Dienstag, 23. Dezember 2025

Kissigs Börsengeschichte(n): Am 23.12.1913 wurde die Fed gegründet und rettet seitdem immer mal wieder das globale Finanzsystem - mehr oder weniger

Am 23. Dezember 1913 unterzeichnete der damalige US-Präsident Woodrow Wilson den Federal Reserve Act. Mit diesem Gesetz wurde das Federal Reserve System geschaffen und damit die erste dauerhaft institutionalisierte Zentralbank der USA - die Fed. Die Gründung der Fed markierte einen tiefgreifenden Einschnitt in der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte und hatte weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf die Vereinigten Staaten, sondern auf das internationale Finanzsystem insgesamt.

Die Etablierung der Fed war das Ergebnis jahrzehntelanger wirtschaftlicher Instabilitäten, politischer Auseinandersetzungen und theoretischer Debatten über Geldschöpfung, Kreditsteuerung und staatliche Eingriffe in Märkte. Gleichzeitig entwickelte sich die Fed im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem der einflussreichsten wirtschaftspolitischen Akteure weltweit. Ihre Rolle während der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932, aber auch in späteren Krisen – etwa der Finanzkrise 2007/08 oder der COVID-19-Pandemie – wird bis heute kontrovers diskutiert.

Grund genug, die historischen Hintergründe der Fed-Gründung, die politischen und ökonomischen Motive, ihre institutionelle Ausgestaltung sowie ihre kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen auf Wirtschaftskrisen und das globale Finanzsystem zu beleuchten...

Blicken wir zuerst auf die Hintergründe, die zur Gründung der zentralen Notenbank der USA geführt haben. Denn auch wenn man sich die führende Macht der Welt ohne die Fed heute gar nicht mehr vorstellen kann, war ihre Entstehung nicht zwangsläufig und von vielen auch gar nicht gewollt. Umso erstaunlicher, wie und unter welchen Wendungen sie letztlich (doch noch) aus der Taufe gehoben wurde.

Das amerikanische Bank- und Währungssystem vor 1913

Die Vereinigten Staaten hatten von Beginn an ein ambivalentes Verhältnis zu Zentralbanken. Bereits im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert existierten mit der First Bank of the United States (1791–1811) und der Second Bank of the United States (1816–1836) zwei frühe Zentralbankähnliche Institutionen. Beide scheiterten letztlich an politischem Widerstand, insbesondere aus agrarisch geprägten Regionen und von Vertretern eines ausgeprägten Föderalismus, die eine Machtkonzentration im Finanzsektor fürchteten.

Nach dem Ende der Second Bank folgte eine lange Phase ohne zentrale geldpolitische Steuerung. Die Geldversorgung wurde von privaten Banken übernommen, die eigene Banknoten ausgaben, deren Wert und Stabilität stark schwankten.

Das National Banking System und seine Schwächen

Mit dem National Banking Act von 1863 entstand ein landesweit reguliertes Bankensystem, das jedoch weiterhin keine echte Zentralbank vorsah. Zwar wurde eine einheitliche Währung geschaffen, doch das System litt unter strukturellen Problemen:
  • eine starke Prozyklizität der Kreditvergabe
  • eine fehlende lender-of-last-resort-Funktion
    (Die Funktion des Lenders of Last Resort ermöglicht es, dass in Krisenzeiten, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, Institutionen wie Zentralbanken oder andere Kreditgeber eingreifen können, um die Liquidität zu sichern und den Zusammenbruch von Finanzinstituten zu verhindern. Diese Rolle ist besonders wichtig, um Ansteckungseffekte zu vermeiden und das Vertrauen in die Märkte zu stärken.)
  • eine hohe Anfälligkeit für Bank Runs
  • eine starre Geldmenge, die nicht flexibel an Konjunkturschwankungen angepasst werden konnte.
Besonders problematisch war die saisonale Knappheit an Liquidität, etwa während der Erntezeiten, wenn Landwirte Kredite benötigten und Bargeld aus den Städten abgezogen wurde.

Finanzpaniken als Katalysatoren für Reformen

Wie so oft in der Geschichte lösen katastrophale Entwicklungen (politischen) Handlungsdruck und Reformbereitschaft aus. Zwischen 1873 und 1907 erlebten die USA mehrere schwere Finanzkrisen. Besonders prägend war die Panik von 1907, ausgelöst durch den Zusammenbruch spekulativer Finanzgeschäfte und den Vertrauensverlust in New Yorker Banken.

Da es keine Zentralbank gab, musste der Bankier J.P. Morgan privat koordinierend eingreifen, um den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Diese Episode machte deutlich, dass die Stabilität der nationalen Wirtschaft faktisch von einzelnen Finanzmagnaten abhing – ein politisch wie gesellschaftlich kaum tragbarer Zustand.

Als Reaktion auf die Krise von 1907 setzte der Kongress die National Monetary Commission ein, die unter Leitung von Senator Nelson W. Aldrich Reformvorschläge erarbeitete. Das Ergebnis war der sogenannte Aldrich-Plan, der eine zentralisierte Notenbank vorsah, jedoch auf erheblichen Widerstand stieß, da er als zu bankenfreundlich galt.

Doch erst unter Präsident Woodrow Wilson gelang ein politischer Kompromiss, der staatliche Kontrolle mit regionaler Dezentralisierung verband.

Der Federal Reserve Act von 1913

Der Federal Reserve Act war ein klassischer Kompromiss zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Er reflektierte das Misstrauen gegenüber einer rein staatlichen Zentralbank, die Ablehnung einer vollständigen Kontrolle durch Großbanken, sowie den Wunsch nach Stabilität, Flexibilität und Krisenprävention.

Wilson selbst sah die Fed als Instrument zur "Demokratisierung des Kredits".

Die Institutionelle Struktur der Fed bestand aus
  • 12 regionalen Federal Reserve Banks
  • einem Federal Reserve Board (heute Board of Governors) in Washington
  • einem Netzwerk privater Mitgliedsbanken
Diese Konstruktion sollte regionale wirtschaftliche Unterschiede berücksichtigen und Machtkonzentration verhindern. Gleichzeitig erhielt die Fed das Monopol zur Ausgabe von Federal Reserve Notes und die Befugnis zur Steuerung der Geldmenge.

Die Fed im Ersten Weltkrieg und in den 1920er Jahren

Bereits kurz nach ihrer Gründung wurde die Fed mit der Finanzierung des Ersten Weltkriegs konfrontiert. Durch den massiven Ankauf von Staatsanleihen trug sie zur Kriegsfinanzierung bei, was jedoch inflationäre Effekte hatte.

In den 1920er Jahren erlebten die USA ein starkes Wirtschaftswachstum, die sogenannten "Roaring Twenties". Die Fed verfolgte eine vergleichsweise lockere Geldpolitik, die Kreditexpansion und Börsenspekulation begünstigte. Insbesondere der Aktienmarkt boomte, vielfach finanziert durch kurzfristige Kredite ("Margin Loans").

Die Rolle der Fed in der Weltwirtschaftskrise 1929–1932

Der Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929 markierte den Beginn der schwersten Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts. Während frühere Krisen regional begrenzt waren, entwickelte sich diese zu einer globalen Depression.

Heute herrscht unter Wirtschaftshistorikern weitgehend Einigkeit, dass die Fed die Krise nicht nur nicht verhindert, sondern teilweise verschärft hat. Kritisiert werden insbesondere:
  • eine restriktive Geldpolitik trotz Bankensterbens
  • das Unterlassen aggressiver Liquiditätshilfen
  • die Verteidigung des Goldstandards auf Kosten der Geldmenge
Zwischen 1929 und 1933 schrumpfte die US-Geldmenge um rund ein Drittel – ein beispielloser Einbruch - und seitdem mahnendes Beispiel für spätere Finanzkrisen, bei denen die massive Ausweitung der Liquidität (die "Flutung der Märkte") zum Standardrepertoire der Krisenbewältigung zählt.
 
Ökonomen wie Milton Friedman argumentierten später, dass die Fed ihre zentrale Aufgabe – die Stabilisierung des Geldsystems – verfehlt habe. Die Depression sei weniger eine Folge des Börsencrashs als vielmehr einer fatalen geldpolitischen Kontraktion gewesen.

Reformen nach der Weltwirtschaftskrise

Unter Präsident Franklin D. Roosevelt wurde die Rolle der Fed neu definiert. Der Goldstandard wurde aufgegeben, die Einlagensicherung (FDIC) eingeführt und die Kompetenzen des Federal Reserve Board gestärkt.

Der Banking Act von 1935 zentralisierte die geldpolitische Entscheidungsfindung weiter und stärkte die Unabhängigkeit der Fed gegenüber privaten Banken.

In den 1970er Jahren sah sich die Fed mit Stagflation konfrontiert, also der toxischen Mischung aus hoher Inflation und stagnierendem Wirtschaftswachstum. Unter Paul Volcker wurde eine drastisch restriktive Geldpolitik verfolgt, die zwar Rezessionen auslöste, langfristig jedoch die Inflation eindämmte.

Während der Globalen Finanzkrise 2007/08 agierte die Fed deutlich aggressiver als in den 1930er Jahren. Durch massive Zinssenkungen, Quantitative Easing und die Rettung systemrelevanter Banken verhinderte sie einen vollständigen Kollaps des Finanzsystems. Kritiker sehen darin jedoch eine Förderung moralischer Risiken und eine zunehmende Abhängigkeit der Märkte von Zentralbankinterventionen.

Auch während der Corona-Pandemie 2020–2022 griff die Fed mit historisch beispiellosen Maßnahmen ein. Die Bilanzsumme explodierte, was erneut Debatten über Inflation, Vermögenspreisblasen und die langfristige Rolle der Zentralbank auslöste.

Mein Fazit

Die Gründung des Federal Reserve Systems war eine Reaktion auf reale strukturelle Schwächen des amerikanischen Finanzsystems. Gleichzeitig hat die Fed selbst immer wieder Krisen mit verursacht oder verstärkt. Die Fed ist heute:
  • Stabilitätsanker und Krisenmanager
  • politisch unabhängiger, aber hoch einflussreicher Akteur
  • Gegenstand anhaltender gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kontroversen
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bleibt dabei ein zentraler Referenzpunkt, der das Selbstverständnis der Fed nachhaltig geprägt hat. Die Unterzeichnung des Federal Reserve Acts am 23. Dezember 1913 war kein technokratischer Verwaltungsakt, sondern ein historischer Wendepunkt. Sie schuf die Grundlage für eine moderne Geldpolitik, brachte jedoch neue Risiken und Machtkonzentrationen mit sich. Die Geschichte der Fed ist eine Geschichte von Lernprozessen, Fehlentscheidungen und Anpassungen – und sie ist untrennbar mit den großen Krisen der Weltwirtschaft verbunden.

"Nicht die Unternehmensgewinne beeinflussen den Gesamtmarkt, es sind die Notenbanken. Und deshalb konzentriere ich mich auf die Zentralbanken und auf die Entwicklung der Liquidität, während die meisten Leute auf die Gewinne und konventionelle Kennzahlen blicken. Aber es ist die Liquidität, die die Märkte bewegt."

Ob die Fed langfristig mehr Stabilität oder neue Verwundbarkeiten geschaffen hat, bleibt eine offene Frage. Sicher ist jedoch, dass kaum eine Institution die wirtschaftliche Entwicklung des 20. und 21. Jahrhunderts so nachhaltig geprägt wie das Federal Reserve System.

1 Kommentar:

  1. Ohne die FED und deren expansive Geldpolitik in den 1920er Jahren hätte es den Crash von 1929 und die große Depression nie gegeben.

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