Samstag, 15. Juli 2023

Peter Lynch warnt: Markttiming frisst unnötig Geld und Rendite. Einfach zu dumm...

Schaut man sich die Entwicklung von Dow Jones oder DAX über einen langen Zeitraum an, sieht man einen eigentlich immerwährenden Anstieg. Zwischendrin gibt es immer mal Rücksetzer, die aber auf lange Sicht kaum ins Gewicht fallen. In der Rückschau, wohlgemerkt, denn die Kurseinbrüche waren zu ihrer Zeit bisweilen dramatisch: 1929 mit annähernd 90 % oder 1987 mit einem Verlust von mehr als 22 % an nur einem einzigen Tag, dem 'schwarzen Montag' am 19. Oktober. Zudem gibt es regelmäßig heftige Korrekturen, wie beispielsweise 2011, als es fast 40 % abwärts ging. Jedenfalls vorübergehend, auch dank des billigen Geldes der Notenbanken. Anfang 2016 und Ende 2018 gab es ebenfalls heftige Einbrüche und seit 2021 folgte ein rund anderthalb Jahre anhaltender Bärenmarkt.

Das Muster ist klar: es geht längere Zeit eher gemächlich nach oben und dann tritt irgendwann ein emotional getriebene, panikartige Kursmassaker auf. Und auf ein solches warten Anleger derzeit wieder, denn seit dem letzten Tiefpunkt zogen die Aktienbörsen bereits stark an entlang der 'Wall of Worries'. Und dieser Aufschwung wird überwiegend von einigen wenigen BigTechs getragen und gehypten KI-Aktien, so die Kritik, die die Befürchtung auf eine weitere Börsenblase nährt.

Dabei ist zu bemerken, dass die Volatilität der Märkte grundsätzlich zugenommen hat, also dass die Kursausschläge extremer werden, in beide Richtungen. In Deutschland gibt es den VDAX, der die Volatilität misst. Und wenn wir diesen betrachten, so weist er - erstaunlicherweise - seit Monaten ein niedriges und sinkendes Niveau auf; er ist geradezu entspannt, von kurzen Ausreißern nach oben einmal abgesehen. Und das, wo weltweit Krisen toben, Inflations- und Zinssorgen die Börse umtreiben und Rezessionsängste die Stimmung belasten. Doch die Börsianer blieben entspannt - wenn sie schlau(er) waren…

Die Notenbanken zinken die Karten

Das ist insofern verständlich, als dass die Notenbanken Milliardensummen in die Märkte pumpten, die Zinsen weltweit niedrig hielten und Anleihen in großem Stil aufkauften. Was Sparer erzürnt, die niedrigen Zinsen, ist für Großanleger ein ernsthaftes Problem. Sie müssen das verwaltete Vermögen irgendwie rentierlich anlegen und da bleibt ihnen fast keine andere Wahl als der Aktienmarkt. Trotz der mittlerweile ambitionierten Bewertungen schneiden Aktien unter Chance-Risiko-Erwägungen noch immer mit am besten ab. Und wann immer es zu stärkeren Abflüssen aus dem Aktienmarkt und dortigen Kurseinbrüchen kommt, fließt das Geld schnell wieder zurück an die Börse, weil es schlicht wenig Anlagealternativen hat. Anleihen bieten zwar inzwischen auch wieder bis zu 5 % Rendite, doch die Inflation frisst die gleich wieder auf. Und der Immobilienmarkt hat seine langjährige Hausse auch Mitte 2022 beendet und die preise befinden sich seitdem kräftig auf Talfahrt.
»Nicht die Unternehmensgewinne beeinflussen den Gesamtmarkt, es sind die Notenbanken. Und deshalb konzentriere ich mich auf die Zentralbanken und auf die Entwicklung der Liquidität, während die meisten Leute auf die Gewinne und konventionelle Kennzahlen blicken. Aber es ist die Liquidität, die die Märkte bewegt.«
Die Anleger kaufen Aktien also mit Sicherheitsnetz, sie gehen davon aus, dass die Notenbanken es schon richten werden, sollte es mal zu Problemen kommen. Und das ist verständlich, denn seit der damalige FED-Chef Alan Greenspan das Platzen der Internet-Blase im Jahr 2000 mit dem Öffnen der Geldschleusen beantwortete, ist dies zum Standardrepertoire der Notenbanken geworden: durch zu viel Geld ausgelöste Krisen werden durch noch mehr Geld behandelt. Ein Zyklus, der irgendwann enden wird und zwar mit einem großen Knall. Aber ob dies in einem Monat, einem Jahrzehnt oder erst in 50 Jahren soweit ist, das kann niemand voraussagen. Momentan ziehen die Notenbanken Geld aus dem System durch höhere Zinsen und das Herunterfahren ihres zuvor aufgetürmten Anleihebergs.
»Niemand war je in der Lage, die Börse vorherzusagen. Es ist eine totale Zeitverschwendung. In der von Forbes veröffentlichten Hitparade der Reichen der Welt war noch nie ein Börsentiming-Experte vertreten.«
Sicher ist, dass es immer wieder zu Korrekturen und sogar zu Crashs an den Börsen kommen wird. Diese Phasen sind systemimmanent, sie sind aus dem Wesen der Börsen nicht wegzudenken. Also müssen wir Anleger uns mit ihnen arrangieren und sehen, dass wir nicht völlig unvorbereitet von ihnen erwischt werden. Doch während ich früher dem Irrglauben folgte, eine erhöhte Cash-Quote würde hier zusätzliche Chancen bieten, weil man im Crash ja viele Aktien billig einkaufen könne, habe ich diesen Denkfehler inzwischen überwunden und bin jetzt immer voll investiert.
»Anleger verloren weitaus mehr Geld, weil sie sich auf eine Korrektur vorbereitet haben oder versuchten, eine Korrektur vorauszusehen, als in den Korrekturen selbst an Geld verloren wurde.«
(Peter Lynch)
Letztlich ist eine dauerhafte hohe Cash-Quote nichts anderes, als ein latentes potenzielles Market-Timing. Was in der Praxis aber nicht funktioniert, denn wenn die Börsen crashen, kauft man keine Aktien, weil man selbst die Panik spürt. Und wenn die Börsenkurse sich wieder erholen, verpasst man diesen Kursaufschwung, weil man dem Braten nicht traut und meint, es würde ein noch stärkerer Abschwung folgen. Die extra für diesen Zweck zurückgehaltene 'Versicherungssumme' wird also niemals wirklich ein gesetzt. Das Geld liegt also dauerhaft auf dem Konto herum und erzielt kaum Rendite.
»Die Menschen werden klüger, aber sie werden nicht weiser. Sie werden nicht stabiler. Alle Bedingungen für eine extreme Über- oder Unterbewertung sind absolut gegeben, genauso wie vor 50 Jahren. Man kann die Menschen lehren, so viel man will, man kann ihnen sagen, sie sollen Ben Grahams Buch lesen, man kann sie auf die Uni schicken, aber wenn sie Angst haben, haben sie Angst.«
(Jeff Bezos, Amazon-Gründer)
Und da die Börsen in 62 % aller Monate steigen, ist es viel rentierlicher, wenn man stets voll investiert ist und die Börsencrashs durch Missachtung und Nichtstun straft. Unterm Strich erzielt man so eine bessere Rendite auf lange Sicht, weil man in den Monaten der Kurssteigerungen mehr verdient, als man in Crashs verliert (und wenn man da nicht panisch verkauft, verliert man auch kein Geld, es sind nur vorübergehende Buchverluste!).
»Es wäre wunderbar, könnten wir Kurseinbrüche mit zeitweiligem Aussteigen vermeiden. Aber niemand ist bisher in der Lage, sie vorherzusagen.«
(Peter Lynch)
 Aktienkurse seit 1255

Wenn die Börsen wanken…

Wenn die Börsen heftig schwanken, starren die meisten Anleger gebannt auf die Aktienkurse. Sie denken, "hätte ich mal da bloß verkauft" oder "wäre ich zu dem Zeitpunkt mal eingestiegen". Doch diese Gedanken sind müßig, weil sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen und zeigen, dass wir es nicht mit einem Investor zu tun haben, sondern einem Spekulanten. Denn dieser betrachtet die Aktienkurse als Chance, schnell reich zu werden, die Kursschwankungen sind für ihn der Gradmesser.

Im Gegensatz hierzu orientieren sich Value Investoren nicht am Kurs, sondern am Wert einer Aktie. Bevor sie auch nur eine einzige Aktie erwerben und zu diesem Zweck den Aktienkurs checken, nehmen Value Investoren eine genaue Bewertung des Unternehmens vor. Sie studieren seine Geschäftsberichte und analysieren sein Business, schauen sich das Management an und versuchen herauszufinden, ob das Geschäftsmodell einen ökonomischen Burggraben (Moat) hat, also schwer angreifbar ist durch die Konkurrenten. Hat das Unternehmen eine Preissetzungsmacht, oder muss es sich ggf. auf ruinöse Preiskämpfe mit den Mitbewerbern einlassen, um Kundenwachstum zu generieren? Wie sehen seine Umsätze und Gewinne aus und natürlich der freie Cashflow, denn er bestimmt, wie viel Geld für den Aktionär wirklich übrig bleibt, für Dividenden und Aktienrückkäufe. 

Am Ende dieser Bewertung haben Value Investoren einen fairen Wert für das Unternehmen ermittelt und teilen diesen durch die Anzahl seiner Aktien. Diesen Wert je Aktie vergleichen sie nun mit dem Börsenkurs und hier erst treffen sie ihre Entscheidung, ob die Aktien unterbewertet sind und damit jetzt gekauft werden sollten. Oder ob sie überbewertet sind und daher auf niedrigere Kurse gewartet wird.

Investor vs. Spekulant

Und hier unterscheiden sich Spekulanten und Investoren voneinander in der Beurteilung der aktuellen Lage. Während der Spekulant die möglicherweise heranziehende Korrektur als Chance betrachtet, seine Aktien zu verkaufen und sich so einem möglichen Kurseinbruch zu entziehen, oder gar mit Puts auf fallende Kurse zu setzen, sehen Value Investoren die Chance, durch eine ausreichend hohe Cash-Quote mögliche Kurseinbrüche für Käufe zu nutzen. Sie sitzen die Kursrückgänge bei ihren Bestandsaktien aus und kaufen nach. Warren Buffett definiert den Unterschied zwischen Spekulanten und Investoren treffend so: für einen Spekulanten sei es entscheidend, ob die Märkte geöffnet seien, oder nicht. Er achte vor allem auf den Kurs. Ein Investor hingegen achte auf den Wert und deshalb seien für ihn die Märkte nicht das wichtigste Kriterium.
»Wenn man ein Investor ist, achtet man darauf, was der Wert des Vermögensgegenstands tut. Ist man ein Spekulant, konzentriert man sich auf den Preis.«
(Warren Buffett)
Kommt es zu einem Crash, wirft die Herangehensweise des Spekulanten mehr Gewinn ab. Denn er hat den Kurseinbruch nicht mitgemacht und kauft bei niedrigen Kursen einfach mehr von den gleichen Aktien zurück. Der Value Investor hingegen muss dem Kursverfall zusehen, der seine Aktien trifft, und hat weniger Geld zur Verfügung, um es bei niedrigen Kursen frisch investieren zu können. Also spricht doch alles dafür, jetzt alle Aktien zu verkaufen und auf den Crash zu warten, oder?

Doch erstens kommt es anders…

Nun, es kommt drauf an. Denn an der Börse kommt es selten so, wie man denkt. Und schon gar nicht passiert das, was die Mehrheit erwartet. Nur in den seltensten Fällen wird das Muster des Spekulanten, das ich eben skizzierte, aufgehen. Nur selten verkauft man zum Höchstkurs und steigt zum Tiefstkurs wieder ein. Viel häufiger verkauft man im Abschwung zu spät und kauft im Aufschwung nicht früh genug, so dass unterm Strich kein großer Effekt verbleibt. Man weiß eben nicht, wann der Höchstpunkt oder der Tiefstkurs erreicht ist.
»Es ist so gut wie unmöglich, mit Markt-Timing zuverlässig Geld zu verdienen; es lohnt sich mehr, langfristig zu investieren und Unebenheiten auszuhalten.«
Besonders ärgerlich ist es allerdings, wenn man sich von Qualitätsaktien trennt, deren Kurs gesunken ist und der danach wieder anzieht. Nur selten ist man dann wieder an Bord, oft wartet man vergebens auf einen neuen Einbruch, um wieder einsteigen zu können. Ich bin mir sicher, jeder von uns hat das schon erlebt und sich dann schwarz geärgert.

Daher ist die langfristig bessere Variante, in seinen Aktien investiert zu bleiben - denn Value Investoren haben diese ja sorgfältig ausgesucht, auch im Hinblick darauf, dass sie eine Krise gut überstehen. Und wenn der Kurs erheblich gefallen ist, dann kaufen sie noch mehr dieser Aktien und warten geduldig darauf, dass die panischen Märkte wieder beruhigen und die Kurse zu ihrem normalen Niveau zurückkehren.
»Den Markt zu timen, ist ein Spiel für Dumme, wohingegen die Zeit im Markt dein größter Vorteil ist.«
(Nick Murray)

Die Gefahr, nicht dabei zu sein…

Nicht (mehr) in den Aktien investiert zu sein, die sich hervorragend entwickeln, ist tragisch. Leider ist es der Regelfall, denn man kann nicht alle Aktien auf dem Schirm und man kann sie auch nicht alle im Depot haben. Den Kursanstieg zu verpassen, weil man die Aktien aus Spekulationssucht kurzfristig verkauft hat, das ist hingegen schlicht dumm. Und dann hat man es auch verdient, dass man unter seiner eigenen Unfähigkeit leidet. Wenn man nur ein wenig Wissen in das Investieren einbringt, kann man die gröbsten Fehler vermeiden.
»Am wichtigsten ist, dass man die richtigen Aktien hat, wenn der Markt steigt. Der größte Teil der Investmenterträge fällt in kurzen Zeiträumen an und es ist so gut wie unmöglich, diese vorherzusagen und Aktienkäufe danach auszurichten.«
(Christopher H. Browne)
Und so ein Investoren-Herrschaftswissen hat uns Christopher H. Browne hinterlassen in seinem Buch 'Die Value Zauberformel'. Abgesehen von dem peinlich-reißerischen Titel, den die deutsche Übersetzung diesem Buch verpasst hat, ist 'The Little Book of Value Investing' mehr als lesenswert. Es beschreibt die Charakteristik des von Benjamin Graham begründeten Investmentstils, stellt seine Vorzüge dar und belegt anhand empirischer Daten, dass Value Investing besser funktioniert als alle anderen Investmentstrategien.

Einige wenige Tage entscheiden über die Performance des ganzen Jahres

Ganz besonders wertvoll ist die Erkenntnis, dass der größte Teil der Anlagegewinne an nur einigen wenigen besonders Kurs treibenden Tagen im Jahr entstehen. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine Kursrakete mit mehreren hundert Prozent Kursentwicklung in einem Jahr so gut wie keine Performance aufweisen würde, hätten man sie die besten 20 Tage nicht im Depot gehabt.
»Zwischen 80 und 90 Prozent der Anlagegewinne entstehen während 2 bis 7 Prozent der Zeit.«
(Christopher H. Browne)
Nur vier Wochen eines Jahres machen das Jahresergebnis aus. Den Rest der Zeit brauchen Sie die Aktien nicht zu besitzen. Und natürlich gibt es auch Aktien, die dauerhaft steigen, wie Apple, Alphabet, Microsoft, Berkshire Hathaway - das Gros der Aktien dümpelt jedoch die meiste Zeit vor sich hin und kommt dann innerhalb weniger kurzer Phasen stark in Bewegung.

Das Dumme ist nur, dass man im Voraus eben nicht weiß, welche Tage diese 20 Bestperformer-Tage im Jahr sind. Also gibt es eigentlich nur eine Lösung, um diese Tage nicht zu verpassen: man muss die Aktien das ganze Jahr über halten, dann nimmt man auch diese besonders guten 20 Tage mit. Und eben dies ist die Grundlage des Value Investings: langfristige Geldanlage in Aktien ohne hektisches Hin- und Her-Traden, klassisches Buy & Hold, der Weg des Warren Buffett. Die Unternehmen für sich arbeiten lassen, die Dividenden reinvestieren und so den Zinseszinseffekt für sich nutzen. Und der Versuchung widerstehen, den Markt vorhersagen zu wollen. Das klappt nur ganz selten und die meiste Zeit über kostet es am Ende eine Menge Geld.
»Offensichtlich muss man nicht in der Lage sein, den Aktienmarkt vorherzusagen, um mit Aktien wirklich Geld zu verdienen.«
(Peter Lynch)
Indem man die Aktienkurse als reines Stimmungsbarometer erkennt, das weniger über den Wert der Aktien aussagt als vielmehr über die Gemütslage der Anleger, kann man bei Kurseinbrüchen entspannt bleiben. Man ist zwar nicht vor den vorüber gehenden Kursstürzen sicher, aber man macht sich auch nicht zum Sklaven der Kurse, sondern zu ihrem Herren.

Wer hingegen meint, er könne die Aktienkurse timen, der kann sich auch gleich beim Roulette versuchen und auf Rot setzen. Die Chancen stehen ähnlich gut oder schlecht. Mit Vermögensaufbau und solider Geldanlage hat das allerdings nichts zu tun. Daher sollten Anleger es auch lassen und einen unaufgeregten, langfristigen Vermögensaufbau betreiben. Trotz und unter Zuhilfenahme der Schwankungen des Aktienmarktes.


Meine Lese-Tipps
▶ "Aktien für alle: So verdienen Privatanleger an der Börse" von Peter Lynch
▶ "Der Börse einen Schritt voraus: Wie auch Sie mit Aktien verdienen können!" von Peter Lynch
▶ "Lynch III. Der Weg zum Börsenerfolg" von Peter Lynch
▶ "Die Value Zauberformel" von Christopher H. Browne


Disclaimer: Habe Apple, Amazon, Berkshire Hathaway, Microsoft auf meiner Beobachtungliste und/oder im Depot/Wiki.

••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus Juni 2017

6 Kommentare:

  1. hallo michael,

    muss dir mit diesem artikel uneingeschränkt recht geben. bin schon etliche jahre immer voll investiert und sehr sehr gut durchgekommen durch die ganzen aufs und abs der kurse.
    a und o ist wirklich die titelauswahl.

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  2. Hi Michael, ein ganz toller Artikel, danke. Der auch Mut macht, wenn es mal runtergeht. Cool!

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  3. Grundsätzlich zwar alles richtig. Jedoch darf ich hier lieber Michael, auch ein paar kritische - relativierende - Gedanken beitragen? Denn die eigentliche Frage ist aus meiner Sicht, ob solche Aussagen (i) auch inflationsbereinigt gelten, (ii) auch für relevante Zeitfenster für einen Normalsterblichen, also 20 bis 50 Jahre, immer Gültigkeit haben, und (iii) "Ort"-abhängig sind (z.B. US Werte vs EU Werte). Und dann ist noch der Spruch, dass die Performance der Vergangenheit keine Garantie für die Performance in Zukunft sein kann. Es gibt eben keine risikofreie Rendite.
    Dass allerdings "immer investiert sein" (also kein Timing the market) nicht zwangsläufig buy-and-hold einzelner Werte bedeutet, legt die Häufigkeit Deiner Transaktionen für die Wikifolios dar. Müsste aber letzteres u.U. nicht doch als eine Art "Timing the market" auf Ebene der einzelnen Werte gesehen werden?

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    1. Markttiming bedeutet, Aktien zu verkaufen in der Hoffnung, sie später günstiger zurückkaufen zu können. Markttiming bedeutet, Aktien wegen eines möglichen Wirtschaftsabschwungs und/oder eines potenziellen Markteinbruchs zu verkaufen, um sie später günstiger wieder zurückzukaufen.

      Selbst die besten Investoren der Welt liegen selten mehr als 60 % richtig. Und wenn man auf die Performance des Gesamtmarkts schaut, stehen nur wenige Aktien für kolossale Überrenditen, eine Reihe Aktien für eine überdurchschnittliche Performance, aber die große Mehrzahl der Aktien entwickelt sich kaum oder sogar negativ. Allein deshalb liegt schon auf der Hand, dass selbst Superinvestoren nur einige von diesen Superaktien kaufen. Warren Buffett und Charlie Munger haben das auf der letzten Berkshire-Hauptversammlung ausdrücklich betont: nur einige wenige Aktien haben ihre Überrendite erzeugt, mit dem Rest waren sie eher durchschnittlich erfolgreich.

      Der Clou an der Sache ist nicht (nur), die Superaktien zu finden und zu kaufen, sondern sie dann auch zu behalten. Hier kommt es entscheidend auf das Buy & Hold an, denn wann immer man Apple oder Microsoft & Co. in den letzten 20 Jahren verkauft hat, ob auf dem jeweiligen Zwischenhoch oder nach einem 20- oder 40-prozentigen Einbruch, hat "den Zauber des Compoundings" zerstört - denn meistens gelingt der Wiedereinstieg nicht und von da an kann man den Kursen nur hinterherschauen.

      Mein eigenes Negativbeispiel ist hier Apple: Ich hab die Aktie Mitte 2014 gekauft, eine ordentliche Position. Und dann nach 15 Monaten mit gut 90 % Gewinn verkauft. Geiler Deal, der Kurs schmierte danach erstmal ab, ganz so, wie ich erwartet hatte. Und dann drehte er. Seitdem trauere ich ihm nach, denn ich habe nie wieder eine signifikante Apple-Position gekauft.

      Ich bin stets voll investiert. Wenn ich eine Aktie kaufen will, muss ich eine andere verkaufen. Ich kaufe aber nur dann eine Aktie, wenn ich von ihrem besonderen Potenzial überzeugt bin. Aber dabei irre ich mich auch häufig. Ich bin ja keinesfalls besser als Buffett. Und Idealerweise bleiben die Superaktien im Depot/Wiki und führen insgesamt zu einer Überperformance. Ob das gelingt, zeigt sich erst mit zunehmender Zeit.

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  4. Konstantin15.07.23, 21:45

    Ich glaube, diese (sehr interessante!) Diskussion blendet folgenden Aspekt aus: Eine Uni Analyse hat die Dividende als notwendige Voraussetzung dargelegt, damit eine dauerhafte Investion am Markt sich auch tatsächlich lohnt. Zitat: "Forschern der Universität Princeton zufolge legten die Aktienkurse in den USA zwischen 1900 und 2000 ohne Berücksichtigung von Dividenden 5,4 Prozent pro Jahr zu. Wurden die Ausschüttungen hinzugerechnet, verdoppelte sich die Rendite beinahe auf 10,1.

    Intuitiv liegt die Vermutung nahe, Dividenden trügen knapp 50 Prozent zum gesamten Anlageerfolg bei – weit gefehlt: Aus einem 1900 investierten Dollar wurden ohne Dividenden 198 Dollar und mit ihnen 16979 Dollar. Ganze 99 Prozent des Endvermögens stammten also allein von Dividenden, denn in Aktien wieder angelegte Ausschüttungen profitieren wiederum von Kursgewinnen und sind ihrerseits dividendenberechtigt."

    Quelle: https://www.capital.de/geld-versicherungen/die-grossen-halbwahrheiten-der-geldanlage-45

    Eine ähnliche Analyse für EU Aktien ist mir nicht bekannt.

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    1. Interessante Gedankengänge mit anschaulichem Effekt. Du beschreibst hier die Kraft des Zinseszinses: jeder verdiente Cent wird wieder investiert und verdient dann mit. Dadurch fährt man nicht nur steigende Erträge ein, sondern diese vereitern auch noch die Ertragsbasis. Ich habe diese 'Kraft des Compoundings' mal ganz ausführlich in diesem Artikel dargelegt.

      Chuck Akre erklärte dazu mal: "Compounding findet nicht innerhalb von ein oder zwei oder gar fünf Jahren statt und kann es auch gar nicht. Compounding erfordert Jahrzehnte. Turbulente Märkte und Kursrückgänge muss man nicht genießen, aber für erfolgreiches Compounding muss man sie ertragen".

      Genau das ist mein Thema: 'the Art of not selling'.

      Aber... grundsätzlich funktioniert Compounding nicht nur mit Aktien, sondern auch mit anderen rentierlichen Kapitalanlagen, z.B. Sparbüchern, Termingeldern, Anleihen. Auch hier steigt der Ertrag mit zunehmender Zeit außerordentlich an, wenn man ihn jeweils wieder reinvestiert. Nur, dass bei Zinsanlagen zumeist die Zinsen festgeschrieben und damit gedeckelt sind, während die bei die Dividenden Aktien steigen (können). Ausfälle kann es bei Dividenden und Anleihen geben, deshalb ist die Auswahl eines soliden Zahlers auch so wichtig.

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