Sonntag, 24. April 2022

Ken Fisher mahnt: Kurssteigerungen zu verpassen kostet Anleger mehr als ein Crash!

Psychologie bestimmt die Aktienkurse deutlich stärker als die Faktenlage. Und die menschliche Natur neigt dazu, Negatives deutlich stärker zu gewichten, als Positives. Das liegt in unseren Genen, die auf Überleben getrimmt sind - bei Gefahr schüttet unser Körper Adrenalin aus und aktiviert unseren Fluchtreflex. Diese Reflexe sicherten unserer Spezies das Überleben, doch in unserer modernen Welt benötigen wir diese Überlebenstechniken immer seltener. Und beim Investieren stehen sie unserem Erfolg sogar im Weg.

Wenn die Aktienkurse steigen, will jeder dabei sein und die Kursgewinne mitnehmen. Und wenn die Börse abwärts rauscht, will jeder aussteigen, möglichst schnell und zu jedem Preis. Was psychologisch nachvollziehbar ist ('Behavioral Finance'), ist dann allerdings auch der Grund, weshalb Anleger nicht besser, sondern überwiegend schlechter abschneiden als der Gesamtmarkt. Sie folgen der Herde und können daher nicht besser sein. In der Wahrnehmung konzentrieren sich immer mehr Anleger auf die gleichen Risiken und Themen und überhöhen somit ihre Bedeutung (sog. 'Attention Bias') - mit entsprechend starken Auswirkungen auf die Aktienkurse. Dabei neigen wir Menschen dazu, Negatives deutlich intensiver wahrzunehmen, als positive Erlebnisse. Auch negative Nachrichten geben wird wesentlich häufiger weiter als positive. Dass wir also Verluste viel stärker empfinden als Gewinne, nennt man 'Dispositionseffekt'. Und diese Erkenntnis führt uns zurück zu den Bullen und Bären...

Die Meldung 'XYZ AG erfüllt die Prognosen' nehmen wir schnell als normal hin und daher zuckt der Aktienkurs eher wenig bis gar nicht, während die Schlagzeile '123 AG verfehlt die Prognosen' regelmäßig zu Kursabstürzen führt. 'Gefahr' schreit unser Gehirn und unsere genetisch vorprogrammierte Handlungsweise ist Flucht. An der Börse wird der Fluchtinstinkt umgesetzt in sofortigen Verkaufsorders. Und natürlich wird nicht erst einmal die Nachricht analysiert und die daraus zu ziehenden Schlüsse gegeneinander abgewogen. Nein, es wird sofort gehandelt, sofort verkauft. Sofortige Flucht sichert das Überleben, nur der erste Verkäufer erzielt den beten Kurs, die anderen sollen/müssen dann mit dem Kursabsturz leben.

Und wenn man so zurückdenkt, scheint diese Handlungsweise sogar vernünftig, denn jeder von uns wird sich an spektakuläre Kurseinbrüche erinnern, bei denen es sinnvoll(er) war, sofort zu verkaufen. Die bleiben im Gehirn haften, während die vielen male, wo sich der Kurseinbruch schon nach kurzer Zeit relativiert hat und der Kurs im Anschluss wieder auf dem vorherigen Niveau oder sogar darüber notierte, gar nicht mehr in unserer Erinnerung verhaftet sind. Auch dieses Erinnerungsschema fußt auf Attention Bias und Dispositionseffekt.

Da dies so ist, schenken wir Crash-Propheten viel mehr Beachtung als jenen, die uns suggerieren, alles wäre gut oder würde sich positiv entwickeln. Die Untergangs-Apologeten nähren unsere Angst und daher überhöhen wir ihre Bedeutung. Wir nehmen ihre Warnungen viel ernster, als es angemessen und ratsam wäre. Gerade an der Börse. Und das hat zwei wesentliche Gründe. Zunächst sind Aktien keine Lottoscheine, auch wenn sie von vielen Anlegern als solche missbraucht werden. Aktien sind Anteile an Unternehmen und diese Unternehmen haben ein Management, das sich und das Unternehmen auf die Unbillen einstellt. Steigen die Zinsen, bricht der Ölpreis ein, gibt es einen Regierungswechsel, dann stellt das Management das Unternehmen auf die neue Situation ein. Nicht der Anleger muss dies tun, indem er die Aktien des Unternehmens verkauft und später wieder zurückkauft.
»Historisch gesehen entwickeln sich Aktien in 62 Prozent der Kalendermonate positiv. Anleger sollten also mehr Angst haben, dass sie die Anstiege des Marktes verpassen, als dass sie einen Crash erleben.«
"A History of Stock Prices", Kieron Nutbrown, 2016
Und der zweite Grund liegt in der Geschichte und dem Wissen, das wir daraus ziehen können. Denn schaut man sich die langfristige Entwicklung der Aktienkurse an, ist es völlig egal, wann man gekauft hat. Und es ist auch unerheblich, welche kurzfristigen geopolitischen oder gesellschaftlichen Katastrophen passierten - die Aktienkurse sind langfristig einfach weiter gestiegen. Und zwar schon über Jahrhunderte. Hinzu kommt noch, dass die Phasen steigender Aktienkurse deutlich länger anhalten als die Phasen mit fallenden Kursen. Ein Bärenmarkt (Baisse) dauert an der Wall Street im Mittel knapp 16 Monate, während ein Bullenmarkt (Hausse) hingegen im breit angelegten Aktienindex S&P 500 im Schnitt 54 Monate anhält. Aktienkurse befinden sich also mehr als drei Mal länger im Hausse- statt im Baissemodus. Und während die durchschnittliche Hausse dem Anleger einen Gewinn von 180 Prozent einträgt, muss er in Baissen regelmäßig Verluste von etwa 35 Prozent verkraften.
»Die Bären machen Schlagzeilen, die Bullen machen Geld.«
(Bernard Baruch)
Auch Börsenlegende Bernard Baruch hatte diese Erkenntnis verinnerlicht und sie prägnant auf den Punkt gebracht. Bullen können es sich leisten, negative Schlagzeilen zu ignorieren und einfach an ihren sorgfältig ausgewählten Aktieninvestments festhalten. Auf lange Sicht fahren sie damit keine Verluste, sondern satte Gewinne ein. Zumal sie auch in Kursabschwungphasen noch die Dividenden kassieren.

Bären hingegen müssen stets wachsam sein und versuchen abzupassen, wann der Bärenmarkt zu Ende ist. Da sie entweder auf fallende Kurse setzen, also mit Puts, oder aber ihr Geld auf dem Tagesgeldkonto - zinslos - vor sich hinschimmeln lassen, erzielen sie ansonsten keine Rendite oder fahren sogar Verluste ein.

Wer also stets auf die Crash-Propheten hört, ist nur selten in den lang anhaltenden Kursaufschwungphasen investiert und verpasst die Rallye. Und war er nicht investiert, bleibt ihm bei den wenigen wirklichen Kurseinbrühen dann auch nur ein "ich hab's ja gewusst". Denn wir Menschen neigen eben auch dazu, bei Kurseinbrüchen eben keine Aktien zu kaufen, sondern  aus lauter Angst, es könne noch weiter abwärts gehen, die Kaufgelegenheiten verstreichen zu lassen. Also selbst wenn die Bären mal kurzfristig recht hatten, nutzen sie die sich ihnen daraus bietenden Chancen nicht oder kaum.
»Time in the market beats timing the market.«
(Ken Fisher)
Daher sollte man nicht auf die Bären hören, sondern langfristig investieren und auf ausgesuchte Qualitätsaktien setzen. Die überstehen nämlich auch die Baisse. Und trotz der immer wieder auftauschen Schwächephasen zahlt es sich auf lange Zeit aus, mit seinem Investmentkapital stets voll investiert zu sein.


Meine Lese-Tipps
▶ "Börsen-Mythen enthüllt für Anleger" von Ken Fisher
▶ "Das zählt an der Börse: Investieren mit Wissen, das die anderen nicht haben" von Ken Fisher
▶ "Die Kunst der richtigen Aktienauswahl: Die Investmentphilosophie einer Börsenlegende" von Ken Fisher
▶ "Kasse statt Masse: Wie Sie mit einem konträren Investmentansatz Geld verdienen" von Ken Fisher

6 Kommentare:

  1. Ich halte mich an den Rat des kompetenten Ex-Finanzministers und nun Kanzler unseres Landes, Olaf Scholz, und lasse mein Geld auf dem Girokonto. Wir alle sollten mehr unseren Politikern vertrauen anstatt auf die rechtspopulistischen Verschwörungstheortiker zu hören, welche hier wie du sagst zwar die Schlagzeilen machen, aber Olaf und ich machen halt das Geld. Zumindest verlieren wir keines ! Denn der Kontostand steigt immer weiter an !
    Die Lehren von Ken Fisher sind brandgefährlich und können zu Verlusten führen. Gut, dass wir mittlerweile so viele Warner aus dem Team Vorsicht in unseren Ministerien haben. Auf Karl Lauterbach !

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  2. Lieber Herr Kissig,
    vielen Dank für Ihren Blog. Nebst Tim Schäfer der einzige, der mich wirklich interessiert. Grüße aus HH West, Sören

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  3. Lieber Herr Kissig,
    vielen Dank für Ihre aufschlussreichen Beiträge. Wie kommt es, dass Sie vor einigen Tagen und erneut heute Anteile von Mutares abstoßen? Sie haben die Zukunftsaussichten der Firma in den letzten Monaten so oft gelobt. Oder liegt es lediglich daran, dass Sie in anderen Positionen kurzfristig mehr Potenzial sehen und Ihr Portfolio neu gewichten? Ich freue mich über eine kurze Rückmeldung.
    Liebe Grüße!

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    1. Da ich meistens vollständig investiert bin, muss ich für ein neues Investment andere Positionen verringern oder ganz verkaufen. Ich wollte im Nebenwerte-Wiki Gesco aufnehmen und habe dazu Mutares etwas verringert. Nicht, weil ich an Mutares zweifele, sondern weil ich (1.). Mutares sehr hoch gewichtet habe/hatte und (2.) weil wir bei Mutares auf die HV zusteuern und damit auf die hohe Dividendenausschüttung. Oftmals ist es bei Aktien mit besonders hohen Dividendenrenditen so, dass sie im Vorfeld der Ausschüttung deutlich steigen und nach der Ausschüttung dann über die nächsten Wochen deutlich mehr als den eigentlichen Dividendenabschlag im Kurs verlieren. Insofern fiel meine Wahl auf ein paar Mutares-Aktien, zumal ich dort lieber eine deutlich niedrigere Dividende gesehen hätte, damit stattdessen mehr Geld in neue Investments gesteckt werden könnten.

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