Samstag, 13. Juli 2019

Sind Finanzderivate wirklich eine (gute) Alternative zu Direktinvestments in Aktien?

Wer eine Aktie kauft, beteiligt sich an einem Unternehmen, nimmt teil an dessen Entwicklung und partizipiert an den Kursgewinnen. Hinzu kommen ggf. Dividendenzahlungen. Und setzt er auf die falschen Aktien, lernt er auf schmerzliche Art und Weise, wie man mit Kursverlusten umzugehen hat. Man sollte meinen, das sei Chance und Risiko genug, doch es gibt eine immer größer werdende Zahl von Finanzderivaten, mit denen man an den Börsen handeln kann. Bisweilen ganz losgelöst von sog. Basiswerten.

Ende der 1980er Jahre, als in Deutschland die Deutsche Terminbörse (DTB) ihre Arbeit aufnahm - und zwar mit einfachen Call- und Put-Optionen - gab es als spekulativere Anlagemöglichkeiten neben Aktien eigentlich nur Optionsscheine. Das waren Zusatzkupons, die an Aktienanleihen hingen und das Recht verbrieften, zu einem festgelegten Termin eine bestimmte Aktie zu einem bestimmten Basispreis zu erwerben. Diese Optionsscheine wurden dann separat an der Börse gehandelt und erhöhten Chancen und Risiken bezogen auf ein Investment in den jeweiligen Basiswert, da der Optionsschein zumeist zu einem Bruchteil des Aktienkurses notierte und somit jede Kursänderung prozentual viel stärkere Wirkung entfaltete. Denn eine Änderung um 1 Euro ist bezogen auf einen Kurs von 100 Euro nur 1% - notiert der entsprechende Optionsschein aber bei 10 Euro macht die Veränderung des Basiswertes um 1 Euro beim Optionsschein eine Veränderung von 10 auf 11 Euro und somit 10% aus. Der Hebel betrüge in diesem Beispiel also 10.

Schnell wurden Optionsscheine aber "zu langweilig" und es wurden weitere Derivate erfunden, von Covered Warrants bis hin zu Zertifikaten. Ihnen allen ist gemein, dass sie sich an einem bestimmten Basiswert orientieren und festgelegte Eintrittsparameter haben, die ihren Kurs und letztlich die Abrechnung am Ende ihrer Laufzeit bestimmen. Dabei gibt es noch Sonderformen, wie z.B. Knock-out-Zertifikate, Bonus-Zertifikate, Discount-Zertifikate oder neuere Formen, wie zum Beispiel den Handel mit Binären Optionen, wo das Investieren durch eine Alles-oder-Nichts-Wette ersetzt wird...

Über die Unterschiede will ich mich gar nicht großartig auslassen - sie stellen allesamt Wetten dar auf das Eintreten bestimmter Effekte und haben wenig(er) mit Unternehmen und Wirtschaft zu tun, als vielmehr mit (Finanz-) Mathematik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Und sie sind allesamt nicht dazu geeignet, lange und unbeobachtet in einem Depot zu schlummern, sondern bedürfen einer ständigen Kontrolle und eines steten Beschäftigens des Anlegers mit seinen Anlageformen.

Vom Grundsatz ist diese Art des Spekulierens nicht neu, auch Börsenlegende Jesse Livermoore hat Zeit seines Lebens Optionen gehandelt und zwar unter Ausnutzung eines größtmöglichen Hebels, also maximaler Leverage. Dabei war ihm egal, ob er Optionen auf Aktien, Getreide, Edelmetalle oder Schweinebäuche hielt. Und obwohl er so mehrfach zum Millionär wurde (und zwar in den 1920ern und 1930ern, als eine Million Dollar noch eine schwindelerregende Summe war), machte er auch mehrmals Pleite.

Mit der ursprünglichen Funktion, nämlich sich gegen Marktrisiken absichern zu können, haben die heutigen Finanzderivate kaum noch etwas zu tun: sie sind hoch riskante Finanzwetten. Und es stellt sich die Frage, weshalb immer mehr solcher Finanzderivate auf den Markt kommen und wer die alle kauft. Eine Antwort ist, dass diese Produkte für den Emittenten sehr lukrativ sind und er "nur" ein gutes Rechenprogramm benötigt, um die Eintrittswahrscheinlichkeiten so festzulegen, dass das Risiko möglichst beim Geschäftspartner liegt und der Ertrag beim Emittenten. Auch wenn es hierbei keine absolute Sicherheit für den Erfolg gibt, so kann man diese mit der Rolle der Bank im Casino vergleichen. Und es gilt ja bekanntlich der Grundsatz: die Bank gewinnt immer.

Des Weiteren bieten derartige Finanzprodukte die Möglichkeit, mehrere Geschäfte mit ein und demselben Kapitaleinsatz zu betreiben. Wer also 3% an der XYZ AG hält und diese Aktien für einen bestimmten Zeitraum an jemand anderen verleiht, bleibt an dem Unternehmen und an dessen Erfolg beteiligt, während er noch die "Miete" für das Ausleihen kassiert. Das kommt zum Beispiel vor, wenn jemand Leerverkäufe tätigen will. Er leiht sich Aktien (oder Gold oder Weizen) und verkauft diese Werte an der Börse - und hofft, sie bis zu dem Zeitpunkt, wo er sie zurückgeben muss, deutlich günstiger wieder einkaufen zu können. Nach ähnlichem Muster wurden inzwischen viele Finanzprodukte entwickelt, die dazu führen, dass das Geld global schneller umläuft und damit auch das Risiko erhöht, wenn etwas schief läuft. So geschehen bei der Finanzkrise 2008/2009, als die CDS (Credit-Default-Swaps = Kreditausfall-Swaps) beinahe das weltweite Finanzsystem zum Kollabieren brachten, weil irgendwie alle Banken und Versicherungen gegenseitig miteinander verwoben waren und die Pleite des Einen zum Umfallen des Anderen geführt hätte, sog. Domino-Effekt. Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers war hier nur die Spitze des Eisbergs.

An diesem Punkt komme ich zurück zur eigentlichen Frage: was aus Anlegersicht das Richtige ist, in Finanzderivate zu investieren oder in Unternehmen, also ihre Aktien direkt zu erwerben. Für die Banken und Hedgefonds ist die Antwort klar: Derivate. Sie ermöglichen es diesen großen Playern, mit kleinstem Eigenkapitaleinsatz enorme Summen zu bewegen und auf alles zu zocken, was sich bewegt. Und die Banken können dabei sogar noch Kundengelder akquirieren und dafür Gebühren oder Provisionen abgreifen, was das Geschäft für sie doppelt lukrativ macht. Und das Risiko ist begrenzt, da bei einer Schieflage ja die Staaten einspringen und die Risiken zulasten der Steuerzahler übernehmen. Nicht umsonst hat Warren Buffett, der legendäre Value-Investor, diese Finanzderivate als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet. Und in der Tat, haben diese Produkte mit dem eigentlichen Sinn einer Investition nicht mehr viel gemein, sondern sind eher vergleichbar mit Wetten - allerdings mit einem enormen Hebel und dem entsprechenden Risiken, die uns alle treffen können.

Darüber hinaus ist Warren Buffett kein Spekulant, sondern Investor. Er beteiligt sich langfristig an Unternehmen, weil er dort Partner werden möchte, Eigentümer. Auf Derivate setzt er eigentlich nur, wenn sie ihm eine solche Option ermöglichen - wie Wandelschuldverschreibungen oder Preferred Stocks, die er während der Finanzkrise von Goldman Sachs oder Bank of America erwarb, um diesen mit Milliardensummen beizustehen. Diese konnte er in Aktien wandeln und bis zu diesem Zeitpunkt erhielt er eine attraktive Verzinsung. Die Wandlung brachte ihm übrigens jeweils Milliardengewinne ein...

»Kaufe keine Aktien, beteilige dich an einem Unternehmen. Spekuliere nicht, investiere!«
(Warren Buffett)

BaFin warnt und verbietet CFDs, die ESMA geht noch weiter!

Die BaFin, also unsere deutsche Finanzmarkt-Aufsichtsbehörde, warnte immer wieder vor Binären Optionen und CFDs (Contracts for Difference): "Anleger verlieren mit dieser Art von Wetten auf minimale Preisveränderungen bei Aktien, Währungen und Rohstoffen in den allermeisten Fällen". Das habe mit klassischer Wertanlage nichts zu tun und genau bei solchen Angeboten sehe die BaFin ihre Aufgabe, Verbraucher zu schützen. Die Bafin schließt sich also den Warnungen der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA vor diesen Produkten voll und ganz an und hat letztes Jahr zumindest CFDs mit Nachschusspflicht verboten, um Anleger vor den fast sicheren horrenden Verlusten zu schützen.

Die ESMA hat letztes Jahr zu einem Rundumschlag ausgeholt und Binäre Optionen für den EU-Raum ganz verboten und den Handel mit CFDs bzw. deren (Hebel-) Wirkungen massiv eingeschränkt. Das Ziel ist ein besserer Anlegerschutz in der EU, denn bei 74 bis 89 Prozent der Kleinanleger-Konten würden durch diese Produkte Verluste entstehen, die durchschnittlich 1.600 bis 29.000 Euro betragen würden. Was Kleinanleger nicht davon abgehalten hat, hier ihr Geld zu verzocken. Und die aggressive Werbung der Anbieter hat mit Sicherheit dazu beigetragen, so dass die Aufsichtsbehörden hier zu Recht die Anleger/Zocker vor sich selbst beschützen wollen.

Die letzte Warnung!

Und wem das noch nicht Warnung genug ist, der braucht bloß ein paar Monate zurückzuschauen: im vierten Quartal 2018 brachen die Börsenkurse weltweit ein und kaum eine Börse kam mit weniger als 20% Minus davon. Viele Anleger habe in Panik ihre Aktien auf den Markt geschmissen, weil sie die roten Minuszeichen nicht ertragen konnten oder weil sich den Weltuntergangspropheten auf den klebrigen Leim gegangen sind. Wer gehebelt den Absturz miterlebte und "am besten" auch noch mit KO-Schwellen versehene Derivate im Depot hatte, der hat besonders viel Lehrgeld gezahlt. Und dann? Die Aktien der meisten Unternehmen haben sich wieder erholt und vor allem die US-Technologiewerte notieren inzwischen oft auch deutlich über den ehemaligen Höchstkursen aus dem Frühherbst 2018. Am Freitag hat der Dow Jones Index erstmals die 27000er-Marke durchbrochen und der S&P 500 Index schloss erstmals über 3.000 Punkten. Wer also die Ruhe bewahrt und seine Qualitätsaktien einfach behalten hat, für den ist es so, als hätte der 2018er Crash gar nicht stattgefunden. Buy & Hold konnte hier seine wundervolle Wirkung voll ausspielen. Für alle anderen kann man nur hoffen, dass sie auch die entsprechenden lehren aus der teuer bezahlten Erfahrung gezogen haben und das üppige bezahlte Lehrgeld wirklich ein solches war.


 Wertentwicklung seit 1802 (Quelle: Focus Money 39/2016) 

Fazit

Für eine sinnvolle Altersvorsorge und zum Vermögensaufbau sollte man sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf Investments in solide und ertragsstarke Firmen mit stetiger Umsatz- und Ergebnisentwicklung. Schon diese Geldanlagen erfordern ein Mindestmaß an Interesse und Kümmern, das jedoch in einem überschaubaren Rahmen bleibt, solange man eben nicht mit kaum durchschaubaren Finanzderivate spekuliert, die letztlich weder die Finanzberater und schon gar nicht die Kunden verstehen. Mit solider Geldanlage haben diese Produkte wenig zu tun, sondern sie befriedigen den Spieltrieb und den Drang, schnelle Gewinne erzielen zu können bei Ausblenden des Risikos. Schmeißt man sein Geld in digitale einarmige Banditen, erzielt man die gleiche Wirkung - allerdings mit deutlich weniger Kapitaleinsatz (und Gewinnchancen), aber eben auch ohne Risiken für das weltweite Finanzsystem einzugehen.

"Schuster, bleib bei Deinen Leisten", ist an dieser Stelle mein gut gemeinter Rat an alle Privatanleger. Konzentriert euch auf die Investments, die ihr auch versteht. Kauft Aktien, sucht sie gewissenhaft aus und prüft die Bilanzen und Kennzahlen der Unternehmen. Und investiert erst dann euer Geld; die Reihenfolge ist für erfolgreiches Investieren eben nicht beliebig. Zum gefahrlosen und so gut wie chancenlosen Zocken gibt es die Lotto-Annahmestelle eures Vertrauens...

4 Kommentare:

  1. Hallo Michael,

    nur merkwerdig, dass gerade die von dir hervorgehobenen Investitionen (nur long in Aktien) im Gegensatz zum verbrieften Optionshandel durch die demnächst fällig werdende Transaktionssteuer benachteiligt werden. Wo ist da der fürsorgende Regulator geblieben ?

    Der klassiche Optionshandel (ohne Broker), insbesondere die Stillhalterposition sind ja durchaus mit Value investing kombinierbar (vgl. Buffet). Sie können ja, richtig eingesetzt, Cashflow generieren, ähnlich wie Dividenden.

    Da fällt mir noch ein: Hälst Du nicht selbst ein Derivat (Wikifolio) mit Hebel 1 und unbegrenzter Laufzeit als Hauptposition ?

    Grüße,
    Johannes

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  2. Hallo Michael,
    ich bin vor kurzem mit CO2-Zertifikaten konfrontiert worden und habe versucht mich ein wenig schlau zu machen. Auf den ersten Blick sollte man meinen, die müssen ständig teurer werden, aber es gibt auch viele "wenn und aber" Punkte.
    Hast du, oder sonst jemand eine Meinung dazu?
    Gruß Bernd

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    1. Moin Bernd,
      die Idee mit dem Kauf von CO2-Zertifikaten hatte ich auch schon, habe mich aber damals dagegen entschieden. Weil der Preis von den Staaten manipuliert werden kann und wird. Denn die Zahl/Menge der ausgegebenen Verschmutzungszertifikate wird von diesen willkürlich festgelegt. Das gefällt mir nicht. Ansonsten gebe ich Dir Recht, CO2 wird tendenziell immer teurer und das ist politisch so gewollt.

      Vontobel hat mal einen informativen Artikel zum Thema CO2-Zertifikate verfasst. Ist nicht mehr ganz neu, aber dennoch lesenswert.

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    2. Hallo Michael,
      vielen Dank für die Rückmeldung, ich habe das auch so bewertet und werde die Finger bzw. mein Geld davon lassen. Ich habe mittlerweile auch ein Alter erreicht, wo man nicht mehr so viel Risiko gehen sollte, wenn es auch manchmal reizt…

      Grüße Bernd

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