Sonntag, 29. Oktober 2023

Kissigs Kloogschieterei: Gezeitenwechsel mit Nebenwirkungen

Geht euch das ständige Rumlamentieren über Inflation, Zinsen und Wirtschaftsabschwung langsam auf die Nerven? Mir auch. Aber es nützt ja alles nichts, denn dies sind nun mal die bestimmenden Themen für die Börsenentwicklung und darüber hinaus. Höhere Zinsen sorgen für neue Rahmenbedingungen!

"Sea Change" nannte Starinvestor Howard Stanley Marks sein viel beachtetes Memo von Ende 2022 und auf Marks sollte man ruhig hören. Immerhin sagt Warren Buffett, sobald ein neues Memo von Marks in seinem Postfach lande sei dies das erste, was er lese. Mit "Gezeitenwechsel" zielt Marks auf die veränderte Zinslandschaft ab und erklärt, die Zinsen würden im Grunde seit mehr als 40 Jahren fallen und hätten ganze Generationen von Anlegern geprägt. Aber diese Phase sei nun vorbei und zwar für längere Zeit. Und das hat Konsequenzen...

Alle Geschäftsmodelle, die auf einem hohen Fremdkapitalhebel basieren, geraten ins Schleudern. Der Abwärtssog bei Immobilienpreisen und –aktien ist kein Zufall. Dabei beträgt der Zinsunterschied nur 4 bis 5 %, das gab es auch schon früher. Aber es ist ein großer Unterschied, ob 9 % statt 4 % oder 6 % statt 1 % bezahlt werden müssen. Denn die vorherige Kalkulationsgrundlage war eine andere. Wer sich 1 Million Euro zu 1 % geliehen hat, bezahlte dafür 10.000 Euro an Zinsen pro Jahr. Bei 6 % sind es 60.000 Euro. Und diese 50.000 zusätzlichen Euro müssen erstmal verdient werden – und zwar jedes Jahr aufs Neue. Der "Lerverage" wurde maximal ausgereizt, um den größtmöglichen Fremdkapitalhebel ausnutzen zu können, und nun dreht sich der Effekt um: die Zinskosten explodieren und fressen die Margen und Gewinne auf.

Der Wert eines Unternehmens ist die Summe all seiner in der Zukunft noch zu erzielenden Gewinne - zum jeweiligen Geldwert. Die Inflation muss also mit eingerechnet werden, ebenso die Fremdkapitalkosten. Und je höher beides ist, desto niedriger liegt das Ergebnis. Mit der Folge, dass Unternehmenswerte niedriger anzusetzen sind, wenn Zinsen und Inflation hoch sind. Wie aktuell. Und ein niedrigerer Unternehmenswert bedeutet eben auch einen niedrigeren Aktienkurs, da sich der Wert ja durch dieselbe Zahl an ausgegebenen Aktien teilt. Der "Gezeitenwechsel" erzeugt also niedrigere Unternehmensgewinne und geringere Bewertungsmultiplen. Das Wachstum wird weniger stark ausfallen. Je weniger Investitionen man tätigen muss, je weniger Kredite man benötigt, desto besser steht man da; als Staat, als Unternehmen, als Privatperson.

Aber viele kommen ohne Kredit nicht aus. So auch die meisten Regierungen. Joe Biden hat innerhalb von nur 4 Monaten 1,6 Billionen Dollar an neuen Schulden aufgenommen und das kostet den US-Haushalt nun mehr als 50 Milliarden Dollar an Zinsen pro Jahr. Zusätzlich. Und es sind nicht nur die neuen Schulden, die drücken, sondern auch die alten, deren Zinskonditionen auslaufen. Neue US-Anleihen kosten demnächst auch viel mehr Zinsen, so dass der Anteil der Zinsen an den gesamten US-Ausgaben im Haushalt Richtung 25 % stürmt. Unbezahlbar! Daher muss entweder gespart werden oder aber die Schulden müssen entwertet werden. Oder die Zinsen müssen sinken. Und es wird wohl auf sinkende Notenbankzinsen und eine höhere Inflation hinauslaufen. Für eine längere Zeit.

Wir alle müssen uns auf diesen Gezeitenwechsel einstellen mit einem neuen Blick auf die neue Realität. Aber Panik ist nicht nötig. Auch wenn die Aktienkurse uns mit einer erhöhten Volatilität 'beglücken' - darin liegen Risiken und Chancen.

Alles Gute für euer Geld!
Michael C. Kissig

7 Kommentare:

  1. Super Informationen! Vielen lieben Dank für deine Arbeit. Ich lese sehr gerne deine Gedanken.

    AntwortenLöschen
  2. Konstantin30.10.23, 13:02

    Hallo Michael, "sinkende Notenbankzinsen und eine höhere Inflation" => Interpretiere ich Dich richtig, dass Du davon ausgehst, dass wir uns in der Spätphase des Witschaftszyklus befinden, d.h. der Inflationsdruck nimmt (weiter) zu und die Zinsstrukturkurve könnte sogar flach oder invertiert werden? In diesem Szenario dürfte irgendwann die Wirtschaft schrumpfen bzw. in eine Rezession geraten, wodurch dann die Geldpolitik von einer Straffung zur Lockerung übergehen müsste.

    Meine Vermutung wäre in diesem Szenario, dass defensiv ausgerichtete Sektoren (Sektoren, deren Einnahmen stärker an Grundbedürfnissen gebunden und weniger konjunktursensibel sind, zB Gesundheitswesen, Basiskonsumgüter und Versorgungsunternehmen) in den kommenden 12-18 Monate allgemein besser performen werden. Aktien aus den Bereichen Informationstechnologie und Nicht-Basiskonsumgüter dürften aber dann am meisten leiden, da der Inflationsdruck die Gewinnmargen schmälert und die Anleger sich aus den wirtschaftlich sensibelsten Bereichen abwandten würden.

    Wenn ich allerdings Microsoft, Alphabet, Adobe und co schaue, kann ich nicht feststellen, dass dieses Szenario aktuell "gespielt" wird. Entweder ist die Basis-Annahme der Spätphase des Witschaftszyklus nicht zutreffend, oder wir befinden uns kurz vor diesen Kursbewegungen.

    Somit zurück zu meiner Frage oben: Intepretiere ich Dich richtig?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich denke, die Rahmenbedingungen haben sich (für die großen Technologieriesen) geändert, weil sie im Gegensatz zu früheren Wirtschaftszyklen inzwischen ein hohes Maß an stetiges, wiederkehrenden Umsätzen generieren und damit Cashflows und Gewinne. Früher konnten Unternehmen Kosten senken/sparen, indem sie mit der Installation des nächsten Windows-Systems und dem nächsten Office-Paket ein oder zwei Jahre warten. Heute sind das Abomodelle, da stellt sich die Frage nicht. Apple verdient zwar immer noch am meisten mit Iphone-Verkäufen, was durchaus zyklisch ist, aber die Servicesparte generiert hohe stetige Einnahmen, ebenso die 23 Mrd. USD von Google - pro Jahr, um im iOS als Standardsuchmaschine voreingestellt zu sein. Als Buffett bei Apple einstieg, stufte er Apple als defensiven Konsumwert ein, nicht als Technologieunternehmen. Und Apple entwickelt sich mit jedem Tag mehr in diese Richtung.

      Ich denke, dass die USA so sehr verschuldet sind und eine so gewaltiges Haushaltsdefizit generieren, dass sich der Staat keine Rezession bei gleichzeitig hohen Zinsen leisten kann. Daher werden die Zinsen gesenkt werden und dafür eine erhöhte Inflation in Kauf genommen.

      Löschen
  3. Du erwähnst - vollkommen zu Recht - den Mechanismus, warum sinkende Zinsen auf Gewinne, Kirse etc. drücken, und wen es besonders hart trifft. Spannend wäre doch aber auch zu sehen, wer besonders profitiert. Nach meiner Analyse sind das Banken (leider kenn ich mich da nicht aus), Alternative Asset Manager (Du setzt auf Black…, ich auf Brookfield aufgrund deren stärkeren Value-Ansatz) in Teilen (schlechte Zeiten für steigende Asset-Preise werten das vorhandene Portfolio und die Performance-Fees ab, dafür ergeben sich eher günsthge gute Kaufkurse bei Assets…) und Versicherungen (steigende Inflation sirgt für steigende Premiums und steugenden Float; zudem sind die meisten Versicherer sehr vorsichtig, sobdass die Gewijne steugen - Stichwort Hard Market). Anders als Alternative Asset Manager sind Versicherungen aber immer noch sehr günstig bewertet. Und Value-Investoren (wie man sie an den Spitzen von Berkshire, Markel, Fairfax, Brookfield, Protector Forsikring findet).

    Soweit meine 2 Cents. Mich würde interessieren, ob Du das ähnlich siehst oder wo ich aus Deiner Sicht auf dem Holzweg bin - und natürlich, welche Sektoren aus Deiner Sicht noch von Inflation und hohem risikolosen Zins profitieren.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Im Grunde haste meine Favoriten genannt - nur Costco mit seinem unbeeindruckbaren Geschäftsmodell fehlt noch. ;-)

      Löschen
  4. Das erleichtert mich ein Stück weit… Ein Grund, warum ich Brookfield Blackrock vorziehe, ist übrigens Howard Marks. Brookfield hält ja seit 2018 die Mehrheitsanteile an Oaktree…

    Du nennst Costco; das muss ich ich mir auch noch einmal ansehen. Kennst Du eigentlich Protector Forsikring? Auch ein kleines, feines Versicherungsunternehmen wie Kinsale, allerdings aus Skandinavien. Sehr bemüht um Kostenführerschaft. Sie scheinen Ihre Strategie von Land zu Land auszurollen - erst die Skandinavischen, jetzt UK; und sehr erfolgreich. Im Vergleich zu Kinsale aber deutlich günstiger. Danaher, Smurfit Kappa, Fairfax India (Prem hat ja bei Templeton gelernt und indische Wurzeln…) sind weitere Unternehmen, die ich sehr schätze und denen ich langfristig viel zutraue; allerdings bin ich mir gerade etwas unsicher mit Smurfits aktuellem Expansionskurs. Außerdem Rational und Hermle.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Brookfield hat über Jahre die Peers underperformt, sowohl Apollo Global, als auch Blackstone und KKR. Zudem gefällt mir diese Struktur mit den vielen extra gelisteten Einheiten/Töchtern nicht wirklich. Ich denke, mit meinen drei Musketieren bin ich gut bedient. ;-)

      Von Protector Forsikring habe ich zwar schon gehört, aber sie mir nie wirklich angesehen. Ein weiterer/anderer Rechtsrahmen reizt mich eigentlich nicht so, da muss man viel Zeit und Gedanken investieren, um sich da einzufinden. Und dann noch das Unternehmen selbst mit einer völlig anderen Rechnungslegung. Das lohnt ja nur, wenn man da einen deutlichen Mehrwert rausziehen kann.

      Löschen