich, nicht die langweiligen Aktien aus dem Depot zu werfen, um mehr von den - vermeintlichen - Kursraketen zu kaufen. Denn das würde letztlich bedeuten, dass ich nicht mehr investiere, sondern anfange zu zocken und auf die schnellen Kursgewinne setze - in der totalen Selbstüberschätzung, dass meine Erfolge der Vergangenheit auch Gewinne in der Zukunft bedeuten. 

Doch so funktioniert das Börsenleben nun einmal nicht, das habe ich u.a. aus den Zeiten des Neuen Marktes gelernt: mein schnell und leicht verdientes Geld habe ich auch schnell und leicht(fertig) wieder verloren. Auch deshalb habe ich mich ja zum Value Investor entwickelt. Um dem Zocken, dem Traden, zu entkommen, den schnellen Gewinnen und hohen Verlusten. Stattdessen möchte ich langfristig Vermögen und Werte aufbauen. Dass meine Jahresperformance in den letzten Jahren deutlich vor dem DAX und dem Dow Jones liegt, sollte und darf ich nicht meiner eigenen vermeintlichen Börsengenialität zuschreiben. Denn nachdem ich die Aktien gekauft habe, haben ja andere für meinen Kursgewinn gesorgt. Ich habe zwar meinen Investmentcase sorgfältig ausgearbeitet, aber dann auch das Glück gehabt, den richtigen Einstiegszeitpunkt erwischt zu haben, um diese Kursgewinne mitzumachen.
»Der Standpunkt bestimmt die Perspektive.«
(Karl Marx)
Und so versuche ich, mich wieder korrekt zu fokussieren. Wie in dem Klassiker "Der Club der toten Dichter" mit Robin Williams in der Rolle des Lehrers Mr. Keating, als er die Schulklasse auf die Tische steigen lässt, um ihnen eine andere Perspektive auf das Altbekannte zu vermitteln. Genauso blicke ich auf mein Depot und sehe nicht die Underperformer herausragen, über die ich mich ärgere, sondern die wenigen Super-Performer, die aus der Masse hervorstechen. Und ich freue mich, dass ich sie in meinem Depot habe, aber ich mache sie nicht (mehr) zum Maßstab für die anderen.

Denn Chancen und Risiken gehen immer Hand in Hand an der Börse. Und würde ich versuchen, noch mehr dieser Top-Performer zu finden, würde ich damit zwangsläufig viel höhere Risiken in mein Depot laden. Und damit nicht nur meine Anlagestrategie ad absurdum führen, sondern zwangsläufig auch viel Geld verlieren. Denn auch die Risiken sind nicht nur abstrakte Größen, sondern werden bisweilen zu brutalen Realitäten. Selbst Warren Buffett erklärte auf der letzten Hauptversammlung von Berkshire Hathaway, er habe über die Jahre wohl in 500 Aktien bzw. Unternehmen investiert, aber nur rund 10 hätten die ganz großen Renditen eingefahren, wie z.B. American Express, Apple, Coca-Cola, Moody's, Mastercard, Visa. Die besten Depotwerte lässt man laufen und fasst sie möglichst nicht mehr an. Bei den anderen wartet man ab und prüft, ob der Investmentcase korrekt war und noch fliegt, so dass ausbleibende Kurszuwächse vermutlich nur noch auf sich warten lassen. Erkennt man hingegen, dass man sich geirrt hat in dem Unternehmen, seinen Geschäftsaussichten oder dass sich die Rahmenbedingungen maßgeblich verändert haben, dann sollte muss man die Aktien verkaufen.

Dabei gilt grundsätzlich, dass es in einem steigenden Markt relativ einfach ist, Kursgewinne zu erzielen, solange man die größten Dummheiten vermeidet. Aber wenn der Markt nicht mehr steigt, sondern vielleicht sogar fällt, dann zeigt sich, ob man die richtigen Werte im Depot hat und ob man die richtige Strategie fährt - und den Charakter hat, diese auch durchzuhalten.

»Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer ohne Badehose schwimmen gegangen ist.«
(Warren Buffett)

Und diesen Charaktertest, der mit Sicherheit irgendwann (erneut) kommen wird, den werde ich doch lieber mit meinen bewährten Methoden und Aktien in Angriff nehmen, als mit hoch riskanten Spekulationen. Über die starken Kursgewinne freue ich mich trotzdem...

Disclaimer: Habe Apple, Berkshire Hathaway, Moody's auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus Mai 2015

3 Kommentare:

  1. So lang sich der Bauch über Logik beschwert, ist man ein fühlender Mensch und Emotionen gehören zur Börse einfach mit dazu. Es wäre ja langweilig, wenn man keine Gefühlsregungen mehr hätte.
    Gut ist, wenn man dann einen logischen Plan hat, der die Bauchentscheidungen eindämmt ;-))
    Ich bin sehr gespannt, wie sich mein Plan im nächsten Jahr bewährt.

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  2. Vielen Dank Michael für den ehrlichen Einblick.

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  3. Klasse Zusammenfassung

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