Dienstag, 20. Mai 2025

Kissigs Nebenwerte-Analyse zu Alzchem: Dank der Kursexplosion am Ende – des Anfangs

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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 12/2025 vom 20.05.2025

Aktien in dieser Ausgabe:  Alzchem, Patrizia

Alzchem: Dank der Kursexplosion am Ende – des Anfangs

Den Spezialchemiewert Alzchem habe ich Ende letzten Jahres als Hidden Champion vorgestellt und seitdem hat sich der Kurs mehr als verdoppelt. Ein Volltreffer, doch nun stellen sich Anleger die Frage, ob der Hype seinen Zenit erreicht hat, oder die operative Entwicklung den Kursanstieg unterfüttert. Und Raum für mehr bietet…

Bereits 2024 verdreifachte sich der Aktienkurs und Alzchem brachte so gut 600 Mio. Euro auf die Börsenwaage. Inzwischen hat sie sich auf gut 1,2 Mrd. Euro nochmals verdoppelt und führte das Unternehmen sogar in den SDAX, den Nebenwerteindex der Deutschen Börse. Doch das könnte erst der Anfang gewesen sein, obwohl der Börsenstart im Frühjahr 2017 alles andere als verheißungsvoll verlief. Aufgrund mangelnden Interesses der Anleger musste der erste Versuch sogar abgeblasen werden und erst sechs Monate später klappte es dann doch. Aber nicht über einen normalen Börsengang, sondern mittels eines Kunstgriffs: ein Reverse-IPO. Alzchem verschmolz mit dem Börsenmantel der Softmatic AG, der anschließend in Alzchem Group umbenannt wurde.

Anschließend zog der Kurs auch erstmal an, bevor das Börsenseuchenjahr 2018 die Notierung ebenso kräftig ins Minus drückte wie die Geschäftsergebnisse. Die anschließende Erholung wurde von der Corona-Pandemie schnell wieder ausgebremst und erst vor anderthalb Jahren kam so langsam wieder Leben in die Geschichte. Bis dann Russland am 24. Februar 2024 seine Invasion der Ukraine begann und damit eine neue Zeitrechnung begann. Auch für Alzchem.

Alzchem ist ein vertikal vollintegrierter Hersteller chemischer Produkte, übernimmt also die meisten Stufen der Verarbeitung und Veredelung der Produkte selbst. Der unternehmerische dessen Schwerpunkt liegt auf komplexen organischen Produkten mit einer Stickstoff-Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung (NCN-Ketten). In seinen Betätigungsfeldern gehört Alzchem überwiegend zu den Marktführern und beschäftigt rund 1.730 Mitarbeiter an vier Produktionsstandorten in Deutschland und einem Werk in Schweden sowie in drei Vertriebsgesellschaften in den USA, China und England.

Starke Ergebnisse in 2024 und darüber hinaus

Im Jahr 2024 erwirtschaftete Alzchem einen Konzernumsatz von 554,2 Mio. Euro (+2,5 %) und ein operatives Ergebnis (EBITDA) von 105,3 Mio. Euro (+30 %) und beendete damit sein Rekordjahr eindrucksvoll. Unter dem Strich verdiente Alzchem mit 54,2 Mio. Euro sogar gute 55 % mehr als im Vorjahr.

Für das Geschäftsjahr 2025 plant das Unternehmen eine Umsatzsteigerung auf etwa 580 Mio. und ein EBITDA-Wachstum auf circa 113 Mio. Euro. Dafür will der Konzern kräftig in Deutschland investieren und ist auch in den USA auf der Suche nach neuen Standorten. Und der Start ins laufende Geschäftsjahr ist gelungen, wie die Zahlen für das 1. Quartal belegen.

Dank des anhaltenden Wachstums in den Spezialchemikalien und des dadurch insgesamt höhermargigen Umsatzmixes erzielte das Unternehmen eine signifikante Steigerung über alle Ertragskennzahlen hinweg. So konnte das Konzern-EBITDA trotz eines erwartungsgemäß 4 % geringeren Umsatzes um 10 % auf 27,4 Mio. Euro gesteigert werden, woraus sich eine verbesserte EBITDA-Marge von 18,9 % ergab (Vorjahr: 16,6 %). Dabei konnte das erfreuliche mengengetriebene Umsatzwachstum von 2 % im Segment Specialty Chemicals den mengen- und preisbedingten Umsatzrückgang von 14 % im Segment Basics & Intermediates weitgehend kompensieren. Hier setzt sich die gegenläufige Entwicklung aus dem Vorjahr weiter fort.

Alzchem ist es gelungen, den Konzernumsatz trotz des teils herausfordernden Umfelds in den ersten drei Monaten 2025 mit 144,7 Mio. Euro nahe am starken Vorjahresniveau von 150,1 Mio. zu halten. Das Spezialitätengeschäft war neben der positiven Entwicklung im Kreatin-Markt, also bei Human und Animal Nutrition, auch spürbar durch die zunehmende Nachfrage nach Produkten aus dem Bereich der Kundensynthese (Custom Manufacturing) getrieben. Gerade dieser Aufschwung nach einer zweijährigen Durststrecke ist ein Indiz für eine positivere Branchenentwicklung und dürfte von einer möglichen positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der Eurozone profitieren.

Im erwarteten Rahmen rückläufig war hingegen das Basischemiegeschäft, wo die stabile Entwicklung des Bereichs Landwirtschaft mit dem Düngemittel Perlka den Nachfragerückgang seitens der Stahlindustrie nicht kompensieren konnte. Eine gewisse Hoffnung ruht hier auf dem geplanten Sonderkonjunkturprogramm "Infrastruktur" der neuen Bundesregierung.

Trumps Zollpolitik hat sich bisher nicht negativ auf Alzchem aus, sondern dank hoher Zölle speziell auf chinesische Produkte sogar zusätzliche Chancen für Alzchem eröffnet. Die soeben getroffenen ersten Einigungen zwischen den USA und China im Zollstreit könnten hier allerdings zu hohe Erwartungen deckeln. Doch auch her sind konkrete Ergebnisse abzuwarten, denn zunächst gibt es nur eine Reduktion der gegenseitigen massiven Strafzölle auf 10 %. Für die meisten betroffenen Produkte und für 90 Tage. Ausgang offen.

Alzchems Konzernperiodenergebnis stieg in den ersten drei Monaten 2025 im Vorjahresvergleich um satte 20 % auf 14,6 Mio. Euro, während der operative Cashflow von Sonderentwicklungen geprägt war. Erstmalig erfolgten Kundenanzahlungen im Zusammenhang mit der kürzlich gestarteten Erweiterung der Produktionskapazitäten für Nitroguanidin erhöhten den operativen Cashflow auf 49,5 Mio. Euro (Vorjahr: 33,5 Mio. Euro). Daher legte der Free Cashflow trotz gleichzeitig von 6,9 Mio. Euro auf 13,1 Mio. Euro gesteigerter Investitionen auf 36,4 Mio. Euro zu. Am 31. März betrugen liquiden Mittel 91,4 Mio. Euro und damit beinahe 30 Mio. Euro mehr als am Jahresende 2024.

In den Segmenten entwickelten sich insbesondere die Spezialchemie-Produkte gut. So konnte der stetige Wachstumstrend mit 2 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum fortgeführt und in den ersten drei Monaten 2025 ein Umsatz von 94,5 Mio. Euro erzielt werden. Der Anstieg ist dabei überwiegend auf höhere Mengen zurückzuführen. Dank der Trendumkehr bei Custom Manufacturing (Mehrzweckanlagen) konnten auch hier höhere Erlöse mit einem entsprechenden Ergebnisbeitrag erwirtschaftet werden. Im Segment Basics & Intermediates musste hingegen der erwartete Rückgang hingenommen werden und so sank der Umsatz um 14 % auf 42,6 Mio. Euro. Zurückzuführen ist dies sowohl auf Preis- als auch Mengeneffekte, die sich vor allem in der schwachen Konjunktur der europäischen und deutschen Stahlindustrie begründen.

Jahresprognosen wurden bestätigt

Folgerichtig hat der Vorstand seine Prognosen für das Geschäftsjahr 2025 bestätigt, wonach ein Wachstum des Konzernumsatzes von rund 5 % gegenüber dem Vorjahr erwartet wird. Die Steigerung soll weiterhin organisch erreicht werden, speziell getrieben von Mengeneffekten.

Das EBITDA soll um ungefähr 7 % gegenüber dem Vorjahr wachsen, wobei darin noch keine Effekte aus dem Investitionsprojekt zur Erweiterung der Kapazitäten für Nitroguanidin enthalten sind. Da die EBITDA-Marge im Segment Specialty Chemicals signifikant höher ist als im Segment Basics & Intermediates, hält das Unternehmen auf Konzernebene mit dem sich weiter verbessernden Produktmix einen Anstieg von 19,0 % auf ungefähr 19,5 % für möglich.

Fette Dividendenerhöhung

Die starke Geschäftsentwicklung kommt auch bei den Aktionären an; nicht nur in Form üppiger Kursgewinne, sondern auch durch eine auf 1,80 Euro verdoppelte Dividende. Diese wurde allerdings bereits vor einigen Tagen ausgeschüttet, nachdem die Hauptversammlung die Erhöhung beschlossen hatte. Bis zur nächsten Dividendenausschüttung müssen sich die Aktionäre also bis zum nächsten Jahr gedulden. Aber die Kursentwicklung dürfte die Zeit bis dahin erträglich gestalten.

Alle Augen auf den Rüstungssektor

Der Rüstungsbereich ist eigentlich gar nicht so sehr das Spezialgebiet von Alzchem, aber seit Ausbruch des Ukrainekriegs und der seitdem neu entflammten Wiederaufrüstung der europäischen Streitkräfte zum echten Wachstumstreiber geworden.

Bereits 2023 erzielte man im Anwendungsbereich der Guanidinsalze (Nitroguanidin) ein deutliches Wachstum und das nahm im Jahr 2024 noch mehr an Fahrt auf. Hier beliefert das Unternehmen Kunden mit Bestandteilen für Airbags, Pflanzenschutz – und Wehrtechnik. Nachdem hier lange die Anwendungen der Agro-Chemie und Automotive-Industrie im Vordergrund standen, dominiert inzwischen der wehrtechnische Anwendungsbereich. Die Rüstungsindustrie benötigt Nitroguanidin für Munition, insbesondere für Artilleriegeschosse. Hier steigt die Nachfrage einerseits durch den hohen Verbrauch im Ukrainekrieg und andererseits durch viele neue Rüstungsinitiativen mit neuer, verbesserter Munition. Die NATO-Staaten wollen ihre Systeme besser aufeinander abstimmen, was zu größerer Nachfrage nach den betreffenden Angeboten führt.

Größter Munitionsproduzent Europas ist die deutsche Rüstungsschmiede und DAX-Zugpferd Rheinmetall, die ihre Produktionskapazitäten massiv ausweitet. Dabei ist Alzchem als Vorlieferant in der komfortablen Situation, dass alle Munitionshersteller auf Nitroguanidin angewiesen sind. Es spielt also keine Rolle, welcher Rüstungskonzern sich bei Auftragsvergaben durchsetzt, denn auf Alzchem sind sie alle angewiesen. Auch deshalb rüstet man hier stark auf.

Vor einem Jahr erhielt man von der EU-Kommission im Rahmen des ASAP ("Act in Support of Ammunition Production") nach einem europaweiten Auswahlverfahren einen Investitionszuschuss in Höhe von 34,4 Mio. Euro. Diesen nutz man über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren, um die Produktionskapazität von Nitroguanidin zu erhöhen und die bestehenden Anlagen zur Herstellung von Guanidinnitrat, dem Vorprodukt von Nitroguanidin, zu erneuern und zu erweitern.

Der Großteil der Kosten von rund 150 Mio. Euro dürfte bereits in 2025 anfallen, doch dank der EU-Investitionszuschüsse kann Alzchem diese gut stemmen. Das Zahlenwerk werk wird also in diesem Jahr belastet, insbesondere die Ertragskennzahlen, und ab dem nächsten Jahr dürften sich hier dann Margen- und Gewinnsteigerungen entfalten.

Bewertung & Dividende

Quelle: wallstreet-online.de
So erfreulich die starke Kursentwicklung ist, reduziert sie doch die Attraktivität beim Blick auf die Bewertungskennzahlen. So wurde Alzchem 2023 mit dem Siebeneinhalbfachen des Jahresgewinns bepreist, während es inzwischen mehr als das Zwanzigfache des für 2025 erwarteten Jahresüberschusses ist. Anders ausgedrückt: der Kurs preist heute annähernd dreimal so viel Zukunftsfantasie ein und das limitiert natürlich das weitere Kurspotenzial.

Andererseits nimmt auch das Gewinnwachstum merklich zu. Für 2025 gehen Analysten von gut 10 % aus, für 2026 sollten es dann 22 % sein. Das von Börsenlegende Peter Lynch populär gemachte PEG (Price-Earnings-Growth-Ratio) läge damit für 2026 knapp unter eins, da Gewinnwachstum und KGV auf dem gleichen Level rangieren. Für ein Wachstumsunternehmen, und dazu gehört Alzchem inzwischen, ist das sogar eher ein vergleichsweise moderates Bewertungsniveau. Dem entsprechend hat der Kurs analog zur weiteren positiven fundamentalen Entwicklung Raum für eine Fortsetzung seiner Klettertour – wenngleich wohl nicht mehr mit demselben Momentum wie bisher.

Bullcase vs. Bearcase

Als Spezialchemieanbieter profitiert Alzchem von der anhaltend hohen Nachfrage nach seinen Produkten, die nur wenige Anbieter im Portfolio haben. Bei der Produktion kommen weniger energieintensive Verfahren zur Anwendung und die sich in den beiden letzten Jahren deutlich abgekühlten Energiepreise sowie entspanntere Lieferketten haben die Kostenseite merklich entlastet. Hier könnten sich Entspannungen in den vielen von Trump angezettelten Zollkriegen zusätzlich positiv auswirken.

Im Wehrbereich entwickelt sich zudem eine Sonderkonjunktur, die über viele Jahre steigende Umsätze und Gewinne verspricht, und auch eine wirtschaftliche Belebung in Deutschland und der Eurozone nach Jahren der Rezession dürfte sich positiv auf Alzchems Geschäfte und Ergebnisse auswirken.

Fazit

Alzchem hat seit anderthalb Jahren einen Lauf und (erst) seitdem seine Aktionäre verwöhnt. Bremsspuren gibt es noch immer seitens der Stahlindustrie, doch durch die von Vorstandschef Andreas Niedermaier vorangetriebene Transformation in Richtung höhermargiger Spezialchemie-Produkte sollte hier entgegenwirken.

Und so ist zwar bereits viel Luft im Kurs enthalten, aber eine Blasenbildung ist bisher nicht zu verzeichnen, da die Geschäftsentwicklung ebenfalls ordentlich zulegt. Mit einem Börsenwert von rund 1,2 Mrd. Euro zählt Alzchem nicht mehr zu den Nischennebenwerten an der Börse. Den Status als Hidden Champions hat man dennoch nicht verloren und Anleger können sich die Aktie auch auf dem erhöhten Bewertungsniveau gut ins Depot legen, um auf mittlere und lange Sicht attraktive Zuwächse zu verbuchen.

Die 4 wichtigsten Dinge, die man über Alzchem wissen muss

  1. Als Nischenanbieter leidet Alzchem nicht so sehr unter der noch anhaltenden allgemeinen Branchenschwäche im Chemiesektor.
  2. Der Umsatz hält sich auf hohem Niveau, während Margen und Ergebnisse deutlich zulegen. Ein Trend, der sich ziemlich absehbar weiter fortsetzen dürfte.
  3. Der Wehrbereich spielt eine zunehmend gewichtige Rolle und entwickelt sich zu einem zunehmenden Umsatz- und Gewinntreiber.
  4. Erhöhte Investitionen in zusätzliche Fertigungskapazitäten treiben das Wachstum ab 2026 deutlich an und dürften dann für zusätzliche Gewinnbeiträge sorgen.
Disclaimer: Habe Alzchem, Rheinmetall auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

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