Samstag, 16. Mai 2020

Kissigs Kloogschieterei: Sollte man gerade jetzt in Aktien investieren?

Die Frage, ob man gerade jetzt in Aktien investieren sollte, bekomme ich häufig gestellt. Dahinter verbirgt sich der Wunsch, eine "sichere" Aussage zu bekommen, wie sich die Börsen und spezielle Aktien in den nächsten Tagen entwickeln. Denn mit langfristigem Blick investieren leider nur die wenigsten Anleger wirklich. Auch wenn sie selbst davon überzeugt sind, dass sie die Aktien lange halten werden - sie tun es allenfalls, wenn die Kurse sofort nach dem Kauf steigen und ihnen ein "gutes Gefühl" vermitteln. Doch steigen die Kurse, kommt schnell die bange Frage auf, ob man nicht lieber die Gewinne mitnehmen sollte, denn "an Gewinnmitnahmen ist ja noch niemand gestorben". Die wohl dümmste Börsenweisheit, die ich kenne. Wer Apple, Amazon, AlphabetMicrosoft, Hypoport oder SAP nach den ersten schnellen 30% verkauft hat, hat die folgenden zehntausenden von Prozenten an Kursgewinnen verpasst. Die Gewinneraktien zu verkaufen, um seine Gewinne abzusichern, ist eine Loserstrategie! Top-Aktien sollte darf man nur verkaufen, wenn sich die Rahmenbedingungen für sie deutlich zum Negativen entwickelt haben. Ansonsten wir man nie besser abschneiden als der Markt.

Aber zurück zur Frage, ob man gerade jetzt in Aktien investieren, oder ob man lieber auf einen Kurseinbruch warten sollte, um günstiger an die Stücke heranzukommen. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: es kommt drauf an...

Meine Ausgangslage in Zeiten von Corona

Meine Cashquote liegt niedrig, ich halte in der Regel nur ein oder zwei Prozent an Cash; ich setze auf Quality Investments und daher erwarte ich, dass "meine Aktien" relativ unbeschadet durch die Corona-Phase kommen, weil sie solide Bilanzen haben, einen hohen (nicht wegbrechenden) Cashflow und ggf. hohe Cashreserven aufweisen und einen soliden ökonomischen Burggraben, der sie vor Angriffen von Wettbewerbern schützt.

Sir John Templeton riet, dann zu investieren, wenn man Geld hat, weil die Erfahrung lehre, dass Zeit wichtiger ist als Zeitpunkt (time in the market beats timing the market). Und er riet, in Zeiten des größten Pessimismus zu kaufen. Das war sicherlich Ende März der Fall; viele Aktien haben damals ihren Tiefpunkt gesehen. Das erkennt man natürlich vor allem in der Rückschau am besten.

Ich habe in dieser Phase meine Investments darauf hin abgeklopft, ob sie durch Corona massiv beeinträchtigt werden, ob sie einen dauerhaften Schaden nehmen könnten. Oder ob sie eher unbeschadet über die Runden kommen dürften oder sogar Vorteile aus der Krise (aktuell und darüber hinaus) ziehen können.

Da landet man dann zwangsweise bei Microsoft, Amazon, American Tower, PayPal. Und perspektivisch auch bei MasterCard, VISA, Adobe, Danaher, Apple, Intuit. Oder Facebook, Alphabet, Twitter, Square, Hypoport.

Wie werden sich die Aktienkurse entwickeln?

In all diese Werte konnte man in den letzten Wochen "gut" einsteigen. Ob man sie jetzt kaufen sollte, quasi als Ersteinstieg, die Frage ist kaum zu beantworten. Mit Blick auf fünf Jahre: unbedingt. Aber... die Aktien können auch nochmals wieder 10 oder 20 Prozent tiefer notieren. Das ist nicht abzusehen!

Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, dass die genannten Werten und/oder der Aktienmarkt in den nächsten vier bis sechs Wochen nochmal um zehn Prozent oder mehr zulegt auch eher begrenzt, denn die wirtschaftlichen Daten fallen weiter massiv.

Für Aktieninvestments sprechen hingegen zwei Dinge: das Geld und die Stimmung. Die FED flutet die Märkte mit Geld und das treibt weniger die Wirtschaft als vielmehr die Aktienkurse. Und die Stimmung ist grottenschlecht. Selbst viele Profis jammern jetzt rum (und haben dem entsprechend sicherlich längst ihre Aktien verkauft): Stanley Druckenmiller und David Tepper halten die Märkte für stark überbewertet; Bill Miller und Ken Fisher sehen das differenzierter und raten zu selektiven Käufen von ausgewählten Aktien (im Grunde also zu Quality Investing).

Schaut man auf die Gewinnmultiplen, sind (die meisten) Aktien aktuell maßlos überteuert. Klar, die Gewinne brechen gerade massiv ein, wie sollen da KGVs nicht in die Höhe schießen (sofern die Aktien nicht ebenfalls genauso einbrechen)? Die entscheidende Frage ist doch: wie lange werden die Gewinne so niedrig bleiben? Ist das eher eine Phase von einem halben oder einem Jahr oder liegen die Unternehmen dauerhaft brach? Die Börse handelt die Zukunft und einen miese Lage bis zum Jahresende haben die Märkte emotional Ende März eingepreist. Einen Teil der Erholung ab 2021 dann im April ebenfalls.

Meine Einschätzung

Ich bin hauptsächlich in Werten investiert, die wenig zu leiden haben bei den Umsätzen und Gewinnen. Was vor einem dramatischen Einbruch steht oder diesen schon erlebt, habe ich aussortiert.

Sobald die Wirtschaft wieder aufdreht, werden natürlich die Kurse von den Unternehmen, die jetzt total ausgebombt sind und die sich dann wieder erholen, am stärksten zulegen. Aber da sind wir wieder bei der Frage des Timings: erwische ich den richtigen Zeitpunkt? Kaufe ich, kurz bevor die Kurse dieser Aktien wieder steigen oder fallen die erstmal noch um 10, 20 oder 30 Prozent?

Im Timing bin ich nicht so gut; ich setzte daher auf meine Quality Investments, die nicht so stark verloren haben, die nicht so stark verlieren werden und die später auch nicht so großes Aufholpotenzial haben. Aber ich habe auch kaum keine Totalverluste im Depot.

Zur Frage, ob man ausgerechnet jetzt den Grundstock für ein Depot legen sollte, kann ich nur sagen: keine Ahnung. ツ

Vielleicht sollte man einfach - ohne zu kaufen - die Werte heraussuchen, die man langfristig im Depot haben möchte, unabhängig vom Kursverlauf und der Bewertung. Alleine aufgrund des Geschäftsmodells und ob bzw. wie sie Corona durchstehen. Als zweites schaut man dann, ob die Unternehmen zu akzeptablen Preisen zu kaufen sind. Nicht so sehr auf das KGV schielen, denn der Gewinn ist die am leichtesten zu manipulierende Bilanzposition. Besser auf die Entwicklung der Cashflows und den Verschuldungsgrad sowie das Umsatzwachstum schauen. Die Unternehmen finden, an denen man beteiligt sein will, und dann kaufen, wenn die Aktien günstig (genug) erscheinen. Und dabei nicht (so sehr) auf den Gesamtmarkt schauen!
»Spiele werden von denen gewonnen, die auf das Spielfeld achten und nicht auf die Anzeigetafel.«
(Warren Buffett)
Der Gesamtmarkt sagt wenig aus, weil die führen Indizes von einigen wenigen Aktien dominiert werden: und zwar von Apple, Microsoft, Alphabet, Facebook. Das ist seit der Finanzkrise so und in Corona hat sich das noch verschärft. Die Mehrzahl der Aktien liegt am Boden; der Blick auf den S&P 500 erzeugt also eine falsche Wahrnehmung über die Entwicklung von Wirtschaft und Börsenkursen. Nicht "die Börsen" stehen hoch, sondern einige Kurse von dominierenden Aktien. Aber die stehen so hoch, weil ihnen Corona kaum etwas anhaben kann. Und weil sie in einigen Wochen stärker aus der Krise hervorgehen, da sie die nötigen Anpassungen und Veränderungen aus ihren enormen Cashflows locker bezahlen können, während andere dies nicht können; die müssen es dann bleiben lassen und leiden oder sie müssen sich teures Geld leihen oder Kapitalerhöhungen zu schlechten Konditionen durchführen, um nicht völlig ins Hintertreffen zu geraten. Bei solchen Firmen will man auch ohne Corona nicht unbedingt Aktionär sein (also Mitinhaber der Firma).

Wenn Du mehr zur Entwicklung meiner Quality Investments erfahren möchtest, kannste hier mal schauen:

Disclaimer: Adobe, Alphabet, Amazon, American Tower, Apple, Danaher, Facebook, Hypoport, Intuit, MasterCard, Microsoft, PayPal, Square, Twitter, VISA befinden sich auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot.

13 Kommentare:

  1. Hallo Michael,

    sehr gute Auswahl. aber woran liegt es, dass Du im Bereich Pharma/Biotech überhaupt nicht investiert oder zumindest interessiert bist?

    Das ist m. E. einer der viel verprechendesten Sektoren.

    Viele Grüße


    Hwenrik

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    1. Moin Henrik,
      ich tue mich mit Branchen schwer, in denen der Saat stark reguliert. Das betrifft Energie und eben Pharma/Biotech; hier wirkt die Politik gerne auf den Markt ein, um gewollte Ergebnisse zu erzeugen; das hat mit Marktwirtschaft eher wenig zu tun un erzeugt starke Abhängigkeiten von staatlicher Willkür. Wenn ich also in solchen Branchen zuschlagen will, dann muss es sich schon um außergewöhnliche Gelegenheiten handeln; ich stelle mir immer die Frage, ob ich nicht in anderen Branchen ähnliche Chancen bei geringeren Risiken antreffe und fast immer finde woanders vergleichbare oder sogar besser Möglichkeiten.

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  2. Hallo Michael,

    Vielen Dank für die ganzen fundierten Artikel. Dein Blog ist eine Bereicherung für die Finanzblog-Szene.
    Du schreibst in deinem Artikel, dass es ein Fehler ist Gewinne zu früh zu realisieren, wenn es sich um ein Top-Unternehmen handelt und sich die Rahmenbedingungen nicht geändert haben. Soweit verständlich und nachvollziehbar. Wie handhabst du es denn konkret in deinem Portfolio? Hast du dir konkrete Obergrenzen für die Portfoli-Positionen gesetzt (Position max. X%) und verkaufst dann Anteile wenn eine Aktie gut gelaufen ist, auch wenn du sie an sich nicht für überbewertet hälst? Oder nimmst du in solchen Fällen bewusst eine (zeitweise) Übergewichtung der Position in Kauf? Vielleicht hast du dazu bereits früher schon einmal etwas geschrieben, bin aber nicht fündig geworden.

    Danke und Gruß

    Trumpf

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    1. Ich bin kein Freund des "Rebalancings" und habe dazu vor einem Jahr meine Gedanken mal ausführlich dargelegt: "Versenkst Du auch viel Geld mit Rebalancing oder hast Du schon richtig Erfolg beim Investieren?". Es ist aber niemand von den mir bekannten erfolgreichen Investoren auf meine Gedanken eingegangen; ich denke, die meisten neigen zum Reballancing und/oder haben das Problem, das damit einhergeht, nicht verstanden bzw. ignorieren es. Es kostet einfach wahnsinnig viel Rendite, weil man selten wirklich tolle Unternehmen erwischt. Und wer zufällig die "neue Amazon-Aktie" im Depot liegen hat und nach den ersten 100% die Hälfte verkauft, während der Kurs in den nächsten 10 Jahren 10.000% macht, der verliert auf diese Art viel Geld. Weil die anderen Aktien, in die er die andere Hälfte steckt, eben keine solchen Raketen sind, sondern nur Durchschnitt oder vielleicht sogar Flops. Und selbst wenn er welche erwischt, die sich in 10 Jahren verdreifachen, ist das doch viel weniger Rendite, als die Ursprungsaktie gebracht hätte. Also, nur deshalb zu verkaufen, weile eine Position zu erfolgreich (und damit zu groß) im Portfolio geworden ist, ist alles andere als clever...

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  3. Hallo Michael,

    danke für Deine schnelle un fundierte Antwort. Das ist ein Aspekt, den ich bislang noch gar nicht in Erwägung gezogen hab. Für europäische Biotech' s würde ich Dir ja uneingeschränkt zustimmen. Gilt das aber auch für den US-Markt. Hier ist ja die Marktwirtschschaft - anders als im sozialistisch vers....... Europa noch relativ wenig eingeschränkt.

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    1. Corona hat das Thema aus den Schlagzeilen verdrängt, aber gerade die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten haben versucht, beim Thema Gesundheit zu punkten. Sie wettern gegen hohe Arzneimittelpreise und den Zustand der Krankenversorgung und einige wollen eine staatliche, pflichtige Krankenversicherung. Elizabeth Warren ist jetzt aus dem Rennen, aber ihre linkslinken Positionen (wie auch die von Sanders) nicht. Sollte Biden Präsident werden, dürfte da einiges in Bewegung geraten. Aus Sicht der Versicherten und/oder der vielen Nichtversicherten in den USA wohl positiv, aber für die Unternehmen eine gewaltige Herausforderung. Und auch für die Bürger, die in den USA ja generell staatlichen Pflichtvorgaben skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Will sagen. auch in den USA besteht keine freier Markt im Gesundheitswesen.

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  4. Hallo Herr Kissig, wie ist denn Ihre aktuelle Meinung zu Aurelius und dem starken Kursrutsch?
    Sie haben bei den neueren Shortattacken im Jänner bereits zugekauft. Haben Sie zwischenzeitlich weiter nachgekauft oder sich von der Position getrennt?


    Sehen Sie Carnival als Turnaround-Kandidaten? Die Kreuzfahrtbranche boomte bis vor Corona ja regelrecht.

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    1. (Deutsche) Beteiligungsgesellschaften sind momentan nicht so en vogue. Ich habe ich dazu in den letzten sechs Monaten mehrfach geäußert; Corona hat die negative Entwicklung noch einmal beschleunigt.

      Aurelius dürfte es in 2020 schwerer haben, weil sie keine "Champions" für ihr Portfolio kaufen wie MBB, sondern Sanierungsfälle, um diese dann nach einigen Jahren mit großen Gewinn wieder zu veräußern. Die Töchter leiden jetzt massiv unter Corona und dem Lockdown und Aurelius hatte selbst vor kurzer Zeit geäußert, dass wohl nicht alle Töchter überleben werden. Ggf. macht man sie dicht oder stößt sie ab. So ist wohl auch die jüngste Meldung zu Office Depot zu verstehen.

      Auf der anderen Seite kann Aurelius auf der Kaufseite aktiv werden und so die Gewinne von übermorgen akquirieren. Hier bieten sich also mittel- und langfristig gute Chancen. Insofern finde ich die Dividendenaussetzung sinnvoll, denn das Geld sollte lieber "operativ" verwendet werden und für die Aktionäre arbeiten.

      Ich habe meine Aurelius-Position, wie auch diverse andere, die von der Konjunktur stark/stärker abhängen und unter Corona massiv leiden werden, reduziert und einige sogar ganz verkauft. Unter meinen größeren Positionen findet sich aus diesem Bereich aktuell nur noch MBB. Bei Aurelius und Blue Cap ist für mich momentan zu wenig einschätzbar, wie Corona sich auf die Beteiligungen auswirkt und ab wann ggf. wieder mit einer (operativen) Besserung zu rechnen ist.

      Carnival und die ganze Tourismusbranche hatte ich nie im Fokus und kann mich auch jetzt nicht fundiert dazu äußern.

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    2. ad Aurelius:

      Anonym09.05.20, 13:11
      Hallo Michael,
      hast du Aurelius verkauft??
      Das Unternehmen befindet sich gar nicht mehr auf deiner Empfehlungsliste.

      VG

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      Michael C. Kissig09.05.20, 14:25
      Also auf meiner Liste ist Aurelius an Position zwei weiter dabei...

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    3. Verstehe ich nicht. Die Frage war, ob Aurelius nicht mehr auf meiner Beobachtungsliste sei - und das ist sie. 1. Position: 3U Holding, 2. Position Aurelius, 3. Blue Cap.

      Nochmal: die Beobachtungsliste ist nicht identisch mit meinem Depot und die Reihenfolge der Liste ist alphabetisch geordnet. Mit Positionsgrößen hat das nichts zu tun. Diese gebe ich einmal pro Quartal in meinen Investor-Updates an.

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  5. Hallo,

    ich war eine laaange Zeit Aurelius-Fan + Aktieninhaber. Ich habe mich aber aufgrund des Kursverfalls und der m.E. schlechten Aussichten für den Verkauf der Anteile in der letzten Woche entschieden.
    Meine Frage: hälst du noch deine Anteile und wie siehst du generell die Zukunft von/für Aurelius???

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  6. Anonym (Fragesteller) @Anonym: Meine Aurelius-Position ist ca. 45-50% im Minus. Ich werde diese Position jedoch nicht abstoßen. Bei 50% minus , halte ich Aurelius lieber als Mahnmal im Depot, falls die platt gehen sollten.

    Die Dividendenstreichung war mMn richtig. Auch die Kürzung von 25% bei den Vorständen sehe ich zumindest als Symbol. Ansonsten bin ich mir (, wie auch Aurelius selbst) sicher, dass einige Ihrer Unternehmen die Coronakrise nicht überstehen werden.

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    1. noch eine Ergänzung zu meinem Post von 12:37: Ich habe Aurelius eh eher als Zock gesehen, dessen Verlust zwar schmerzhaft, aber durchaus zu verkraft wäre

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