Dienstag, 2. August 2022

Kissigs Aktien Report: Unter Strom oder unter Geiern? "Bürgerwind-Aktie" clearvise und der Samwer-Deal

Im Rahmen meiner Kooperation mit dem "Aktien Report" von Armin Brack nehme ich mir in unregelmäßigen Abständen interessante Unternehmen vor. Die Ausgaben des "Aktien Reports" und/oder "Geld Anlage Reports" erreichen ihre Leser samstags kostenlos und "druckfrisch" im Email-Postfach und man kann sich ▶ hier beim "Geld Anlage Report" anmelden. Bonbon für die Leser meines Blogs: einige Tage später darf ich die Analysen dann auch hier veröffentlichen.

Aktien Report Nr. 98 vom 22.07.2022

Unter Strom oder unter Geiern? "Bürgerwind-Aktie" clearvise und der Samwer-Deal

Deutschland leidet unter der Sommerhitze, aber die Schlagzeilen bestimmt der Winter. Genauer gesagt die Gefahr, im Winter ohne ausreichend Gas dazusitzen und damit im Kalten. Das Gezerre um die Gaslieferungen durch Nordstream 1, die sich verzögernde Rückkehr der Turbine, Putins wechselhafte Drohgebärden, all das treibt uns in Deutschland die Schweißperlen auf die Stirn.

Während die unmittelbare Zukunft ungewiss ist, zeichnet sich mittel- und langfristig ein klarer Weg ab: so schnell weg von Öl und Gas (und Kohle) wie möglich. Und noch schneller will man auf russische Energiequellen verzichten.

Nicht verzichten wollen und können stehen auf der anderen Seite der Bilanz. Deutschlands Wohnungen müssen beheizt werden, die Mobilitätswende führt zu einem enormen Strommehrbedarf, gleiches gilt für die Gebäudetechnik, wo neue Dämmvorschriften immer umfangreichere Kälte- und Wärmetechnik erfordern – und die benötigt vor allem eines: Strom.

Dass Rot und Grün in der Ampel-Koalition weiterhin auf die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland zusteuern, zeigt den Irrsinn der Entwicklung. Insgeheim hat man auf die Franzosen gehofft, die unsere Stromlücke schon irgendwie schließen werden. Schließlich wird in Frankreich überwiegend mit Strom geheizt und der kommt dort aus der Steckdose. Genauer gesagt: aus Atomkraftwerken. Dummerweise sind die neuen Kraftwerkstypen bisher eher problembehaftet, so dass weitgehend auf die alten Meiler gesetzt wird. Doch die sind veraltet und störanfällig, was zu häufigen Auszeiten führt. Frankreich will, um sein Strom- und Energieproblem zu lösen, nun sogar den größten Stromversorger EdF verstaatlichen (also auch noch die restlichen 30 % aufkaufen, die dem Staat noch nicht gehören).

Derweil stehen viele der französischen AKWs still und das führt zu der schizophrenen Situation, dass Deutschland, das auf eine Gasmangellage zusteuert wegen der ausstehenden Gaslieferungen aus Russland, seine Gaskraftwerke unter Volllast laufen lassen muss, um mittels Gasverstromung die französischen Ausfälle zu kompensieren.

Nun erzielt das seit Wochen anhaltende Geschrei über die drohende Gasmangellage, über Temperaturabsenkungen beim Warmwasser oder bei der Fernwärme durchaus Wirkung, ebenso die beinahe überall herausposaunten Einsparvorschläge. Die Deutschen kaufen Öfen, um Holz zu verfeuern, und sie kaufen Radiatoren, um ihre durch den Gasmangel im Winter zu erkalten drohenden Wohnungen mit Strom zu beheizen.

Der Strombedarf schießt also kurz-, mittel- und langfristig in die Höhe. Aber die deutschen AKWs kann man getrost abschalten?

"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
(Immanuel Kant)

Die Debatte um die AKWs ist vor allem eine politische. Leider führt sie auch dazu, dass in Deutschland jetzt erstmal wieder stärker auf Kohle zum Heizen und zur Stromproduktion gesetzt wird. Kohle, der wohl "unsauberste" Energieträger mit einer katastrophalen CO2-Bilanz. Aber keine Sorge, der Kohleausstieg bis Ende 2030 steht, sagt Wirtschaftsminister Habeck.

Doch auch die Kohle hat so ihre Probleme. In den letzten 5 Jahren sind die Kapazitäten in Deutschland massiv runtergefahren worden, auch in der Logistik. Es stehen also keine Binnenschiffe zur Verfügung, um mehr Kohle die Flüsse hinab zu schippern. Und die Hitzewelle hat die Pegelstände der Flüsse sinken lassen, so dass die Binnenschiffe aktuell auch nur noch mit 50 % beladen werden dürfen. Und auch die Bahn hat schon abgewunken, weil sie keine zusätzlichen Transportkapazitäten frei hat. Und die wird auch niemand schaffen (wollen), denn… der Kohleausstieg bis Ende 2030 ist in Stein gemeißelt, sagt Wirtschaftsminister Habeck.

Deutschland, wir haben ein Problem

Was bei der Debatte inzwischen völlig zu kurz kommt, ist der Klimawandel. Der ist ja eigentlich das zentrale Problem und zwar nicht nur in Deutschland, sondern global. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist allerdings nach Überzeugung des Klimaforschers und Meteorologen Mojib Latif nicht mehr zu erreichen. Wir steuern ungebremst auf die Vollkatastrophe zu! Fast.

Es gibt auch positive Nachrichten von der „Klimafront“. Allen voran erfreut uns China, die zwar zu den größten Kohleverbrennern zählen (neben Indien), aber auch die gewaltigste Zubaurate an EE-Anlagen aufweisen und auch beim Bestand zur Spitze zählen. China deckt seinen steigenden Energiebedarf aus Wasserkraft und stark zunehmend aus Wind- und Solarenergie. Und auch die USA drehen, was Ökostrom angeht, kräftig auf. Da kann man beinahe dankbar sein, dass Deutschland nur so eine kleine Rolle spielt…

Deutsche Firmen gehören auch heute noch zu den führenden Unternehmen im EE-Sektor und nach einigen Jahren der Stagnation steigen auch die Zahlen der in Deutschland ans Netz gehenden Solar- und Windparks endlich wieder. Gerade musste das Wirtschaftsministerium bekanntgeben, dass 2021 beinahe 1 Mrd. Euro für "Phantomstrom" angefallen sind, also Entschädigungen, die für abgeschaltete EE-Anlagen gezahlt werden mussten. Das liegt an fehlenden Stromtrassen und mangelnden Speicherkapazitäten. Die Entschädigungen zahlen übrigens die Netzbetreiber und legen sie dann auf die Stromkunden um. Insofern ist es durchaus erfreulich, dass nun auch die Stromtrassen zügig gebaut werden und damit der Grünstrom auch wirklich beim Verbraucher ankommt.

Die Energiewende hat also viele Facetten und es müssen eine ganze Reihe von Zahnrädern stimmig ineinandergreifen, damit alles funktioniert. Dazu zählen auch die Projektierung und Errichtung neuer Wind- und Solarparks in Deutschland, sowohl neue Anlagen als auch das Aufrüsten bestehender Altanlagen (sog. Repowering).

Da die Projektlaufzeiten wegen langsamer Genehmigungsverfahren, hoher Preise, Lieferschwierigkeiten, Personalmangel, Bürgerprotesten und vielen weiteren Gründen langwierig sind, gleichzeitig die Nachfrage aber kräftig zulegt, steigt der Wert der Bestandsanlagen.

Zu den Profiteuren gehören also die Unternehmen, die bereits Wind- und Solarparks betreiben. Sie verbuchen starke Wertzuwächse, weil die Nachfrage viel höher ist als das Angebot und weil die Strompreise so exorbitant angestiegen sind.

Der größte konzernunabhängige Betreiber von Wind- und Solarparks in Deutschland ist die 7C Solarparken AG. Zur neuen Nummer zwei könnte nun ein bisher unbekannter Spieler aus der dritten Reihe aufsteigen: die clearvise AG, früher (etwas mehr) bekannt als ABO Invest.

Das Unternehmen hat erst vor kurzem die endgültige Trennung von seinem langjährigen Partner ABO Wind vollzogen und startet mit einem neuen Vorstand mächtig durch. Die neue Strategie sieht auch Wachstum durch Einbringung von Wind- oder Solarparks in die clearvise AG vor, doch was sich nun mit Pacifico Renewable anbahnt, stand wohl so in keinem Playbook…

Clearvise im Wandel - erneut

Die clearvise AG ist ein unabhängiger Stromproduzent im Markt der erneuerbaren Energien und betreibt ein diversifiziertes europäisches Anlagenportfolio. Das Beteiligungsportfolio umfasst operative Wind- und Solarparks sowie eine Biogasanlage in vier Ländern. Der Bestand wird aggressiv weiter ausgebaut und damit trifft das Unternehmen genau den Nerv der Zeit, während die Nachfrage nach grüner Energie und die Strompreise weiter ansteigen.

Das Unternehmen wurde im Jahr 2010 gegründet von der ABO Wind AG, einem Projektierer von Windkraftanlagen. Die ABO Invest AG erfüllte als Betreiberin von Windparks die steigende Nachfrage von Anlegern nach Investitionsmöglichkeiten im Segment der erneuerbaren Energien.

Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Projektentwickler und Betreibergesellschaft reduzierte Transaktions- und Verwaltungskosten. Doch nach 10 Jahren war Schluss. Nachdem sich aktivistische Investoren eingekauft (Enkraft) und immer stärkeren Druck auf das Management ausgeübt hatten, beide Unternehmen zu entflechten und getrennte Wege gehen zu lassen, erfolgte die Trennung Mitte 2020; die ABO Wind AG hatte alle ihre Anteile an der ABO Invest verkauft. Seitdem fokussiert sich die ABO Wind AG auf die Projektierung von Wind- und Solarparks, während die ABO Invest ein reiner Bestandshalter ist. Einige Zeit später erfolgte dann die Umbenennung in clearvise AG.

Clearvise verfügte Ende April 2022 über ein etabliertes, diversifiziertes Beteiligungsportfolio mit einer Kapazität von rund 378 MW aus Wind- und Solarparks in Deutschland, Frankreich, Irland und Finnland. Hiervon befinden sich bereits rund 303 MW in Betrieb.

Das Unternehmen profitiert im Megawatt-gewichteten Durchschnitt noch mehr als neun Jahre lang von festen Einspeisevergütungen mit einem durchschnittlichen Einspeisetarif von über 81 Euro je MWh. Auch in Anbetracht der COVID19-Pandemie hat sich das Geschäftsmodell als robust erwiesen. Dabei stellt die garantierte Einspeisevergütung zumeist nur die Untergrenze der Vergütung dar; sofern der Strompreis an der Strombörse höher notiert, kann das Unternehmen diese höheren Preise für sich nutzen.

Im Jahr 2020 hat clearvise durch die personelle, organisatorische und strategische Neuausrichtung die Voraussetzungen für künftiges Wachstum geschaffen und das Beteiligungsportfolio in 2021 um rund 70 % ausgebaut. CEO ist seitdem Petra Leue-Bahns, die bereits seit 2001 in verantwortlichen Positionen in der Branche für erneuerbare Energien arbeitet und mit allen Ebenen der Wertschöpfungskette vertraut ist.

Auf Basis seiner Drei-Säulen-Strategie aus clearSWITCH, clearPARTNERS und clearVALUE konzentriert sich clearvise darauf, das Portfolio an Wind-Onshore und Photovoltaik-Anlagen in Europa profitabel weiter auszubauen. Der Fokus liegt auf Wind-Onshore- und PV-Anlagen primär in Europa. 80 bis 85 % des Eigenkapitals sieht man dabei für Direktinvestitionen in die regenerative Stromerzeugung in Europa vor, weitere 15 bis 20 % sind als sog. Opportunity Pocket für andere erneuerbare Technologien und Länder bestimmt.

Unter clearVALUE will das Unternehmen klassisch durch die Akquisition von neuen oder bestehenden Projekten wachsen. In diesem Zusammenhang sind auch Projekte realisierbar, die mit komplexen technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen einhergehen.

Die zweite Säule, das Co-Entwicklungs- und Co-IPP-Modell clearPARTNERS, steht für Kooperationen mit regionalen Entwicklern.

Mit clearSWITCH ermöglicht es clearvise Betreibern von Bestandsanlagen, diese gegen clearvise-Aktien eintauschen zu können; es ist also ein innovatives Sachkapitalanlagemodell. Die Ausgabe der neuen Aktien, die als Kaufpreis gezahlt werden, verwässern dabei den Aktienbestand der Altaktionäre, wie bei jeder Kapitalerhöhung, bringen aber die Energieparks als neues Eigenkapital ein und schaffen damit im Gegenzug Werte für die Aktionäre.

Und genau an dieser Stelle kommt nun reichlich Schwung in die Sache…

Schauen wir mal auf die aktuelle Aktionärsstruktur. Pelion Green Future Alpha hat jüngst ihren Anteil von 18,6 auf 22 % ausgebaut, daneben hält die Union Investment Privatfonds GmbH 5,9 % und Enkraft hält ebenfalls noch einen signifikanten Anteil, der aber deutlich unter den 10 % liegen dürfte, den man Mitte 2021 noch innehatte.

Pelion gehört mehrheitlich Alexander Samwer, dem jüngeren Bruder von Oliver Samwer, der mit seiner Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet ja zu den umstrittensten Investoren Deutschlands zählen dürfte. Der "Incubator" hatte Zalando, HelloFresh, Home24, Westwing und einige weitere illustre Unternehmen geformt und an die Börse gebracht. Doch Anleger haben mit deren Aktien überwiegend Geld verloren und das gilt auch für die Aktien von Rocket Internet selbst, die nach einem Kursabsturz von rund der Hälfte dann von Oliver Samer "kalt delisted" wurden.

Nun ist Alexander Samwer nicht sein Bruder Oliver und dessen Verhalten gegenüber Anlegern und Kleinaktionären sollte man ihm nicht anlasten. Doch der Name ist jedenfalls nicht dazu geeignet, diesbezügliche Bedenken zu verringern.

Bei clearvise hat man jedenfalls keine Befürchtungen in dieser Richtung, denn ansonsten hätte man sich wohl kaum zum größten Deal der Unternehmensgeschichte entschlossen.

Am 13. Juli gab clearvise bekannt, mit der Pacifico Renewables Yield AG eine unverbindliche Vereinbarung (Memorandum of Understanding) über den möglichen vollständigen Erwerb des bestehenden europäischen 166 MW Wind- und Solarportfolios der Pacifico durch die clearvise und eine Beteiligung von Pacifico als Ankeraktionär der clearvise abgeschlossen zu haben.

Pacifico gehört ebenfalls mehrheitlich Alexander Samwer und hat bereits in einem ersten Schritt eine Sachkapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital durchgeführt, bei der die bisher von Pelion Green Future Alpha GmbH gehaltenen clearvise-Aktien in die Pacifico eingebracht werden sollen.

Nach Vollzug dieser Pacifico-Sachkapitalerhöhung beabsichtigt clearvise in einem zweiten Schritt den Erwerb des europäischen Wind- und Solarportfolios von Pacifico. Der Kaufpreis soll dabei teilweise in Aktien der clearvise im Rahmen einer Sacheinlage ("Aktienkomponente") sowie teilweise durch eine Barkomponente gezahlt werden.

Die Gesamtvergütung ergibt sich dabei aus dem Bewertungsergebnis der jeweiligen Portfolien, die ein noch von beiden Unternehmen zu bestimmender externer Sachverständiger vornehmen wird.

Und nun kommt's… Das Verhältnis zwischen Aktienkomponente und Barkomponente soll so ausgestaltet werden, dass Pacifico nach Vollzug der Transaktion mit einer Finanzbeteiligung von langfristig ca. 40 % am Grundkapital der börsennotierten clearvise beteiligt sein soll.

Alles klar? clearvise wird durch den Deal deutlich wachsen, aber die von Alexander Samwer kontrollierte Pacifico wird mit 40 % bestimmender Ankeraktionär bei clearvise!

Durch den geplanten Erwerb des bestehenden 166 MW Wind- und Solarportfolios würde die operative Stromerzeugungskapazität der clearvise bei über 469 MW liegen gegenüber aktuell 303 MW, eine Steigerung von rund 55 %.

Chancen und Risiken

Das Risiko besteht darin, dass Alexander Samwers Anteil sich von 22 % auf 40 % erhöht und er damit de facto die Kontrollmehrheit erlangt. Denn auf der Hauptversammlung sind selten mehr als 80 % der Stimmrechte vertreten, so dass er dort die einfache Mehrheit stellen wird. Und damit auch den Aufsichtsrat umgestalten kann, der wiederum den Vorstand benennt oder entlässt.

Auch könnte er zukünftig versuchen, die Aktienmehrheit zu erlangen oder später sogar auf ein Delisting und auch einen Squeeze-out zusteuern. Das ist eine Gemengelage, die nicht jedem schmeckt.

Ein bestimmender Großaktionär ist eine feine Sache, wenn er Warren Buffet heißt. Weniger erfreulich ist es, wenn man sich zum Beispiel mit der Deutschen Balaton AG herumplagen muss, die vor allem ihre eigenen Interessen im Blick hat und die der Mitaktionäre allenfalls als Fußnote gewichtet.

Doch es kann auch mit einem unangenehmen Hauptaktionär renditestarke Ergebnisse geben. Das erleben Anleger gerade bei PNE, einem EE-Park-Projektierer und –Bestandshalter. Dort hatte sich Morgan Stanley Infrastructure Partners eingekauft und dann im Oktober 2019 versucht, über ein Delisting-Erwerbsangebot die übrigen Aktionäre aus dem Unternehmen zu vergraulen. Mit 4 Euro je Aktie bot MSIP allerdings magersüchtig wenig, so dass kaum Aktien angedient wurden. MSIP hält seitdem 40 % der PNE-Aktien und der Aktienkurs hat sich von 4 Euro auf annähernd 15 Euro hochgeschraubt. Anlegerfrust sieht anders aus…


clearvise -CEO Petra Leue-Bahns sieht in Alexander Samwer jedenfalls keine Gefahr für das Unternehmen und sich persönlich. Sie müsste den Deal mit Samwers Pacifico ja nicht anstreben und ihn seinen Anteil an clearvise somit von 22 % auf 40 % ausbauen lassen.

Also schauen wir mal auf die Chancen, die der Deal so mit sich bringt…

Clearvise wird sein EE-Portfolio in einem Zug um 50 % ausweiten und zum zweitgrößten unabhängigen EE-Stromproduzenten in Deutschland aufsteigen. Aktuell verteilt sich die Stromerzeugung in etwa gleichmäßig auf die vier Länder Frankreich (28,7 %), Finnland (24,1 %), Irland (24,0 %) und Deutschland (23,2 %). Neben dem deutlichen Zuwachs in Deutschland wird man künftig auch in neuen Märkten aktiv sein, wie den Niederlanden, Polen, Italien. Je größer das Anlagevolumen, desto wirtschaftlicher kann es betrieben werden und je wertvoller wird es vom Markt eingestuft. Schöner Nebeneffekt: durch die externe Bewertung der Anlagen können ggf. stille Reserven gehoben werden bei der Einbringung.

Das Verfahren wird sich bis Ende 2022 hinziehen, vielleicht auch bis ins 1. Quartal 2023. Es müssen ja beide Anlagenbestände bewertet werden, um zu fairen Werten zu kommen. Pacificos Aktienanteil wird 40 % nicht überschritten, die restliche Differenz wird über eine Barkomponente geregelt. Und auch nur, wenn am Ende die Aktionäre beider Unternehmen auf einer außerordentlichen Hauptversammlung zugestimmt haben.

Pacifico verkauft übrigens gerade auch seine EE-Parks in Tschechien, aber nicht an clearvise. Dort ist man aber nicht wirklich traurig darüber, denn Tschechien stand nicht im Fokus der eigenen internationalen Expansionsüberlegungen.

Anders sieht das mit der Entwicklungspipeline von Pacifico aus, die bei dem Deal bewusst ausgeklammert wird. Das hätte hinsichtlich der Bewertung zu Schwierigkeiten und damit Zeitverlusten führen können. Da Pacifico sich aber letztlich auch von diesen Projekten trennen will, könnten sie durchaus eine zukünftige Perspektive nach Abschluss des Deals sein. Gut möglich, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt von clearvise übernommen werden. Gegen Barzahlung oder im Rahmen einer weiteren Sachkapitalerhöhung. Hierdurch würde sich ggf. Pacificos/Samwers Anteil an clearvise erhöhen und um das zu verhindern gäbe es mehrere Möglichkeiten. So könnten von anderen Betreibern EE-Anlagen via Sachkapitalanlage übernommen werden, was ja Teil der Strategie clearSWITCH ist, wodurch sich Samwers Anteil verringern würde. Oder es käme zu einer Barkapitalerhöhung. Hierzu hat sich CEO Petra Leue-Bahns klar positioniert und für einen solchen Fall klargestellt, dass dies nur mit Bezugsrecht für die übrigen Aktionäre umgesetzt würde. Aber momentan ist das noch entfernte Zukunftsmusik.

Nach Abschluss des Deals käme clearvise auf 469 MW operative Stromerzeugungskapazität und im Conference-Call erklärte die CEO, ab einem Volumen von 1 GW könne clearvise ohne weitere Kapitalerhöhungen aus dem eigenen Cashflow wachsen. Bis dahin stünde zwar noch eine Verdopplung an, aber der Weg ist damit vorgezeichnet.

Mein Fazit

clearvise verfolgt eine klar auf den Markt ausgerichtete Strategie. Für Direktinvestitionen in regenerative Energieerzeugung aus Wind und Sonne erwirbt man Projekte in unterschiedlichen Entwicklungsstufen, in der Regel baureife oder schlüsselfertige Wind- und Solarparks. Als operativ tätiges Unternehmen konzentriert sich clearvise im Zuge eines aktiven Portfoliomanagements zugleich darauf, die Erträge durch technische Verbesserungen oder Veränderungen der Finanzierungsstruktur im laufenden Betrieb zu optimieren. Die Mittelfristplanung sieht einem Ausbau des Portfolios auf mehr als 750 MW/MWp bis Ende2025 vor zuzüglich einer weiteren Pipeline von 250 MW/MWp. Mit dem Pacifico-Deal macht man diesbezüglich einen großen Sprung.

Momentan sieht es so aus, als dass Alexander Samwer seine EE-Kompetenz bei clearvise bündeln will, weil dort ein guter und besserer Job gemacht wird als bei Pacifico selbst. Pacifico wird also zum Großaktionär und betreibt darüber hinaus die weiteren EE-Aktivitäten von A. Samwer.

Die clearvise-Hauptversammlung hat soeben ein umfangreiches neues Eigenkapital gebilligt, so dass künftig weitere Aktivitäten von Pacifico in clearvise eingebracht werden könnten. Allerdings ist Teil der clearvise -Strategie ja gerade, dass dies generell allen EE-Park-Betreibern offen steht. Es kann, muss aber nicht, dadurch perspektivisch zu einer Anteilserhöhung von Alexander Samwer bzw. Pacifico kommen.

Ich denke, die Chancen überwiegen die Risiken deutlich. clearvise ist noch weitgehend unbekannt und fliegt bei vielen Anlegern unter dem Radar. Das wird sich durch den Pacifico-Deal ändern. Zudem ist ein Uplisting geplant in ein höheres Börsensegment, was zusätzliche "Reife" bezeugt. Als nächstes könnte man dann schon den MDAX-Wert Encavis ins Visier nehmen – nicht als Übernahmeziel, sondern was die Größe angeht.

Klar ist aber auch, dass der Pacifico-Deal noch mindestens 6 Monate in Anspruch nehmen wird, bis alles unter Dach und Fach ist – inkl. der beiden nötigen außerordentlichen Hauptversammlungen. In dieser Zeit, vor allem bis zur Vorlage der Bewertung durch den unabhängigen Sachverständigen, wird Unsicherheit den Kurs belasten. Wobei unter Belastung zu verstehen ist, dass er nicht sein volles Potenzial entwickeln dürfte. Der grundsätzliche positive Megatrend in Richtung EE-Anlagen und der Boost durch den hohen Strompreis, sind völlig intakt.

Es dürfte demnächst zu einem Update kommen was die Strommengen und – preise angeht. Und ich gehe stark davon aus, dass dies in einer Umsatz- und Gewinnerhöhung münden wird.

clearvise sieht daher mit oder ohne den Pacifico-Deal nach einem lukrativen Investment in ein aussichtsreiches "Freiheitsenergieunternehmen" aus.

Disclaimer: Habe ABO Wind, clearvise, Energiekontor, HelloFresh, PNE auf meine Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot.

3 Kommentare:

  1. Wo Samwer drin ist, bin ich draußen. Denen traue ich keinen Meter über den Weg. Gott sei Dank gibts ja noch Alternativen (z.B. PNE), wenn auch die Story eine etwas anere ist.

    AntwortenLöschen
  2. Sehr geehrter Herr Kissig,

    was halten Sie von der kürzlich beschlossenen Kapitalerhöhung mit Bezugsrechten?

    Werden Sie die Bezugsrechte in Ihrem Wikifolio in Anspruch nehmen?

    Mit freundlichen Grüßen
    Ein interessierter Leser

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Klare Antwort: nein. Wikifolio lässt solche Kapitalmaßnahmen nicht zu, sondern bucht die Bezugsrechte umgehend aus und schreibt den rechnerischen Verkaufsbetrag dem Cashkonto gut. Sieht im Nebenwerte-Wiki unter "Trades". Da habe ich keinen Einfluss drauf.

      In meinem Investmentdepot ringe ich noch mit mir, ob ich die Bezugsrechte ausübe, weil ich meinen bescheidenden Cashbestand eigentlich für das Aufstocken einer anderen Position vorgesehen habe...

      Löschen